IM BLICKFELD

Romneys Niederlage trifft US-Finanzbranche kaum

Von Sebastian Schmid, New York Börsen-Zeitung, 8.11.2012 Die Wall Street hat sich einmal mehr verzockt. Zwar betonten Banker und Finanzlobbyisten im vergangenen Herbst mit überwältigender Mehrheit, dass sie von einer Wiederwahl Barack Obamas...

Romneys Niederlage trifft US-Finanzbranche kaum

Von Sebastian Schmid, New YorkDie Wall Street hat sich einmal mehr verzockt. Zwar betonten Banker und Finanzlobbyisten im vergangenen Herbst mit überwältigender Mehrheit, dass sie von einer Wiederwahl Barack Obamas ausgehen. Als es dann dieses Jahr darum ging, für den Wahlkampf eines Präsidentschaftskandidaten den Geldbeutel zu öffnen, wurde indes mit überwältigender Mehrheit auf den Republikaner Mitt Romney gesetzt. An die Spitze der Spenderliste setzten sich der “New York Times” zufolge Goldman Sachs und Bank of America, die in der Wahl 2008 noch Obama unterstützt hatten. Die fünf größten Unterstützer Romneys stammten allesamt aus der Finanzindustrie. Kein Wunder, dass die Aktien der großen US-Banken am Mittwoch allesamt auf Talfahrt gingen.Romneys krachende Niederlage dürfte viele Banker derweil in erster Linie im eigenen Geldbeutel treffen. Die erhofften Steuerentlastungen für Besserverdiener sind unter Obama vom Tisch. Unabhängig von diesen persönlichen Motiven, Romney ins Weiße Haus zu lotsen, haben sie indes vor allem darauf gesetzt, die strengere Regulierung der US-Finanzindustrie unter der Regierung Obamas könne zurückgedreht werden. So hätte Romney unter anderem im Verbraucherschutz (Consumer Financial Protection Bureau) einen bankenfreundlicheren Leiter installieren können. Zudem strebte er einen höheren Anteil privater Kreditgeber bei der lukrativen Vergabe von staatlich unterstützten Studienkrediten an.Allerdings sind sich viele Branchenbeobachter einig, dass auch eine Romney-Präsidentschaft höchstens graduelle Veränderungen und keine Rücknahme aller Gesetze der Dodd-Frank-Finanzmarktregulierung mit sich gebracht hätte. Zwar hatte Romney genau dies versprochen. Eine Übernahme der Mehrheit im Senat hatten aber selbst die größten Optimisten unter den Republikanern nicht erwartet. Romney hätte daher lediglich versuchen können, Banken und andere Finanzmarktakteure von ein paar der Auflagen zu befreien. Dies hätte indes auch neue Unsicherheit bedeutet, da nicht klar war, welche Änderungen sich durchsetzen ließen. Viele Institute haben sich derweil ohnehin auf das neue regulatorische Umfeld eingestellt.Besonders kleinere Banken hätten unter Romney wohl auf bessere Rahmenbedingungen hoffen können, wie Brian Gardner, Analyst bei Keefe, Bruyette & Woods, unlängst erläuterte. So habe Romney Thomas Hoenig, den ehemaligen President der Kansas City Federal Reserve Bank, als Chef der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) vorgesehen. Hoenig sitzt schon heute im Board der FDIC und hatte unlängst erklärt, die Vereinigten Staaten sollten die globalen Kapitalvorschriften für Banken ablehnen, die zu kompliziert und verwirrend seien. Gardner glaubt, diese Einstellung hätte Kommunalbanken Vorteile gebracht, da eine Lockerung der Vorschriften für sie – im Gegensatz zu den Großbanken – in Washington wesentlich bessere Aussichten gehabt hätte. Bestenfalls, so Marktbeobachter, hätte Romney den Kreis der systemrelevanten Banken etwas enger gezogen. Den Spitzeninstituten wie J.P. Morgan Chase und Bank of America, die zu Romneys spendabelsten Unterstützern zählten, hätte dies indes kaum geholfen. Vorteile hätten sich wohl vor allem Versicherer und andere Finanzfirmen außerhalb des Bankensektors ausrechnen können.Der aus Bank- und Börsenaufsehern bestehende Financial Stability Oversight Council (FSOC) unter dem Vorsitz des US-Finanzministers Timothy Geithner hat derzeit die Aufgabe, zu ermitteln, welche Nichtbankenorganisationen als “systemrelevant” eingestuft werden. Unter Romney und seinem Finanzminister wären dies deutlich weniger gewesen, zeigen sich Vertreter der US-Finanzindustrie überzeugt. Geithner hat allerdings bereits angekündigt, einige Institute bis Ende des Jahres zu benennen. Selbst bei einer Abwahl Obamas hätte Romney dies also nicht mehr verhindern können.Erwartet wird, dass der FSOC Prudential Financial, Metlife, Hartford Group und die staatlich gerettete American International Group (AIG) einer strengeren Aufsicht unterwerfen wird. Besonders bei Metlife hatten die Investoren offenbar die Hoffnung, Romneys FSOC werde ein Auge zudrücken. Die Aktie mit dem Kürzel MET stürzte am Mittwochmorgen an der New Yorker Börse um gut 6 % auf 32,80 Dollar ab. AIG und Prudential notierten mit dem Markt hingegen gut 2 % schwächer. Derivategesetze ungefährdetAuch die Großbanken erhofften sich derweil Besserung bei einem Regierungswechsel. Einige Analysten hatten suggeriert, Romney könnte einige der Auflagen für Geschäfte im Ausland aufheben. So hatte der republikanische Kongressabgeordnete Scott Garrett aus New Jersey vor einigen Monaten ein Gesetz vorgeschlagen, das US-Banken den Derivatehandel vereinfachen sollte. Dem Vorschlag zufolge hätten beispielsweise Derivatetransaktionen der Londoner Filiale eines US-Instituts mit anderen Offshore-Einheiten direkt abgewickelt werden können – ohne US-Meldepflicht und damit unter dem Radar. Dass Romney diesen Gesetzesvorschlag seines Parteifreundes unterstützt hätte, zweifeln allerdings auch viele US-Banker an.Spätestens seit J.P. Morgan Chase im Frühjahr milliardenschwere Verluste aus Kreditderivategeschäften im Londoner Chief Investment Office (CIO) einräumen musste, ist die Unterstützung für Garretts Pläne unter US-Politikern merklich abgeflaut. Derzeit leitet der demokratische Senator Carl Levin wegen der Vorgänge bei J.P. Morgan in London sogar noch eine offizielle Untersuchung des Senatsausschusses. Bevor diese ihr Ergebnis vorgestellt hat, ist an eine entlastende Gesetzesänderung ohnehin nicht zu denken.”Die Finanzindustrie ist wahrscheinlich nicht begeistert über einen Obama-Sieg, aber wenigstens wissen sie, was sie bekommen”, erklärt Analyst Gardner. Mehr noch als die tatsächlichen Gesetze störte sich die Wall Street an den ständigen Beschimpfungen aus der Obama-Administration. Eine rhetorische Abrüstung wäre den Banken nach einem Regierungswechsel nun sicher gewesen. Allerdings dürfte auch Obama in seiner zweiten Amtszeit zunächst andere Problemfelder angehen und die Banken, deren Regulierung schon weit fortgeschritten ist, zunächst aus der Schusslinie nehmen.Nicholas Reitenbach, Portfoliomanager bei der New Yorker Asset-Management-Gesellschaft Wilkinson O’Grady, geht davon aus, dass sich der Fokus jetzt wieder auf die Gefahr des “Fiscal Cliff” verschiebt, also die automatisch greifenden Haushaltskürzungen und Steuererhöhungen, sollten sich US-Kongress und -Regierung nicht auf ein gemeinsames Konsolidierungspaket einigen können. Die Beteiligten sind zwar dieselben wie vor der Wahl – Präsident Obama, ein mehrheitlich demokratischer Senat und ein republikanisches Abgeordnetenhaus. Der Einigungsdruck ist aber ungleich größer und der Wahlkampf vorbei.