Skandinavischer Regulierungstourismus
Zahlst Du noch oder packst Du schon? Diese Frage werden schwedische Banken jetzt öfter hören, nachdem die bisher in Stockholm ansässige Großbank Nordea für nächstes Jahr ihren Umzug nach Helsinki angekündigt hat (vgl. BZ vom 8. September und heutige Ausgabe Bericht Seite 2). Das würde angesichts der gemeinsamen Historie und der bis heute engen Verbindungen zwischen Schweden und Finnland außerhalb Skandinaviens kaum Schlagzeilen produzieren. Doch die Begründung für den geplanten Umzug hat aufhorchen lassen und Wellen geschlagen. Ausgerechnet die hierzulande vor allem von Bankern und Funktionären aus der Kreditwirtschaft so gescholtene Bankenregulierung in der Eurozone lockt die mit Abstand größte Bank Skandinaviens mit einer Bilanzsumme von 643 Mrd. Euro nach Finnland und damit in die europäische Bankenunion. Denn die schwedische Bankenregulierung wird Nordea zu teuer, von der Flucht in die Eurozone erhofft sich die Bank eine Kostenentlastung von rund 1 Mrd. Euro. Geringere RisikoprämieAm Fall Nordea wird augenscheinlich, dass die so häufig attackierte Gemeinschaftshaftung in der Bankenunion nur die eine Seite der Medaille ist. Die andere Seite ist die Risikoteilung und damit Verbilligung der Risikoprämien. Nichts anderes sind, ökonomisch betrachtet, die Bankenabgabe und die Vorschriften zu Eigenkapital und Liquidität. Im kleinen Schweden würde eine Nordea-Schieflage ein erhebliches Risiko für den Steuerzahler darstellen, folglich muss der Regulierer deutlich höhere Eigenkapitalquoten fordern als beispielsweise in der Eurozone mit nahezu hundert systemisch relevanten Instituten. Ein ähnlicher Effekt ist aus demselben Grund auch in der Schweiz zu sehen.All das hat nichts mit laxerer Aufsicht oder bankenfreundlicheren Regulierern zu tun, sondern liegt als mathematisches Prinzip jeder Versicherung zugrunde. Und der darauf aufbauende Grundsatz der Gemeinschaftshaftung und Risikoteilung hat in der Vergangenheit ja gerade zur Stabilität in der deutschen Kreditwirtschaft beigetragen, sei es in der Sparkassen-Gruppe, sei es bei den Verbünden der Genossenschaftsbanken oder den Sicherungseinrichtungen der privaten Banken.Allerdings, und hier setzt berechtigte Kritik an der Regulierung in der Bankenunion an, sollten unterschiedliche Risikogruppen auch unterschiedlich behandelt werden. Denn sonst kommt es zu Fehlanreizen, die uns aus der Moral-Hazard-Diskussion über die Ursachen der Finanzkrise noch gut in Erinnerung sind, wenn beispielsweise kleine Institute für Risiken großer Banken mithaften sollen – Risiken, die sie aufgrund ihrer Größe selbst nie eingehen könnten und würden. Die in der Bankenregulierung geforderte Proportionalität ist also nicht nur der Lobbyismus der kleinen Banken und Sparkassen, sondern wirtschaftlich und ordnungspolitisch geboten.Man sollte sich also davor hüten, die Umzugspläne von Nordea als Aufforderung zur Schließung von Regulierungsarbitrage zu betrachten nach dem Motto: Schaut her, in der Eurozone besteht noch Nachholbedarf! Vielmehr ist es an der Zeit, die in den zehn Jahren seit Ausbruch der Finanzkrise geschaffenen Vorschriften auf ihre generelle Eignung zur Sicherung der Finanzstabilität und auf ihre Kompatibilität mit anderen Regulierungen zu überprüfen. Die in der Krise entstandene und damals unter dem Zeitdruck nachvollziehbare “One Size Fits All”-Denke, die nur zwischen direkt von der EZB beaufsichtigten großen systemrelevanten Banken und dem Rest unterscheidet, passt nicht mehr. Small Banking BoxIn diesem Kontext weist die von Bundesbank, Finanzaufsicht BaFin und Kreditwirtschaft erarbeitete Idee einer “Small Banking Box” in die richtige Richtung. Denn dass kleine, nur regional tätige Kreditinstitute für den Steuerzahler ein geringeres Risiko darstellen als Großbanken und folglich anders reguliert werden sollten, liegt auf der Hand. Dabei soll es nicht um die Aufweichung der Eigenkapitalanforderungen gehen, sondern um Erleichterungen in der “Verhaltensüberwachung”, also bürokratische Anforderungen wie beispielsweise die Meldevorschriften oder Vergütungsvorgaben. Sie belasten kleinere Institute überproportional. Über die Kriterien, ab wann ein Institut klein genug ist für die Small Banking Box und die damit verbundenen Erleichterungen, lässt sich trefflich streiten. Bei der derzeit vorgeschlagenen Schwelle von 3 Mrd. Euro Bilanzsumme würden etwa vier Fünftel aller Institute in die Small Banking Box passen. Allerdings könnte eine solche Schwelle auch weitere, wirtschaftlich sinnvolle Konsolidierungen kleinerer Institute bremsen. Der Vorwurf an die Aufseher, dass sie mit der Regulierung Strukturpolitik betreiben und kleinere Banken in Fusionen treiben, würde sich ins Gegenteil verkehren. Gemessen an der Bilanzsumme von 2016 liegen beispielsweise von den rund 400 Sparkassen in Deutschland 122 Sparkassen über der Marke von 3 Mrd. Euro; bei den 970 Genossenschaftsbanken sind es 45 Institute, die 2016 mehr als 3 Mrd. Bilanzsumme auswiesen. Die etwa 70 Sparkassen und 40 Genossenschaftsbanken mit einer Bilanzsumme von jeweils zwischen 2 und 3 Mrd. Euro würden sich also genau überlegen müssen, ob der Vorteil der Größe durch Fusionen den Nachteil aufwendigerer Regulierung aufwiegt. Typisch deutschDoch zu solchen Erwägungen wird es voraussichtlich nicht kommen. Denn die Idee der Small Banking Box hat bei Regulatoren auf EU-Ebene und in Nachbarländern wenig Freunde, wie BaFin-Chef Felix Hufeld dieser Tage klarmachte (vgl. BZ vom 8. September). Sie gilt als typisch deutscher Versuch, wieder einmal Sonderregeln für die viel zu zersplitterte Bankenlandschaft in Deutschland zu erreichen. Anstatt sich mit den Sorgen hunderter kleiner Banken herumzuschlagen, ist es ja auch viel reizvoller, sich um die Dickschiffe der Branche wie Nordea zu kümmern, die in den Hafen der EZB-Aufsicht einfahren wollen.—-c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus DöringFür Großbanken ist die EZB-Aufsicht attraktiv, kleinen Instituten nimmt sie die Luft zum Atmen.——-