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Schwellenländer am Wendepunkt

Nach dem Ausverkauf ist die Bewertung niedrig. Anleger sehen neue Chancen.

Schwellenländer am Wendepunkt

Von Armin Schmitz”Wenn die Nacht am dunkelsten, ist die Dämmerung am nächsten.” Dieses Sprichwort aus den USA beschreibt die Situation bei den Schwellenländern treffend. Mit einem glänzenden Comeback haben sich die Börsen der Emerging Markets in diesem Jahr zurückgemeldet. Nach drei Jahren mit schmerzhaften Verlusten und einer Underperformance gegenüber den entwickelten Märkten haben sie nach einem Ausverkauf zu einer kräftigen Erholung angesetzt. Seit dem Tief vom Januar hat der Aktienindex MSCI Emerging Markets in der Spitze um rund 25 % zugelegt. Im laufenden Jahr verzeichneten die Schwellenländer einen Gewinn von 2,4 %, während das Marktbarometer der Industrienationen, der MSCI World, rund 1,1 % verloren hat.Grund für die Erholung sind nachlassende Befürchtungen, dass Chinas Wirtschaft abstürzen könnte. Außerdem haben sich die für viele Schwellenländer wichtigen Rohstoffpreise kräftig erholen können. Verringert haben sich auch die Sorgen um Zahlungsausfälle von Schuldnern aus Schwellenländern. Nicht zuletzt haben auch das Ende der Dollar-Aufwertung und die von der US-Notenbank Fed signalisierte langsame Gangart bei den Leitzinsanhebungen die Emerging Markets gestützt. Zudem waren nicht nur Aktienkurse und Bewertungen sehr stark abgesackt, sondern zugleich auch viele Währungen wie der brasilianische Real oder die türkische Lira. Der Risikoappetit der Investoren hat zuletzt wieder stark zugenommen. Die gesunkenen Befürchtungen um Schwellenländer spiegeln sich auch in einer deutlichen Gewichtsverschiebung in den Portfolien wider. Das zeigt eine weltweite Umfrage der Bank of America Merrill Lynch (BofAML) unter Fondsmanagern. Die Netto-Schwellenländer-Positionen sind im Verhältnis zu den Nettopositionen, die in entwickelten Märkten gehalten werden, im Mai auf ein Dreijahreshoch gestiegen. “Anleger haben ihre Untergewichtung von Schwellenländerengagements beendet”, schreibt BofAML. Weitere Wachstumsquellen nötig Deutlich ermäßigte Aktienbewertungen und Währungen sind auch nach der Gegenbewegung der zurückliegenden Monate ein Argument, das dafür spricht, dass den Emerging Markets in diesem Jahr durchaus die erste Outperformance gegenüber den Aktienmärkten der Industrienationen seit 2011 gelingen könnte. Für einen langfristigen Aufschwung ist allerdings das Wachstum in den Schwellenländern im Vergleich zu den entwickelten Ländern nicht mehr so hoch wie früher. In den vergangenen Jahren hat sich das Wachstumsdifferenzial laut NN Investment Partners sehr rasch auf aktuell 2 % verringert. Eine Ursache ist sicherlich die Wachstumsabschwächung in China. “China, die Wachstumslokomotive der EM, kann die Zuwachsraten des vergangenen Jahrzehnts von über 10 % nicht mehr aufrechterhalten. Einige Schwellenländer müssen daher zusätzliche Wachstumsquellen auftun”, erklärt Marcelo Assalin, Head of Emerging Market Debt bei NN Investment Partners (NNIP). “Unserer Ansicht nach besteht immer noch ein erhebliches Potenzial für Reformen und damit Wachstum. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung in den Schwellenländern sehr viel jünger ist als in den Industrieländern. Daher werden demografische Faktoren weiterhin das Wachstum in den EM stützen.” Allerdings sollten Anleger nicht auf einen Boom wie in der ersten Dekade des Jahrtausends, ein BRIC 2.0 (Brasilien, Russland, Indien und China), für die Emerging Markets in den kommenden Jahren setzen. Die Schwellenländer sind in eine neue Entwicklungsphase eingetreten, in der ihr Wachstum zwar weiterhin dasjenige der Industrienationen übertreffen wird, aber nicht mehr an die sehr hohen Raten aus früheren Jahren anknüpfen wird. “Auch wenn die Zuwachsraten mittlerweile gesunken sind, dürfte sich in den nächsten Jahren wieder ein deutliches Wachstumsdifferenzial abzeichnen. Wir rechnen für 2020 mit einem Gefälle von rund 3,5 Prozent”, prognostiziert Emerging-Market-Experte Assalin. Abwertung hat positive AuswirkungenDie Abwertung der Emerging-Markets-Währungen hatte letztlich auch positive Auswirkungen. So haben sich die Außenhandelsbilanzen in den betroffenen Ländern verbessert. Durch die Abwertungen der Landeswährung sind die Exportgüter wettbewerbsfähiger geworden, was nachfolgend das Wachstum in den Schwellenländern anschiebt. Ein wichtiger Faktor für die weitere Entwicklung der Emerging Marktes ist China. Das Land baut seine Wirtschaft von einem vor allem investitions- und exportorientierten zu einem stärker konsum- bzw. von Binnennachfrage getriebenen Modell um. Die in den vergangenen Jahren aufgebauten Überkapazitäten wie beispielsweise in den Branchen Bau und Stahl werden das Wachstum des Landes bremsen. Dennoch gehört China mit einem geschätzten Wirtschaftswachstum von 6 % zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Neben den positiven Rahmenbedingungen dürfen allerdings die Risiken nicht übersehen werden. Wegen des Rückgangs des globalen Wachstums und der Talfahrt der Rohstoffpreise hat die Bonität gelitten. Unternehmen mit Einnahmen in Landeswährungen und Verbindlichkeiten in Dollar müssen einen Anstieg ihrer Schulden in Landeswährung hinnehmen. Auch die Rohstoffproduzenten haben den Preisverfall schmerzhaft gespürt. Ein Teil dieser Unternehmen hat in der Zwischenzeit die Kostenbasis verbessert, um den Preisverfall aufzufangen. Aber nicht alle. Hinzu kommen natürlich immer noch politische Risiken in den Schwellenländern, wie zuletzt in Brasilien und Südafrika gesehen. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass an den Aktienmärkten der Schwellenländer wie in der ersten Dekade des Jahrtausends nahezu alles steigen wird. Es wird für Investoren wesentlich mehr darauf ankommen zu differenzieren, etwa zwischen Ländern, die Reformen vorantreiben, die ihre Wirtschaft modernisieren, und denjenigen, die sich nur als Rohstoffproduzent und Exporteur betätigen. Eine Anlage in den Emerging Markets wird allerdings wegen der politischen Risiken und der Abhängigkeit von China sowie der Entwicklung des Ölpreises volatil bleiben. Investoren haben die Möglichkeit, über passive wie auch aktiv gemanagte Aktienfonds an einer positiven Entwicklung in den Schwellenländern zu partizipieren. Dabei können sie gezielt über diese Produkte die Märkte von Einzelländern ins Depot bringen oder einen breiten diversifizierten Ansatz fahren. Mit einem Volumen von 3,4 Mrd. Euro ist der iShares MSCI Emerging Markets Ucits ETF (IE00B0M63177) der größte Indexfonds, mit dem Anleger in 836 Unternehmen in den Schwellenländern investieren können. In den zurückliegenden drei Jahren haben die Investoren allerdings schmerzhafte Verluste von 9,3 % jährlich hinnehmen müssen. Erst in den vergangenen drei Monaten gelang mit einem Plus von 4,1 % der Sprung in positives Terrain. Die Entwicklung der Top-Manager bei den aktiv gemanagten Fonds zeigt allerdings, dass Schwellenländer eine Domäne des aktiven Managements sind. Gemäß der Statistik des Analysehauses Morningstar verzeichneten die Fondsmanager in der Kategorie “Aktien Schwellenländer weltweit” einen jährlichen Gewinn von 2,8 % bei einem relativ moderaten Risiko von 15,3 %. Besser als der Kategoriedurchschnitt ist beispielsweise Nick Price, der mit seinem Fidelity Funds – Emerging Markets Fund Y-Acc-USD (LU0346390940) in den zurückliegenden drei Jahren einen Ertrag von 3,1 % p.a. erzielte bei einem Risiko von lediglich 14,9 %. Über fünf Jahre liegt der Wertzuwachs bei 4,9 % jährlich. Mit diesen Leistungen konnte Price seine Benchmark in den zurückliegenden Jahren deutlich schlagen. Daher wurde er von Morningstar mit der maximal möglichen Zahl von fünf Sternen ausgezeichnet. Eine Alternative zu den Schwellenländern sind möglicherweise die Grenzmärkte. Als Frontier Markets werden von Experten diejenigen Volkswirtschaften verstanden, die mit ihrer wirtschaftlichen Leistung an der Grenze zu den Schwellenländern stehen. Indexanbieter wie MSCI definieren zurzeit 23 Länder als Frontier-Märkte. Darunter befinden sich Staaten wie Kuwait, Nigeria, Argentinien und Pakistan. Hier erwarten viele Experten noch gute Zuwachsraten, eine niedrige Staatsverschuldung und eine günstige demografische Entwicklung. Geringe KorrelationWegen der geringen Korrelation zu den Aktienmärkten der Industrieländer eignen sich die Grenzmärkte zur Portfoliodiversifizierung. Dank niedriger Korrelation untereinander sowie mit anderen Schwellenmärkten können Frontier Markets zu einer Diversifizierung hinsichtlich des Länderrisikos beitragen. Nach Untersuchungen von Russell Investments ist die Volatilität in den Grenzmärkten historisch niedriger als bei Indizes entwickelter Länder. Hier kann sich eine Investition als sinnvoll erweisen. Das zeigt auch die Historie. In den zurückliegenden drei Jahren erzielten die aktiv verwalteten globalen Frontier-Fonds nach Berechnungen von Absolut Research eine durchschnittliche annualisierte Rendite von 8,4 % bei einer durchschnittlichen Volatilität von 13,1 %. Der MSCI Emerging Markets musste dagegen einen Verlust von 3,1 % jährlich hinnehmen. Die Fonds mit Afrika-Fokus verloren hingegen durchschnittlich 3 % p.a. bei einer Volatilität von durchschnittlich 14,1 % pro Jahr.Anleger konnten dann mit einem passiv gemanagten Indexfonds wie dem DB x-Trackers S&P Select Frontier Ucits ETF 1C (LU0328476410), der im Dreijahreszeitraum einen Wertzuwachs von 5 % jährlich erzielte, die Schwellenländer schlagen. Deutlich besser entwickelten sich allerdings die aktiv gemanagten Publikumsfonds. Gemäß der Statistik von Morningstar verzeichneten die Fondsmanager in der Kategorie “Aktien Global Frontier Markt” im Dreijahreszeitraum einen jährlichen Gewinn von 3,7 % bei einem relativ moderaten Risiko von 13 %. Auch über fünf Jahre zeigt sich eine Rendite von 5,9 p.a. Herausragend in dieser Kategorie ist der von Christopher Turner betreute HSBC Global Investment Funds – Frontier Markets Class ID (LU0666200695). Binnen dreier Jahre erzielte Turner einen Ertrag von 7,4 % jährlich bei einem Risiko von 13,9 %. Schwerpunktmäßig investiert der Fonds in Asien und im Nahen Osten. Die Beispiele zeigen, dass zwar Frontier Markets das Potenzial besitzen, attraktive Renditen zu generieren. Doch ein Investment hat auch Risiken. Einzelne Länderrisiken können erheblich sein. Außerdem schränken das limitierte Anlageuniversum und auch der Mangel an Aktienliquidität die Chancen ein. Diesem Risiko stehen allerdings die Renditechancen und die geringe Korrelation gegenüber anderen Märkten gegenüber. Die Frontier-Märkte- und Emerging-Market-Fonds eignen sich als Renditebeschleuniger im Rahmen einer Core-Satellite-Strategie. —— 550 Mrd. Dollarsollen nach Einschätzung des internationalen Bankenverbands IIF allein 2015 aus den Schwellenländer-Anlagen abgeflossen sein. Erst im Februar ist die dreijährige Talfahrt in den Emerging-Markets-Börsen zum Stillstand gekommen.