Rückversicherer fürchten nachlassende Preisdisziplin bei Erstversicherern
Rückversicherer fürchten nachlassende Preisdisziplin
Branchenprimus Munich Re fordert bei hoher Nachfrage „effiziente Risikoteilung“ – Kfz-Segment kämpft mit Fehlern der Vergangenheit
sck München
Trotz einer nach wie vor hohen Nachfrage nach Versicherungspolicen zum Schutz vor Schadenrisiken droht der seit Jahren für Rückversicherer komfortable „harte Markt“ sich zunehmend aufzuweichen. Hauptgrund dafür ist der zyklusbedingt steigende Wettbewerb unter Erstversicherern um profitable, erfolgsversprechende Geschäfte.
Warnung vor Lockangeboten
Denn bei wieder sinkenden Leitzinsen der führenden Notenbanken neigen die Anbieter im Versicherungswesen dazu, mit aggressiven Lockangeboten die Bestands- und Neukunden bei der Stange zu halten. Davon erhoffen sie sich, ihre Marktanteile zu halten oder bestenfalls sogar auszubauen. Das hätte jedoch einen Wettbewerb auf Kosten der Margen zur Folge. Die Preise fallen und damit auch die Profitabilität der gesamten Assekuranz. Das träfe also sowohl Erst- als auch Rückversicherer.
In Anbetracht dieses Marktrisikos im zyklischen Hoch warnte der Branchenprimus Munich Re am Montag anlässlich der turnusmäßigen Vertragserneuerungsrunde zum Jahreswechsel vor einer nachlassenden Zeichnungsdisziplin bei den Prämien für Deckungen gegen Elementarschäden. In der alljährlich im Herbst in Baden-Baden stattfinden Verhandlungsrunde der Branche appellierte der traditionsreiche weiß-blaue Dax-Konzern in deutlicher Form an eine „effiziente Risikoteilung“ zwischen den Rück- und Erstversichern.
„Gegenreaktion“ droht
Die darin enthaltene Botschaft lautet: Wer trotz einer nach wie vor hoher Nachfrage bei den Tarifen nachgibt, schadet sich auf Dauer nicht nur selbst, sondern auch alle anderen. Im Umkehrschluss kommt das einer handfesten Drohung der drei großen drei Rückversicherer gleich, zu denen neben der Munich Re die ebenfalls im Dax gelistete Hannover Rück und die Swiss Re gehören. Sollten diese feststellen, dass die Erstversicherer verstärkt mit Dumpingangeboten im Markt auftreten, könnten diese das aus ihrer Sicht dann womöglich nicht mehr ausreichend rentable Geschäft aufgeben.
Im Fachjargon bedeutet diese „Gegenreaktion“, dass die Rückversicherer auf unrentables Neugeschäft vonseiten der Erstversicherer verzichten, dieses also nicht zeichnen, und/oder Verträge für Bestandsaktivitäten aufkündigen, um ihre operativen Risiken zu reduzieren. Erstversicherer, die trotzdem solche Geschäfte betreiben, haben aber keine Rückversicherer mehr, die im Schadenfall die bilanziellen Belastungen „auffangen“.
Munich Re unter Kursdruck
Vor diesem Hintergrund büßte der Aktienkurs von Munich Re zum Wochenauftakt zeitweise 2,7% auf 491,40 Euro ein. Der Titel von Hannover Rück gab 1,4% auf 254 Euro nach. Der Höhenflug beider Papiere war damit vorerst beendet.
Erste Warnungen im September
Auf dem zurückliegenden alljährlichen Branchentreffen im September in Monte Carlo hatten Ratingagenturen und Analysehäuser bereits davor gewarnt, dass die Assekuranz sich an einem Kipppunkt befinde.
Nachlassende Preisdynamik
Die Fachleute gehen davon aus, dass bei ungebrochener Marktnachfrage die Preisdynamik auf breiter Front spürbar nachlassen wird. Grund dafür ist der wachsende Konkurrenzdruck. Die Kehrseite ist, dass die Anbieter in diesem schwieriger werdenden Umfeld nicht mehr ihre Kapitalkosten verdienen können.
Offen ist allerdings, ob diese Entwicklung auch bei den Versicherungsdeckungen gegen Schäden aus Naturkatastrophen durchschlagen könnte. Die gesamten Belastungen (darunter die versicherten) aus den Hurrikan „Milton“ sind noch unklar. Mancher Experte rechnet allein für den jüngsten tropischen Wirbelsturm mit versicherten Kosten von rund 40 Mrd. Dollar. Hinzu kommt, dass die Herbststurm-Saison in Europa erst noch bevorsteht. Das lässt erwarten, dass die Preise für Naturkatastrophen-Policen weiterhin auf einem hohem Niveau bleiben dürften. Ergebnisse zu den einzelnen Segmenten nach der Jahreswechsel-Vertragserneuerungsrunde werden Adressen wie Munich Re zur Vorlage ihrer Bilanzen 2024 im Februar/März 2025 bekannt geben. Die Erneuerungsrunde zum 1. Januar gilt als Gradmesser für die Branche, weil zu diesem Datum ein Großteil des Geschäftsvolumens neu ausgehandelt wird.
Defizitäres Kfz-Segment
Welche negativen Folgen eine mangelnde Zeichnungsdisziplin von Versicherern für die gesamte Branche haben kann, zeigt das Beispiel der Kfz-Haftpflichtpolicen in Deutschland. Die Hannover Rück erwartet abermals steigende Preise auf diesem Feld. Kfz-Versicherer versuchen auf diese Weise, ihre Verluste zu reduzieren. Jahre zuvor überboten sie sich mit Dumpingtarifen. Das Resultat waren Defizite. Die Erstversicherungstochter der Munich Re, Ergo, ist vor Jahren aus diesem Segment ausgestiegen.
Nach Jahren des Booms befindet sich die Versicherungsbranche an einem Scheitelpunkt. Trotz einer nach wie vor hohen Nachfrage nach Deckungen gegen Schadenrisiken aller Art befürchten führende Rückversicherer, dass die Zeichnungsdisziplin der Erstversicherer zu Lasten der gesamten Assekuranz nachlässt.