Robo-Advisory-Markt ist im Aufschwung

Durchaus Potenzial vorhanden, um einmal die traditionelle Finanzberatung zu ergänzen - wenn nicht sogar teilweise zu ersetzen

Robo-Advisory-Markt ist im Aufschwung

Mensch oder Maschine? Wem würden Sie eher trauen? Im Zeitalter der Digitalisierung sind Maschinen und Technologie omnipräsent. Heutzutage stehen wir immer wieder vor dem Dilemma: In welchem Maße wollen wir uns auf Maschinen verlassen? In der Finanzbranche, wo immer komplexere Algorithmen wesentliche Aufgaben übernehmen, wird dies hitzig debattiert. Besonders in der Vermögensverwaltung wird derzeit ermittelt, welche Kombination zwischen menschlicher und digitaler Beratung Kunden bevorzugen.Dies ist das Spielfeld von weltweit mehr als 250 sogenannten Robo-Advisors, auf Deutsch Roboter-Ratgebern, die automatisierte Geldanlage betreiben. Nach einer onlinebasierten Befragung, durch die das Risikoprofil des Anlegers ermittelt wird, ordnet ein Algorithmus dem Kunden ein entsprechendes Anlageportfolio zu, das zumeist aus börsennotierten Fonds (Exchange Traded Funds – ETF) besteht. Nach Überweisung der Investitionssumme übernimmt ein weiterer Algorithmus die laufende Verwaltung und kann auf Wunsch spezifische Anlageanweisungen des Kunden berücksichtigen.Robo-Advisors zielen auf verschiedene Arten von Kunden. Hauptsächlich dreht es sich bei der Zielgruppe um digitalaffine 25- bis 35-Jährige, die es vorziehen, eigenständig mit dem Thema Finanzanlagen umzugehen. Hinzu kommen viele Early Adopter aus der Gruppe der 35- bis 45-Jährigen mit bewährten Finanzkenntnissen. Allgemein nehmen sich Robo-Advisors eines unbedienten Kundensegments an, da das durchschnittliche Anlagevolumen bei rund 60 000 Euro liegt – das etwa einem Zehntel der Mindestsumme entspricht, die von Banken und Vermögensverwaltern für einen personalisierten Service gefordert wird.Neben dem Privatkundengeschäft bieten viele Robo-Advisors ihr Produkt auch etablierten Vermögensverwaltern, Banken und Versicherungsgesellschaften an. Entweder durch ein komplettes White Labelling oder durch eine öffentliche Kooperation, wie kürzlich Investify und die Hamburger Sparkasse bekannt gaben. Ziel ist es, Kunden digitale und zugleich individuelle Anlagelösungen über verschiedene Vertriebskanäle unter dem Namen Investify zur Verfügung zu stellen.Zusätzlich zu Privatkunden und Finanzdienstleistern zielen manche Robo-Advisors auf Firmen der Sharing Economy, in der viele Arbeitnehmer keine betriebliche Altersvorsorge erhalten. Als Beispiel dient die Kooperation zwischen Fahrtenvermittler Uber und dem Robo-Advisor MoneyFarm in Großbritannien, die Uber-Fahrern kostengünstigen Zugang zu einer spezifischen Palette an Anlageprodukten gewährt. Noch in den KinderschuhenIn Europa ist Großbritannien der Vorreiter im Robo-Advisory-Markt mit 76 % des verwalteten Vermögens, das sich auf mehr als 40 Firmen verteilt. An zweiter Stelle liegt Deutschland mit rund 30 Robo-Advisory-Angeboten und 23 000 Kunden, die insgesamt 700 Mill. Euro investiert haben. Obwohl der Sektor sehr dynamisch ist, belegen diese Zahlen, dass der Robo-Advisory-Markt eigentlich noch in den Kinderschuhen steckt.Schaut man sich die USA an, ist der Unterschied kontrastreich. Dort, wo Robo-Advisors schon seit 2008 aktiv sind, liegt das aktuelle Volumen bei mehr als 14 Mrd. Euro. Zählt man automatisierte Angebote von etablierten Finanzinstituten wie Charles Schwab und Vanguard hinzu, verfünffacht sich diese Zahl.Doch der europäische Markt birgt großes Potenzial. In der EU leidet die Kapitalmarktbeteiligung von Privatanlegern unter einer weit verbreiteten Risikoaversion und Abhängigkeit vom Umlageverfahren der Rentenpläne, wodurch Sozialversicherungsträger in geringem Umfang Rücklagen bilden können. Demzufolge sind Versicherungs- und Pensionsfondsreserven sowie Bankeinlagen die Hauptkapitalanlagen von EU-Bürgern, mit jeweils durchschnittlich 40 %. In Deutschland zum Beispiel liegen noch 40 % des Geldvermögens von privaten Haushalten in Sicht- und Spareinlagen.Wenn man die Situation aus dem institutionellen Blickwinkel betrachtet, stellt man fest, dass die aktuell 23 Trill. Euro an verwalteten Geldern in der Vermögensverwaltungsbranche eine enorme Summe darstellen. Institutionelle Investoren oder hochvermögende Personen machen dabei den Großteil der Kunden aus. Letztere versprechen einen attraktiven Markt, der sowohl von von Vermögensverwaltern initiierten Robo-Lösungen als auch von unabhängigen Robo-Advisors bedient werden kann. “Heranwagen” zu verbuchenIn Europa beobachtet man, dass Privatbanken und Vermögensverwalter sich immer häufiger an diese neue Art von Service heranwagen, auch wenn bewährte Angebote wie in den USA fehlen. Tatsächlich weist Europa einen hochfragmentierten Markt auf, übersät mit länderspezifischen Robo-Advisors. Obwohl der Service relativ homogen und deren technologiebasierte Plattform leicht an verschiedene Märkte anpassbar ist, bietet nur eine Handvoll ein länderübergreifendes Angebot an. Eine der größten Hürden sind sicherlich die hohen Marketingkosten, die ein aufstrebendes Start-up tragen muss, um eine Marke in verschiedenen Ländern aufzubauen und damit Kunden zu werben. Aufgeschlossene BehördeEine weitere Hürde ist die komplexe nationale Regulierung solcher Plattformen. Obwohl die nötige Lizenz in den meisten Fällen Zugang zu allen EU-Staaten gewährt, haben Länder ihre eigenen Vorschriften, zum Beispiel in Bezug auf den Onboarding-Prozess und die Steuerberichterstattung. Zudem spielt der Zeitfaktor eine Rolle. Bei technologiebasierten Start-ups ist die Agilität, mit der man sich an die Kundenbedürfnisse und allgemeinen Marktschwankungen anpasst, von großer Bedeutung. Doch sobald Robo-Advisors einen Lizenzantrag stellen, gibt es oftmals viele Hürden, die einen erheblichen Zeitaufwand erfordern und somit die Markteinführung und laufende Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen.Die luxemburgische Finanzaufsicht (CSSF) genießt seit Langem den Ruf einer zugänglichen, kompetenten, handlungsschnellen und Innovationen gegenüber aufgeschlossenen Behörde, was auch durch die Einrichtung einer gesonderten Abteilung für Finanztechnologie unterstrichen wird. Durch eine transparente Regulierung von Robo-Advisors können Gründer Zeit und Kosten sparen, ohne jedoch an geografische Grenzen gebunden zu sein. Dem Europäischen Pass sei Dank.Fazit – Der weltweite Robo-Advisory-Markt ist im Aufschwung, und obwohl der europäische Markt in den Kinderschuhen steckt, weist er großes Potenzial auf. Dank eines vielfältigen Geschäftsmodells können Robo-Advisory-Leistungen einem breiten Kundenspektrum angeboten werden, ohne jedoch die Kostenlast von traditionellen Banken und Vermögensverwaltern zu tragen. Nach wie vor stehen Robo-Advisors noch vor vielen Herausforderungen. Wenn Robo-Advisors und die verantwortlichen Behörden ein für Kunden durchweg sinnvolles Produktangebot gewährleisten können, hat Robo-Advisory durchaus erhebliches Potenzial, die traditionelle Finanzberatung zu ergänzen – wenn nicht teilweise zu ersetzen.—Pascal Martino, Partner und Deloitte Digital Leader Luxemburg—Carlo Duprel, Director, Deloitte Luxemburg Fintech Leader