Schnellschießer und Vorverurteiler
Von Bernd Wittkowski, FrankfurtKreidezähne, Ferkelkastration, Cum-ex: Sven Giegold hat zu allem eine Meinung. Und vor allem: Der Abgeordnete im Europaparlament und finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion Die Grünen/ Europäische Freie Allianz fackelt nicht lange, bis er sich seine Meinung bildet und sie sogleich auf den Markt wirft. Er schießt schnell und scharf. So auch am Donnerstag: Kaum hatten Polizei und Staatsanwälte bei ihrer Großrazzia die ersten Aktenordner aus der Deutschen Bank herausgetragen und Computerdateien kopiert, kannte Giegold schon das Ergebnis: “Bank und Bankenaufsicht haben versagt”, ließ er die Redaktionen wissen.Der Mann, 1969 geboren, hat ausweislich seines Lebenslaufs in Lüneburg, Bremen und Birmingham Wirtschaftswissenschaften, Erwachsenenbildung und Politik studiert. Dann schloss er einen Master in Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsentwicklung an der University of Birmingham mit Auszeichnung ab, studierte an der Uni Bremen weiter und verbrachte ein Jahr als Gast am Fachbereich für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paris XIII. In ökonomischen Fragen kann er mithin nicht komplett unbedarft sein.Hinweise wenigstens auf eine Grundausbildung in Rechtswissenschaften gibt Giegolds Biografie nicht her. Aber braucht es ein Jurastudium, um mal etwas davon gehört zu haben, dass ein strafrechtlich relevanter Verdacht, daraus resultierende Ermittlungen, eine Anklage und ein rechtskräftiges Urteil mindestens vier Paar Schuhe sind, von diversen Zwischenschritten mal abgesehen? Giegold sieht das nicht so eng: “Die Razzia bei der Deutschen Bank zeigt: Nach den Enthüllungen der Panama Papers bleibt im Kampf gegen Geldwäsche noch viel zu tun”, vorverurteilt er. Der Konjunktiv ist ihm so fremd wie die Unschuldsvermutung.Wenn Banken im Spiel sind, bläst der Mitgründer von Attac Deutschland besonders gerne zum Angriff. Daran wäre ja nichts auszusetzen, bewegte er sich auf faktisch und rechtlich sicherem Boden. Tut er aber nicht. In Sachen Cum-ex ließ er wissen, “Kriminelle” hätten Europas Steuerzahlern 55 Mrd. Euro gestohlen. Nachdem der Finanzsektor “den größten Steuerraub der Geschichte” ermöglicht habe, müssten beteiligte Banken “zur Rechenschaft gezogen werden, weil sie diese Verbrechen erleichtert haben”. Dass hierzulande in dieser Causa bisher keine Anklage zugelassen wurde, dürfte Giegold bekannt sein. Doch mit solchen Feinheiten hält er sich nicht auf. Die “Drahtzieher” will er vor Gericht gestellt sehen. Aber wozu noch? Giegold hat sie doch schon verurteilt.Erst schießen, dann fragen. So kennt man es aus Unrechtsstaaten.