Schweizer Bankiers sehen schwarz

Experten und Großbanken überbieten sich bei Prognosen über den Abfluss europäischer Vermögen

Schweizer Bankiers sehen schwarz

Die Schweizer Bankiers sind sich schon seit längerem einig, dass dem Finanzplatz ein paar schwierige Jahre bevorstehen. Neu ist aber, dass sie sich mit ihren Negativ-Prognosen gegenseitig überbieten.dz Zürich – Wie sieht der Schweizer Finanzplatz aus, wenn das Bankgeheimnis für Steuerflüchtlinge endgültig beerdigt ist? Diese Frage stellen sich viele Leute im Land, denn es geht um Arbeitsplätze und Wohlstand. Doch die ohnehin schwierige Zukunftsforschung ist hier besonders anspruchsvoll, zumal sich die Geister schon bei der Analyse des Status quo scheiden.Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie der Unternehmensberatungsfirma ZEB kommt zu dem Ergebnis, dass Kunden von Schweizer Banken mit Domizil im westeuropäischen Ausland in den kommenden vier Jahren zwischen 150 Mrd. und 200 Mrd. sfr von ihren Offshore-Konten abziehen werden. Nicht eingerechnet sind darin die zu erwartenden Kapitalabflüsse, wenn deutsche, österreichische und britische Kunden ihre Schwarzgelder künftig vielleicht durch Zahlung einer einmaligen Nachsteuer legalisieren können. Für den Fall, dass das grenzüberschreitende Abgeltungsteuermodell mit den genannten und weiteren Ländern tatsächlich umgesetzt werden kann, erwartet ZEB weitere Abflüsse im Umfang von 20 % bis 35 % der steuerlich nicht deklarierten Vermögen aus Westeuropa von aktuell 789 Mrd. sfr (siehe Grafik).Mit ganz anderen Zahlen operierte im November 2011 das Beratungsunternehmen Booz & Co., das sich wie ZEB mittels Befragung einer repräsentativen Zahl von Bankiers ein Bild zu machen versuchte. Die gesamten in der Schweiz deponierten Vermögenswerte aus westeuropäischen Ländern bezifferte Booz damals mit 857 Mrd. sfr, verglichen mit 1 410 Mrd. sfr bei ZEB.Aufgrund der von ZEB unterstellten Annahme, dass rund 55 % der in der Schweiz liegenden Offshore-Vermögen aus Westeuropa vor dem heimischen Fiskus versteckt wurden, beläuft sich die entsprechende Schwarzgeldschätzung von Booz auf lediglich 470 Mrd. sfr – 40 % weniger als ZEB.Dieser Vergleich allein zeigt schon, dass Aussagen über die Wirkung des Bankgeheimnisses und die potenziellen Folgen von dessen Aufweichung auf tönernen Füßen stehen. Noch konfuser wird die Analyse, wenn man die jüngsten öffentlichen Aussagen der Banker selbst hört. Jürg Zeltner, Leiter des Vermögensverwaltungsgeschäfts der UBS, erklärte gestern in einem Interview mit dem Magazin “Schweizer Bank”, den helvetischen Banken gingen wegen der steigenden internationalen Transparenzerfordernisse und wegen der geplanten Abgeltungsteuer “Hunderte Milliarden Franken” an zu verwaltender Vermögensmasse verloren. Zeltner suggeriert damit einen Betrag, der noch weit über der von ZEB gemachten Schätzung liegen könnte. Auch bei der UBS würden 12 Mrd. bis 30 Mrd. sfr abfließen, sagte er.Ähnlich kritisch äußerte sich vergangene Woche auch Credit-Suisse-Finanzchef David Mathers, der auf einer Investorenkonferenz in New York den erwarteten Vermögensabfluss bei der zweitgrößten Schweizer Bank mit 25 Mrd. bis 35 Mrd. sfr “in den nächsten Jahren” beziffert hat. Der Betrag ist identisch mit der Prognose, wie sie schon vor zwei Jahren CS-Konzernchef Brady Dougan gemacht hatte. In der Zwischenzeit sind bei der Bank allerdings bereits 18 Mrd. sfr aus den Depots westeuropäischer Kunden abgeflossen. Die beiden Großbanken zeigen sich also sowohl in Bezug auf ihre eigenen früheren Aussagen als auch im Vergleich mit dem von ZEB und Booz erhobenen Branchenmittel pessimistischer. Ob die Großbanken damit ihre vielleicht immer noch zu optimistischen Aktionäre warnen wollen oder ob sie einfach ein Worst-Case-Szenario verkaufen, das sie selber zu überbieten hoffen, bleibt eine offene Frage. Klar ist aber, dass den Schweizer Banken ein empfindlicher Vermögensabfluss bevorsteht, der insbesondere kleineren Anbietern im Markt zu schaffen machen wird.