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R+V kehrt in Gewinnzone zurück

Die genossenschaftliche R+V Versicherung will nach einem zinsbedingten Verlustjahr wieder in die Gewinnzone zurückkehren. Ihr Vorstandsvorsitzender Norbert Rollinger zeigte sich im Interview der Börsen-Zeitung überzeugt, 2023 in den Bereich der strategischen Guideline von 600 Mill. Euro vor Steuern nach IFRS kommen zu können.

R+V kehrt in Gewinnzone zurück

Im Interview: Norbert Rollinger

“Wir sind jetzt wieder in der Gewinnzone”

R+V Versicherung peilt für das Gesamtjahr 2023 ein Ergebnis vor Steuern von 600 Mill. Euro an – Beiträge sollen um 2 bis 3 Prozent zulegen

Die R+V Versicherung ist im ersten Halbjahr 2023 wieder in die Gewinnzone zurückgekehrt. Im Gesamtjahr peilt der Vorstandsvorsitzende Norbert Rollinger einen Vorsteuergewinn von 600 Mill. Euro an. Besonders gut lief das Geschäft in der Schaden- und Unfallversicherung.

Herr Dr. Rollinger, nach dem wenig erfreulichen Jahr 2022 hat die R+V Versicherung auch im ersten Quartal dieses Jahres eher den Rückwärtsgang eingelegt. Wie lief es im zweiten Quartal beziehungsweise im gesamten ersten Halbjahr?

Wir sind zufrieden. 2022 war ein schwieriges Jahr. Nach den IFRS-Verlusten des Vorjahres sind wir jetzt wieder in der Gewinnzone…

… das heißt konkret: Was erwarten Sie für das Gesamtjahr 2023?

Wir werden auf den Pfad der Vergangenheit mit 600 Mill. Euro vor Steuern nach IFRS als Ziel zurückkehren. Ich bin optimistisch, dass wir in diesem Jahr wieder in diese Größenordnung hineinwachsen können. Das gilt unter dem Vorbehalt von Zinsänderungen, aber auch von möglichen Naturkatastrophen.

Wie sieht es bei den Beitragseinnahmen im ersten Halbjahr aus?

In der Krankenversicherung haben wir mit Voll- und Zusatzversicherungen 6,5% mehr Beiträge eingenommen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. 2022 konnten wir mit der neuen betrieblichen Pflegeversicherung Careflex Chemie bei den Beschäftigten der Chemiebranche sogar zweistellig wachsen. In Schaden/Unfall lag das Plus im ersten Halbjahr bei 5,5%, in der aktiven Rückversicherung bei 3%. In Italien wird unsere Tochter Assimoco ihre 2022 erzielten Beitragseinnahmen von mehr als 900 Mill. Euro in diesem Jahr vermutlich um etwa 500 Mill. Euro übertreffen können.

Wo lief es nicht so gut?

In der Lebensversicherung, vor allen Dingen, weil wir gegen ein außergewöhnlich starkes erstes Halbjahr 2022 antreten mussten. Besonders erfolgreich lief Duo Invest, ein nachhaltiges Investmentprodukt, das wir 2021 zusammen mit unserer Fondsschwester Union Investment entwickelt haben. Durch den starken Zinsanstieg ging der Absatz in der zweiten Jahreshälfte 2022 deutlich zurück.

Norbert Rollinger ist Vorstandschef der R+V Versicherung. | Quelle: GDV

Was bedeutet das für das Beitragswachstum im Gesamtjahr 2023?

Wir rechnen mit einem Beitragswachstum von 2 bis 3%. Damit kehren wir zu unserem Wachstumskurs zurück. Allerdings bleibt das Geschäft in der Lebensversicherung wegen der im ersten Halbjahr schwachen Einmalbeitragsentwicklung von minus 22% sehr anspruchsvoll.

Woran liegt das?

Wir sind ein Bancassurance-Versicherer und stehen damit direkt mit Bankprodukten im Wettbewerb. Wir sehen allerdings auch Lichtblicke…

… als da sind…

… zugelegt haben wir in unserem Anlageprodukt Safe + Smart, das immerhin auch 2,75% Zinsen im sicheren Teil bietet. Daran sehen wir, dass bei der Altersvorsorge großer Bedarf besteht. Außerdem wachsen wir bei den laufenden Beiträgen. Entgegen dem Branchentrend haben sie bis 30. Juni um 1,1% zugelegt.

Wie sieht es in den einzelnen Bereichen der Lebensversicherung aus?

In der betrieblichen Altersversorgung haben wir 4% mehr Beiträge eingenommen, bei den neuen Garantien lag das Wachstum sogar bei 27%. Rückläufig sind neben Produkten mit klassischen Garantien auch Fondpolicen und die Restschuldversicherung, wohl auch, weil weniger Konsumentenkredite abgeschlossen werden. Hauptsächlich leidet das Geschäft mit Restschuldversicherungen auch unter dem im Vorjahr eingeführten Provisionsdeckel. Wir halten solche Eingriffe nicht für gut, weil sie zu einer Versicherungslücke führen können. Diese Gefahr hätte auch bei dem diskutierten, aber zumindest vorläufig nicht umgesetzten Provisionsverbot gedroht.

Was lief in der Schaden-/Unfallversicherung besonders gut?

Beispielsweise die Kreditversicherung. Aber auch die Sachversicherung ist mit 11,4% gut gewachsen, wobei hier Preiseffekte eine große Rolle spielen. Die Inflation führt zu steigenden Prämien.

Wie sah die Schadenentwicklung aus?

Wir hatten deutlich weniger Schäden als im Vorjahr. Von größeren Naturkatastrophen wurden wir verschont. Naturkatastrophen kosteten uns etwa 100 Mill. Euro nach knapp 280 Mill. Euro im ersten Halbjahr 2022.

Wie weit sind Sie mit der Abwicklung der Ahrtalschäden?

Nachdem wir jetzt etwa 90% der Schäden, entsprechend etwa 80 bis 85% des Aufwands, abgewickelt haben, mussten wir unsere Schadenschätzung von 730 auf 790 Mill. Euro erhöhen. Das liegt nicht an neuen Schäden, sondern daran, dass die noch nicht regulierten Schäden inflationsbedingt teurer werden.

Wie lange wird das noch dauern?

Bis der letzte Schaden bezahlt ist, könnten schon noch fünf Jahre vergehen. Wir haben natürlich großes Interesse, möglichst schnell zu regulieren. Das ist wichtig für die Betroffenen. Aber auch für uns gilt: Je länger es dauert, umso teurer wird es.

Wie weit sind Sie beim Thema Nachhaltigkeit?

Unser Ziel ist, bis 2050 klimaneutral zu sein. Das haben wir untermauert durch den Beitritt zur Net Zero Asset Owner Alliance und zu den Principles for Responsible Insurance. Bis 2025 wollen wir bei unseren Anlagen in Aktien und Unternehmensanleihen 20% weniger CO2 ausstoßen. Beide Assetklassen machen 80% der derzeit messbaren Emissionen aus. Ebenfalls bis 2025 soll unser eigener Geschäftsbetrieb (Scope 1 und 2) klimaneutral sein. Wir kämpfen im Moment mit den diversen Vorschriften und Berichtspflichten. Keinesfalls wollen wir uns der Gefahr aussetzen, des Greenwashings bezichtigt zu werden. Im Versicherungsgeschäft ist beispielsweise unser Produkt Safe + Smart nach Artikel 8 der Offenlegungsverordnung klassifiziert. Darauf entfallen rund 60% unseres Leben-Neugeschäfts.

Inzwischen bezweifeln ja viele, dass das 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch erreichbar ist. Es scheint eher gegen 2 Grad oder gar mehr zu gehen. Welche Konsequenzen hätte das für Sie?

Das betrifft den Kern unseres Geschäftsmodells. Deshalb ist das Vermeiden des Temperaturanstiegs nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern ein Anliegen, um unser Geschäftsmodell zu retten. Sonst haben wir weniger zu versichern.

Was bedeutet das?

Innerhalb Deutschlands könnte es zu erheblichen Vermögensverlusten kommen. Ein Haus, das nicht mehr versicherbar ist, ist viel weniger wert und kann möglicherweise nur noch zu Dumpingpreisen verkauft werden.

Deshalb wird ja diskutiert, in der Wohngebäudeversicherung eine Versicherungspflicht einzuführen.

Die Politik versucht mit einer Versicherungspflicht die Abkürzung zu nehmen. Das wird aber nicht funktionieren. Ohne weitergehende Maßnahmen wie Prävention, Anpassung an die Klimafolgen, anders bauen, vielleicht auf Keller verzichten und andere Grundstücke ausweisen. Diese Forderungen lassen sich leicht stellen. Sie müssen aber von den Kommunen umgesetzt werden. Ihnen steht aber das Wasser finanziell bis zum Hals. Deshalb fällt es ihnen schwer, in Klimafolgeanpassungen zu investieren oder Flächen eben nicht als Gewerbegebiet auszuweisen.

Was bedeutet der zunehmende Klimawandel für das Produkt Versicherung?

Die Kosten des Klimawandels zeigen sich eben auch in steigenden Versicherungsbeiträgen. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, an dem Versicherung keinen Sinn mehr macht. Schon vorher wird aber Versicherungsschutz für breite Teile der Bevölkerung nicht mehr bezahlbar sein. Das führt zu erheblichen Wohlstandsverlusten. Dann ist es aber schon zu spät, um noch gegenzusteuern.

Welche Auswirkungen hat der Kampf gegen den Klimawandel auf Ihre Kapitalanlagepolitik? Es gibt ja weitreichende Forderungen an die Assekuranz, bestimmte Industrien wie zum Beispiel Bergbau oder Kohlekraftwerke nicht mehr zu versichern. Was ist Ihr Ansatz?

Wir wollen niemanden allein lassen. Das entspricht nicht unserem Claim „Du bist nicht allein“. Unternehmen mit einem ökologischen Problem wissen selbst am besten, wie sie es lösen können, sprich klimaneutral werden. Wir sprechen mit ihnen – nicht als Polizist im Sinne von: Dich versichern wir nicht mehr. Damit treiben wir sie nur in die Arme ausländischer Versicherer zu deutlich erhöhten Kosten. Damit wird Wertschöpfung ins Ausland verlagert, sprich Deutschland wird ärmer. Was wir so an CO2 einsparen, wäre teuer erkauft.

Sie wollen als Versicherer also den Unternehmen bei der ökologischen Transformation helfen?

Ja, aber diese Transformation ist nicht umsonst. Zuerst muss investiert werden und es kommt zu Wohlstandsverlusten. Später kann dann vielleicht aus der erfolgreich umgesetzten Transformation ein Geschäftsmodell werden, das sich auch exportieren lässt.

Wie berücksichtigen Sie den Kampf gegen den Klimawandel in Ihrer Kapitalanlagepolitik?

Indem wir uns zum Ziel gesetzt haben, den CO2-Ausstoß unseres Portefeuilles in den Anlageklassen Aktien und Anleihen bis Ende des Jahrzehnts zu reduzieren. Wir werden da umschichten, wo es Sinn macht. Bis 2050 soll unser gesamtes Anlageportfolio klimaneutral sein.

Aber bestimmte Ausschlüsse, zum Beispiel Branchen, die Sie nicht versichern, gibt es bei Ihnen nicht?

In Unternehmen, die ABC-Waffen produzieren, und solche, die gegen die Prinzipien des UN Gobal Compact, beispielsweise Menschenrechte, verstoßen, investieren wir nicht, weil das nicht zu unserem Geschäftsmodell passt. Manche unserer Investments haben lange Laufzeiten. Wir können daher nur Schritt für Schritt in Richtung Klimaneutralität umschichten. Wir versuchen, mit möglichst wenig Ausschlüssen zu arbeiten, und setzen mehr auf Transformation. Darüber hinaus investieren wir auch aktiv in nachhaltige Anlagen wie beispielsweise Windparks.

Wie sind die Kapitalanlagen im ersten Halbjahr gelaufen?

Das hat sich wieder völlig normalisiert. Wir werden im Gesamtjahr 2023 ein planmäßiges Kapitalanlageergebnis von mehr als 2 Mrd. Euro erzielen. Nur so können wir den Ergebnisswing von über 800 Mill. Euro schaffen. Das negative Ergebnis von 2022 war durch den harten Zinsanstieg geprägt, den wir teilweise mit Hilfe realisierter Anlageverkäufe ausgleichen mussten. Zur Stabilisierung des Ergebnisses trägt auch die Einführung von IFRS 17 bei.

Wie sieht Ihre Anlagestrategie bei Aktien aus?

Durch den Zinsanstieg sind Zinsanlagen wieder attraktiver geworden. Wir gehen deshalb wieder in solche Assets, achten aber auf die Laufzeiten. Aktien haben sich im ersten Halbjahr sehr gut entwickelt. Wir sind aber mit unserer aktuellen Aktienquote von 6% zufrieden und werden sie nicht erhöhen.

Wie sieht es bei Immobilien aus? Der Markt ist ja ziemlich unter Druck…

Wir haben seit zwei Jahren nichts Neues gekauft, weil die Märkte aus unserer Sicht heiß gelaufen sind. Wir müssen schauen, wann der richtige Zeitpunkt für einen Wiedereinstieg ist. Aktuell liegt unsere Immobilienquote bei 8%. Auch hier fühlen wir uns mit unserem Bestand sehr wohl. Einbrüche auf den Immobilienmärkten erwarten wir nicht. Außerdem weisen unsere Objekte eine gute Qualität auf.

Wie interessant sind Investitionen in Infrastruktur oder Private Equity für die R+V Versicherung?

Infrastruktur macht rund 4% unserer Kapitalanlagen aus. Auch da sind wir zurückhaltend. Denn wir müssen durch den Zinsanstieg die Liquidität stärker im Auge behalten. Deshalb bevorzugt die Kapitalanlage im Moment fungible Assets. Durch den Zinsanstieg ist der relative Renditevorsprung von Private Equity und Infrastruktur gefallen. Fraglich ist, ob sich genügend Objekte mit einem angemessenen Risikoaufschlag finden lassen.

Mit Blick auf die nächsten Monate und das kommende Jahr 2024: Wo liegen für Sie die größten Herausforderungen?

Uns beschäftigt die Inflation in der Schaden-/Unfallversicherung, teilweise auch in der Krankenversicherung. Wir versuchen, mit allen Möglichkeiten dagegen zu arbeiten. Denn die Inflation belastet unsere Kunden durch steigende Prämien. Das ist nicht gut. Steigende Prämien bringen zwar Umsatz, aber keine Verbesserung, sondern machen uns alle ärmer.

Gibt es weitere Themen, die Ihnen auf den Nägeln brennen?

Die Altersvorsorge. Sie wurde in den vergangenen Jahren häufig als Zinsersatzpapier verkauft. Jetzt kommen wir wieder zum echten Altersvorsorgeverkauf, bei dem die lebenslange Rente im Zentrum steht. Die wird von der Politik häufig nicht mehr als notwendig erachtet. Das ist für mich erstaunlich. Denn die Menschen unterschätzen häufig ihre Lebenserwartung und ihren Bedarf an finanziellen Mitteln im Alter. Diese Entwicklung wird uns um die Ohren fliegen. Altersvorsorge ist kein – möglicherweise staatlich gefördertes – Anlageprodukt, das dann mit Eintritt in die Rente in Konsum gesteckt wird. Es droht schlicht Altersarmut.

Das Interview führte Thomas List.

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