DIE EZB STELLT DAS MELDEWESEN NEU AUF

Schöne neue Welt des Meldewesens

Mit dem "European Reporting Framework" kommt ein hoher Investitionsbedarf auf die Banken zu

Schöne neue Welt des Meldewesens

Von der Öffentlichkeit bislang unbemerkt bereitet die Europäische Zentralbank (EZB) eine grundlegende Neuordnung des Meldewesens vor: Die Statistiker der Notenbank wollen die Berichtspflichten europaweit harmonisieren und zudem nicht mehr nur aggregierte Daten der Banken anfordern, sondern darüber hinaus die jeweils dahinterstehenden Informationen. Das Kreditregister Anacredit ist dabei offenbar nur der Anfang. Damit einhergehen wird eine Explosion des gemeldeten Datenvolumens, welches Banken Beratern zufolge mit ihren momentanen IT-Kapazitäten keinesfalls stemmen können. Die Rolle von Notenbanken bzw. Aufsehern und Banken wird dies verändern.Von Bernd Neubacher, FrankfurtDie Europäische Zentralbank (EZB) arbeitet an einer grundlegenden Neuordnung des Meldewesens. Diese dürfte Banken auf lange Sicht Aufwand ersparen, ihnen bis auf Weiteres jedoch erhebliche Kosten bescheren. Der Grund: Die Notenbank will von den Banken nicht nur mehr Daten erheben, sondern jeweils auch die Informationen, auf welche diese zurückgehen. Zudem zielt das von der EZB betriebene Projekt eines “European Reporting Framework” darauf ab, die Kriterien von Erhebungen über sämtliche Meldeerfordernisse zu harmonisieren. Verdruss über UnterschiedeAngestoßen haben das Projekt, das die Banken in den kommenden Jahren noch eingehend beschäftigen dürfte, die Geldpolitiker der EZB. Dahinter steht Verdruss ob der Tatsache, dass sich ihre ultralockere Geldpolitik nicht wie erwünscht in der Kreditvergabe durch die Banken niedergeschlagen hat. “Traditionell haben die Notenbanken von den Banken aggregierte Daten eingesammelt”, sagt Aurel Schubert, EZB-Generaldirektor Statistik, der Börsen-Zeitung. “Es hat sich aber gezeigt, dass sich hinter aggregierten Daten sehr unterschiedliche Verteilungen befinden.” Dies zeige, warum Banken die Impulse der Geldpolitik unterschiedlich umsetzten. Mit aggregierten Daten aber ließen sich diese Unterschiede nicht abbilden. Schubert: “Die Vorstellung, die wir vor 20 Jahren hatten, dass Europa schnell zu einem homogenen Wirtschaftsraum konvergiert, ist nicht eingetreten. Daher sind wir aufgefordert, in die Mikro-Daten einzusteigen.” Das Kreditregister Anacredit, für das die Banken pro Kredit 89 Datenfelder ausfüllen müssen (siehe Text auf dieser Seite), dürfte da nur der Anfang sein.Parallel zur Vertiefung ihrer Datenerhebung will die Notenbank im Zuge des “European Reporting Framework” europaweit harmonisieren. Noch halten sich kleine, aber feine Unterschiede, welche die Vergleichbarkeit von Daten je nach Staat und Bereich erschweren. So beinhalten Statistiken zu Frankreich als Gegenpartei einmal die Karibikinsel Martinique, ein anderes Mal nicht, je nachdem, ob ein nationaler Aufseher, die EZB oder der IWF sie erstellt. Basieren aber sämtliche Meldungen auf einer einheitlichen Erhebung, kann die Notenbank diese zusammenführen und um Dopplungen bereinigen. “Die EZB hat jedes Interesse”Derzeit erhebt die EZB viele Statistiken, die jeweils für sich selbst stehen, wie Schubert erläutert. So kämmen Kredite unter anderem in Statistiken zu Zinssätzen, aber auch zu Bilanzen vor. Künftig wolle die EZB alle Informationen über Kredite konsolidieren. Und wenn Banken ihre Informationen zu ihren Krediten schon bei deren Vergabe speicherten und dann auf granularer Basis meldeten, könne die EZB selbst mit diesen rechnen und mit Hilfe dieses integrierten Systems “alle Erhebungen aus einem internen Meldesystem speisen” – und zwar nicht nur Anacredit, sondern etwa auch die Zahlungsbilanz oder im Prinzip auch die Meldung von Finanzinformationen (Finrep). Diese Lösung käme auch grenzüberschreitend tätigen Banken zugute, da dann alle Banken in der Eurozone denselben Meldepflichten unterlägen. EZB-Präsident Mario Draghi hatte schon im Oktober 2014 klargemacht: “Die EZB hat jedes Interesse, die Integration und Standardisierung auch auf der ,Input-Seite` herbeizuführen und zu fördern, da nur dies kohärente Information sicherstellt.” Einfacher soll es werdenWill die EZB derzeit Informationen etwa zu Schiffsengagements oder zu Exposures der Banken in irischen Staatsanleihen sammeln, muss sie deswegen jeweils gezielt auf die Banken zugehen. Im Zeitalter des “European Reporting Framework” sollen viele dieser Daten bereits erhoben sein und müssen nur mehr der Anfrage entsprechend zur Verfügung gestellt werden, wie Schubert erklärt. Dies mache alles einfacher.Noch ist das “European Reporting Framework” Zukunftsmusik. In Österreich haben die Banken indes bereits damit begonnen, der Aufsicht granulare Daten zu melden, und europaweit arbeiten Banken gemeinsam mit der Notenbank an einem “Banks’ Integrated Reporting Dictionary (BIRD)”, um ihr Berichts- und Meldewesen zu koordinieren (siehe Texte auf dieser Seite).Auf Sicht könnte die EZB das “European Reporting Framework” auch auf aufsichtsrelevante Meldungen ausdehnen. Ohnehin fällt der Vorstoß der Notenbank mit gleich gerichteten Initiativen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zusammen. Dessen Standard BCBS 239 zielt darauf ab, dass große Banken praktisch auf Knopfdruck Informationen zu ihren Risikopositionen liefern können – in der Krise hatten die Aufseher erschrocken festgestellt, dass Banken dies vielfach nicht vermochten. Sind alle Meldungen erst einmal vereinheitlicht, könnten die Aufseher Stresstests komplett selbst rechnen, wie im Markt angemerkt wird. Schubert legt sich in dieser Frage lieber nicht fest. Das European Reporting Framework sei zunächst ein Projekt der EZB-Statistiker, das sich im Laufe der Zeit auf alle für die Geldpolitik relevanten Erhebungen ausweiten und nach ein paar Jahren vielleicht auch auf Erhebungen für die Aufsicht ausweiten lasse: “Zunächst muss man auch zeigen, dass es etwas bringt”, sagt er.Die Bankenaufseher der EZB dürften nichts einzuwenden haben, sollten sie einen solchen Datenschatz heben können. François-Louis Michaud, stellvertretender Chef der für Querschnittsaufgaben zuständigen mikroprudenziellen EZB-Generaldirektion IV, mokierte sich im November in deutlichen Worten über unvollständige bzw. fehlerhafte Datenlieferungen von Banken. Erheblicher MehraufwandIn jedem Fall bringt die Vereinheitlichung und Verfeinerung des Meldewesens bis auf Weiteres erheblichen Mehraufwand für die Banken mit sich. Zwar erfahren sie, wie Schubert anmerkt, “eine Entlastung und einen Qualitätsgewinn”, wenn die Systeme einmal richtig aufgesetzt sind. Bis dahin aber müssen die Institute investieren – wie viel, steht in den Sternen. “Ein solches Unterfangen bedarf wahrscheinlich einer grundlegenden Revision des Datenmanagements in den Banken”, heißt es beim Federführer in der Deutschen Kreditwirtschaft (DK), dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR): “Eine Kostenschätzung kann hier nicht abgegeben werden.” Neben die Frage der Kosten tritt noch ein zweiter Aspekt: Banken dürften für die Notenbank komplett gläsern werden, wird das “European Reporting Framework” ausgeweitet. Der Datenvorrat reicht nichtVor allem zwingt das Projekt die Banken, die derzeit ihre Informationen noch jeweils aus verschiedenen Datenbanken etwa der Buchhaltung, dem Customer-Relationship- oder dem Risikomanagement-System zusammensuchen, um Anfragen der Notenbank zu beantworten, dazu, über einen Neuaufbau ihres Datenmanagements zu entscheiden. Schon zuletzt sei das aufsichtsrechtliche Berichtswesen zunehmend komplexer und intensiver geworden, meint Florian Barg, Senior Manager bei EY: “Was die Banken in der Finanzbuchhaltung haben, reicht da oft nicht.”Nur wenn sie ihrerseits ein einheitliches Datenmodell aufbauen, werden sie in der Lage sein, die künftigen Anforderungen der Aufseher kostengünstig zu erfüllen, wie Gunther Tillmann, Partner bei EY, sagt. Auch ins Know-how aber sollten sie investieren: “Denn eine Bank, die keine Spezialisten in ihren Reihen hat, welche die Datenlieferungen durchdringen, läuft Gefahr, dass die Aufsicht künftig mehr über sie weiß als die Bank selbst. Dann liefert die Bank Daten und wundert sich nachher, mit welchen Ergebnissen die Aufsicht sie dann konfrontiert. Wir sagen den Kunden: Damit müsst Ihr Euch frühzeitig beschäftigen.”