IM GESPRÄCH: REINER SCHWINGER

"So schlecht kann die bAV nicht sein"

Willis-Towers-Watson-Berater fordert transparente betriebliche Altersvorsorge

"So schlecht kann die bAV nicht sein"

Von Thomas List, Frankfurt557 Mrd. Euro Deckungskapital, eine seit 2001 um über 50 % verbesserte Marktdurchdringung auf rund 60 % und eine verdoppelte durchschnittliche Betriebsrente – “So schlecht kann die betriebliche Altersvorsorge doch nicht sein”, findet Reiner Schwinger, Leiter des nordeuropäischen, österreichischen und deutschen Geschäfts beim Beratungshaus und Versicherungsmakler Willis Towers Watson. “Andere, ausländische Versorgungssysteme haben nach der Finanzkrise sehr gelitten”, sagte Schwinger im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. “Dagegen hat das deutsche System in einem Stresstest der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA 2015 klar bestanden.” VerbesserungspotenzialEs gebe bei der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) aber durchaus noch Verbesserungspotenzial, findet Schwinger und denkt dabei in erster Linie an die (gesetzlichen) Rahmenbedingungen. “Der Gesetzgeber hat’s der bAV nicht leicht gemacht.” Dazu gehörten der vor einigen Jahren für Arbeitgeber verpflichtend eingeführte Versorgungsausgleich sowie nachträgliche Rentenanpassungspflicht im Rahmen der Portabilitätsrichtlinie. “Die bAV muss einfach und transparent sein.” Der Experte macht das mit einem Beispiel deutlich: “Wenn ich mir einen Sportwagen anschaue, interessiert mich auch nicht, wo die Kabel verbaut sind. Ich will wissen, was er verbraucht und wie schnell er fährt.”Auf die bAV übertragen bedeute das: “Der Begünstigte muss zu Hause seiner Oma erklären können: Das ist meine Versorgung, das leistet mein Arbeitgeber, das kommt für mich am Ende heraus.” Die fünf Durchführungswege, also Direktversicherung, Pensionskasse, rückgedeckte Pensionszusage und Unterstützungskasse sowie Pensionsfonds, seien zwar komplex, böten gerade dem Arbeitgeber auch Gestaltungsmöglichkeiten.Für Schwinger sind bei der bAV drei Dinge zentral: Budget, Incentive und Kommunikation. “Wenn einerseits der Arbeitgeber in einer wettbewerbsstarken Branche tätig ist und damit die Lohnkosten unter Druck sind, andererseits die Arbeitnehmer kaum Geld zum Vorsorgen frei haben, hat’s die bAV schwer.” Eine vollständige Marktdurchdringung lasse sich dann nicht erreichen.Unter dem Stichwort Incentive forderte Schwinger, dass Arbeitnehmer sich mit einer Altersvorsorge im Alter auf jeden Fall besser stellen müssten als ohne. “Bei der aktuellen Anrechnung der Vorsorge auf die Grundsicherung ist das nicht der Fall.” Eine Änderung wäre daher sinnvoll. Als zusätzlichen Anreiz tritt Schwinger für das Opting-out ein, bei dem die Mitarbeiter bei Unterzeichnung ihres Arbeitsvertrages automatisch an der Entgeltumwandlung teilnehmen, es sei denn, sie widersprechen dieser Vereinbarung ausdrücklich. “Eine von uns veranlasste Befragung hat ergeben, dass fast alle Arbeitnehmer ein solches System befürworten.”Schwinger forderte den Gesetzgeber auf, zukünftig auf rückwirkende Regelungen zu verzichten. Denn solche Regeln hätten in der Vergangenheit die Kosten in die Höhe getrieben, was gerade kleinere Unternehmen abgeschreckt habe. Überlegt werden müsse, inwieweit solche dem Grunde nach vermeidbaren Risiken und die daraus folgende Komplexität für Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch eine Art arbeitsrechtliche “Positivliste” vermieden werden könnten. Unter dem Motto Kommunikation forderte der bAV-Fachmann: “Die Leute müssen die bAV verstehen. Wenn sie’s nicht verstehen, ist es nichts wert.” Charmanter VorschlagEinigen Charme kann er dem von Professor Dirk Kiesewetter in seinem Gutachten für das Bundesfinanzministerium gemachten Vorschlag abgewinnen, die bAV mit einem 70-prozentigen Beitragszuschuss des Staates zu fördern. “Wenn diese Förderung wie im Gutachten angeregt auf die Riester-Förderung angerechnet wird, könnte sie sogar aufkommensneutral sein.” Bei einem so hohen Zuschuss dürfte es für die meisten, auch kleineren Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeitern schwer sein, die bAV nicht aktiv anzubieten.Die Nahles-Rente hält Schwinger für ein “interessantes Modell”, fordert aber eine Gleichstellung mit den anderen Durchführungswegen. Offen ist unter anderem noch die Haftungsfrage. Die Arbeitgeber wollen eine Enthaftung, die Gewerkschaften eine Mindestgarantie. “Aber wer gibt die? Die Einrichtung selbst scheidet wegen den Eigenkapitalregeln nach Solvency II aus, weil sie dann eine Versicherung wäre. Der Pensionssicherungsverein hat abgewinkt. Bliebe der Staat. Aber Finanzminister Schäuble dürfte kaum begeistert sein. Oder nur zum Preis einer scharfen Regulatorik zustimmen.”Die Riester-Rente findet Schwinger gut, weil sie ein Bewusstsein für die Altersvorsorge geschaffen hat. Er plädiert aber dafür, Riester und die bAV wieder zusammenzubringen, zum Beispiel über den von Kiesewetter vorgeschlagenen bAV-Förderbetrag. “Im Moment wird die Riester-Rente in erster Linie privat abgeschlossen. Das treibt die Kosten. Besser wäre es, einen modifizierten Riester wieder in die Unternehmen und damit ins Kollektiv zu bringen.” Die meisten Arbeitnehmer sähen ihre Arbeitgeber als Treuhänder an. “Sie können eine notwendige Instanz sein, um die Informationsasymmetrie zwischen Arbeitnehmer und Anbieter zu bereinigen.”