Software-Roboter sind in der Finanzwelt angekommen

Anbieterlandschaft entwickelt sich schnell - Für zahlreiche Beobachter sind Robotics der Einstieg in die nächsten Schritte der digitalen Evolution

Software-Roboter sind in der Finanzwelt angekommen

Die in der Industrie schon verwirklichte Prognose, dass Roboter künftig in der Lage sein sollen, einen großen Teil der Arbeit von Menschen zu übernehmen, ist gleichermaßen beeindruckend wie beängstigend. Das Thema ist auch in der Finanzbranche angekommen. In der Assetmanagement-Industrie etwa gibt es erhebliche Potenziale für diese Form der Automatisierung. Die Branche setzt sich mit den Möglichkeiten dieser neuen Technologie und deren Einbindung in die bestehenden Arbeitsprozesse zunehmend auseinander.Unter Robotics Process Automation (RPA) versteht man Software-Roboter, die standardisierte Tätigkeiten wie ein Mensch erledigen. Es sind virtuelle Arbeitskräfte, die manuelle, sich wiederholende Aufgaben rund um die Uhr (“24 x 7”) mit einer Fehlerquote von null bearbeiten. Die Aktivitäten eines menschlichen Mitarbeiters werden dabei nachgeahmt. Der Zugriff auf Systeme erfolgt, wie bei Mitarbeitern, ausschließlich über User-Interfaces mit den erforderlichen Log-ins und Eingaben. Die Arbeit des Roboters ist über Anwendungen und Systemgrenzen hinweg darstellbar. Sie lässt sich einfach protokollieren und nachvollziehen. Abläufe können als Prozessdiagramm abgebildet werden. Da weder die zugrundeliegenden Systeme und die Infrastruktur noch die Prozesse angepasst werden müssen, sind die Einführungszeiten kurz.Als Anwendungsbereiche für Robotics kommen alle stabilen, regelbasierten Prozesse, die einen relevanten Teil manueller Aufgaben (“Workarounds”) haben, in Frage. Der Roboter kann Systemeingaben machen und auf Antworten der Systeme reagieren. Beispielhaft kann die Überbrückung von Systembrüchen durch manuelle Eingaben bei der Übertragung von Daten genannt werden. Ebenso kommen Robotics zum Einsatz bei der Aktualisierung identischer Informationen in unterschiedlichen Systemen sowie bei Datenkorrekturen über verschiedene Systeme und Konten hinweg. Grundsätzlich unterstützt Robotics bei der Aufbereitung, Integration und Auswertung von Daten (etwa bei Datenabzug oder Datenzusammenführung) sowie bei der Abstimmung von Daten (etwa bei Konsistenzprüfungen von Daten aus unterschiedlichen Systemen). Auch bei Datenzulieferungen und laufenden Kalkulationsprozessen bieten Software-Roboter einen hohen Mehrwert.Der Software-Roboter kontrolliert dabei nicht nur die Interaktion mit verschiedenen Systemen und Werkzeugen. Er trifft darüber hinaus regelbasierte Entscheidungen und steuert Arbeits(teil)ergebnisse aus, wenn sie nicht vollständig bearbeitet sind. Software-Roboter automatisieren Prozesse weiter und sind dabei – im Vergleich zu ihren menschlichen Kollegen – in der Regel deutlich schneller, fehlerfreier und kostengünstiger. Robots führen zum Beispiel zu einer Reduktion der Kosten für die Datenerfassung von bis zu 70 %, bei einer zweistelligen Reduktion der Fehlerquote und etwa einem Drittel der Kosten eines Offshore-Mitarbeiters.Innovative Robotics-Technologien verfügen über ein enormes Wachstumspotenzial. Entsprechend entwickelt sich der Anbietermarkt derzeit sehr schnell. Es ist zu erwarten, dass die Software künftig noch universeller einsetzbar wird, wenn Elemente von künstlicher Intelligenz und Machine Learning weitere Fortschritte machen. Branchenexperten schätzen das Einsparpotenzial durch robotergestützte Prozessautomatisierung sehr hoch ein. Über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren werden Einsparungen in der Marktfolge von bis zu 50 % prognostiziert. Unsere Erfahrung zeigt, dass in einem ersten Schritt Einsparungen von ca. 25 bis 35 % realistisch sind.Ein Fallbeispiel aus der Praxis zeigt, dass die Kosten für die Einführung von Robotics in kurzer Zeit wieder amortisiert werden. Die einmaligen Implementierungskosten bei einer mittelkomplexen Funktion entsprechen etwa zwei bis drei Mitarbeiterkapazitäten (“MAK”). Pro Mitarbeiter setzen wir hier 100 000 Euro an. Die jährlichen Lizenzkosten für zehn Robots entsprechen 1 MAK. Der jährliche Aufwand für die Wartung von zehn Robots entspricht ebenfalls 1 MAK. Bei einer mittel-komplexen Funktion, für die zehn MAK benötigt werden, kann durch den Einsatz von Robotics eine 30-prozentige Effizienzsteigerung realisiert werden. Das bedeutet eine Einsparung von ca. 600 000 Euro in zwei Jahren und damit eine Gesamtrentabilität (Return on Investment) von rund 175 %.Die Auswahl und Identifikation der geeigneten Prozesse ist wesentlich für die erfolgreiche Implementierung von Robots. Es eignen sich vornehmlich Aufgaben mit verschiedenen Daten, die in mehreren Anwendungen oder Systemen genutzt und manuell in irgendeiner Art und Weise bearbeitet werden. Die damit verbundenen Prozesse sind definiert, strukturiert und regelbasiert, aber auch fehleranfällig bei einer hohen Frequenz. Gemein ist ihnen, dass sie regelmäßig und häufig (zum Beispiel täglich oder wöchentlich) ausgeführt werden und sowohl zeitaufwendig als auch zeitkritisch sein können. Die für die Automatisierung geeigneten Prozesse interagieren mit verschiedenen Systemschnittstellen und sind hinsichtlich der Qualität und Prüfung häufig verbesserungswürdig.In der Wealth- und Assetmanagement-Welt können Robotics genutzt werden, um die Effizienz zu steigern, Kosten über diverse Funktionen zu reduzieren oder das Geschäftsmodell von Asset-Services-Unternehmen anzupassen. Es existiert eine Vielzahl an Möglichkeiten, um einfache, repetitive und manuelle Prozesse, die dennoch sehr zeitintensiv sind, anzugleichen. Die Tabelle verdeutlicht für jedes Geschäftsfeld die Einsatzmöglichkeiten von Robotics anhand von zwei Beispielen. Lernende RoboterDie meisten Robotics-Process-Automation-(RPA-)Projekte zielen auf Kostensenkungen durch Personalabbau oder auf den Ausgleich häufiger Spitzen ab. Kostenreduktionen für Aufgaben mit großer Häufigkeit in Höhe von 50 bis 70 % sind dabei durchaus erzielbar sowie eine Reduktion außergewöhnlicher Kosten durch die Vermeidung von Fehlern. Weitere Vorteile sind in Prozessverbesserungen zu finden, etwa in Form höherer Kundenzufriedenheit, größerer Konsistenz oder in der Kontrolle und Rückverfolgung von Prozessschritten.Für eine erfolgreiche Umsetzung sind der Aufbau eines unternehmensgetriebenen, IT-gestützten Geschäftsmodells sowie die Einbindung in die Strategie, die Geschäftsplanung und Ausführung unerlässlich. Werden diese Erfolgsfaktoren berücksichtigt, dann dürften auch kleinere Herausforderungen auf der operativen Ebene den Siegeszug von Robotics im Rahmen der Digitalisierung nicht aufhalten.Für viele Beobachter sind Robotics der Einstieg in die nächsten Schritte der digitalen Evolution. Der Einsatz rein regelbasierter Robotics ist als Phase der “Basisdigitalisierung” zu verstehen. Aktuell sind wir bereits in einer Phase der erweiterten Digitalisierung durch den Einsatz (teil-)kognitiver Roboter, die statistische Modelle oder teilweise maschinelles Lernen für spezielle Aufgaben anwenden. In der nächsten Stufe, dem kognitiven Entscheidungsmanagement, werden wohl kognitive (lernende) Roboter eingesetzt, die maschinelles Lernen oder statistische Modellierungsansätze verwenden.—Oliver Heist, Partner, Wealth & Asset Management Leader bei EY Financial Services