Sozialpartnerschaft ist gelebte Demokratie
Gastbeitrag: 70 Jahre AGV Banken
Sozialpartnerschaft
ist gelebte Demokratie
Von Dr. Thomas A. Lange, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes des privaten Bankgewerbes e.V. und Vorsitzender des Vorstandes der National-Bank AG
Wenn der Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (AGV Banken) am heutigen Tag sein 70-jähriges Bestehen feiert, dann ist das nicht nur ein Festtag für unsere Branche, sondern auch für die Sozialpartnerschaft und damit für gelebte Demokratie. Der Wert der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz für die Stabilität und den sozialen Frieden in unserem Land kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden – dies umso mehr in unruhigen Zeiten, in denen freiheitlich-demokratische Grundordnungen weltweit unter Druck stehen.
Partnerschaft nach Maß
Im vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmen ist die Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in erster Linie Aufgabe der Koalitionen – aus gutem Grund: Ganz bewusst liefert die Sozialpartnerschaft in Deutschland keine Lösungen von der Stange, sondern Maßanfertigungen durch branchen- und betriebsbezogene Aushandlungsprozesse. Es ist diese Möglichkeit der Differenzierung, die wesentlich zum Erfolg unserer sozialen Marktwirtschaft beiträgt und die wir deshalb mit allen Mitteln stärken müssen.
Genau diese Differenzierung war auch Keimzelle des AGV Banken. Seit 1947 hatten die Besatzungsmächte auf die Gründung besonderer sozialpolitischer Verbandsorganisationen gedrungen, damit Verhandlungspartner für die bereits früh formierten Gewerkschaften des Bankgewerbes entstanden. Allerdings bildeten sich daraufhin zunächst Verbände auf Landesebene, die noch dazu fast das gesamte Kreditgewerbe in all seiner Heterogenität umfassten.
Gründung in Köln
Um diese Zersplitterung zu beenden und insbesondere Tarifverhandlungen zu vereinfachen, trieben die privaten Banken deshalb die Bündelung ihrer sozialpolitischen Interessen in einem eigenen Verband voran. Das gelang 1954: Am 22. September wurde der Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes in Köln gegründet, fünf Jahre nach dem Inkrafttreten von Grundgesetz und Tarifvertragsgesetz, zweieinhalb Monate nach dem „Wunder von Bern“.
Das Tarifkartell als einende Kraft war damit auch im Bankgewerbe installiert. Schon am 2. November 1954 schloss der AGV Banken den ersten bundesweiten Tarifvertrag (West) für das private Bankgewerbe nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Manteltarifvertrag sah eine 46-Stunden-Woche und je nach Alter drei bis vier Wochen Jahresurlaub vor, der Gehaltstarifvertrag enthielt fünf Tarifgruppen und vier Ortsklassen.
Mehr als Tarifpolitik
Zugleich war bereits den Gründern des Verbands bewusst, dass Sozialpartnerschaft weit mehr ist als Tarifpolitik. So vermerkte der erste AGV-Vorsitzende Dr. Hans Janberg, Vorstandsmitglied der damaligen Rheinisch-Westfälischen Bank, es gebe über die Gehaltsverhandlungen hinaus „eine Vielzahl anderer sozialpolitischer Aufgaben, die nicht nur von finanzieller, sondern mehr noch von erheblicher psychologischer Auswirkung auf den Arbeitsschwung und damit die Leistungsfähigkeit unserer Mitarbeiter sind.“
In diesem Geist hat der AGV Banken in den zurückliegenden 70 Jahren die Geschicke der Branche maßgeblich und stets auf Höhe der Zeit mitgestaltet. Tarifpolitisch waren die Banken-Sozialpartner mehrfach Vorreiter – etwa 1989 mit einer Tarifregelung zu Chancengleichheit, Familie und Beruf, 1997 mit der Vollangleichung der Tarife in Ost- und Westdeutschland, 2001 mit dem Langzeitkonten-Tarif oder zuletzt 2023 mit dem Tarifvertrag zur betrieblichen Altersversorgung nach dem Sozialpartnermodell Betriebsrente.
Gestaltung in der Krise
Besondere Gestaltungskraft hat unsere Sozialpartnerschaft auch in Krisensituationen bewiesen. Infolge der Finanzkrise wurde 2010 der Rationalisierungsschutz verbessert, im für die Banken schwierigen Niedrigzinsumfeld der 2010er Jahre gelangen branchenkonforme Gehaltstarifabschlüsse, und mit Ausbruch der Corona-Pandemie verständigten sich die Tarifparteien 2020 innerhalb nur eines Monats auf einen Kurzarbeitstarifvertrag.
Sozialpolitisch hat der AGV Banken im Laufe der Jahrzehnte ein breites und weiter wachsendes Netzwerk in Politik, Verbändewelt, Gewerkschaften, Sozialversicherungen, Arbeitsschutz und Berufsbildung aufgebaut. Jüngster Mosaikstein ist hier ein verstärktes gesellschaftspolitisches Engagement: Im Dezember 2023 hat der AGV Banken mit Verdi und dem Business Council for Democracy eine gemeinsame Initiative zur Demokratiestärkung gestartet. Auch das verstehen wir als unseren sozialpartnerschaftlichen Auftrag.
70 Jahre AGV Banken sind somit integraler und identitätsstiftender Bestandteil der sozialpartnerschaftlichen Erfolgsgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland.