Sparen gegen den Preisauftrieb
Das Wachstum kurzfristiger Kundeneinlagen in deutschen Banken und Sparkassen setzt sich in diesem Jahr mit gedrosseltem Tempo fort, wie eine Umfrage unter einem Dutzend Finanzinstituten sowie Bundesbank-Daten zeigen. Das wird nach Einschätzung der meisten befragten Häuser vorerst so bleiben, doch zeichnen sich erste Umschichtungen von kurz- zu längerfristigen Einlageformen ab.
Angesichts der im Juli eingeläuteten Zinswende der EZB ist das einerseits kaum verwunderlich, andererseits spielen aber auch Faktoren eine Rolle, die dem entgegenwirken. Deshalb tut sich die Branche schwer, inmitten der Gemengelage von Zinsanstieg, Ukraine-Krieg, anziehenden Konsumausgaben nach den Corona-Lockdowns, Energiepreisexplosion und allgemein hoher Inflation verlässliche Prognosen zur Entwicklung der Kundeneinlagen abzugeben.
Termineinlagen wieder chic
Schon seit Jahresbeginn sind Termineinlagen wieder attraktiv geworden. Erstmals seit mehr als drei Jahren stieg ihr Volumen bei deutschen Finanzinstituten im Januar im Vergleich mit dem Vorjahr leicht an und im Juli gar um 9% auf insgesamt 943 Mrd. Euro, wie die aktuellsten Bundesbank-Statistiken zeigen (s. Grafik). Auch die Sichteinlagen, also vor allem auf Girokonten schlummernde Kundengelder, legten weiter zu, allerdings im Vergleich mit den Coronajahren 2021 und 2020 mit nur noch etwa halbierten Wachstumsraten. Im Juli wuchsen die Sichteinlagen um 5,5% auf insgesamt 2,95 Bill. Euro. Sie machen damit das Gros der seit Jahren anschwellenden Gesamteinlagen von zuletzt knapp 4,5 Bill. Euro aus. Spareinlagen waren hingegen wie meistens in den vergangenen zehn Jahren Jahr für Jahr rückläufig.
Anders ist das unter den befragten Sparkassen und Banken bei der ING, die in den vergangenen Monaten ein Einlagenwachstum auch bei Spareinlagen ausgemacht hat. Das Institut hatte am Tag der EZB-Zinsanhebung am 23. Juli eine gestaffelte Verzinsung von bis zu 1,5% auf einen Sparbrief angekündigt. Angesichts der Zinserhöhungen der EZB sei mit mehr Sparzinsangeboten zu rechnen, sagte ein Sprecher. Dies könne dazu führen, dass Kunden wieder mehr Geld auf Sparkonten hinterlegen. Zugleich bleibe abzuwarten, wie sich die Inflation auf die Sparquote der Deutschen auswirkt.
Die DKB verweist diesbezüglich darauf, dass die steigende Preisentwicklung, vor allem Energie, Wohnen und Mobilität betreffend, Kunden veranlassen könnte, Einlagen abzuziehen. Deutsche Sparer tendierten jedoch vor allem in Krisenzeiten dazu, andere Ausgaben einzuschränken, um Erspartes zu schonen. Da neben der Inflation auch die stark mit politischen und makroökonomischen Entwicklungen verknüpfte Konjunktur das gesamte Einlagenvolumen wesentlich beeinflusse, unterliege sie einer hohen Unsicherheit.
Den Menschen könne infolge der Inflation zunehmend der finanzielle Spielraum entzogen werden, zeigte sich auch ein Sprecher der Frankfurter Sparkasse besorgt. „Die höheren Kosten für die Lebenshaltung werden zwangsläufig die Konsumlaune drücken und auch dazu führen, dass weniger für die Altersvorsorge zurückgelegt werden kann.“
Die durch stark steigende Lebenshaltungskosten eingeschränkten Möglichkeiten der Ersparnisbildung sind auch bei der Mittelbrandenburgischen Sparkasse in Potsdam Topthema. Die Kunden hielten infolge der Unsicherheit im inflationären Umfeld mehr Liquidität, sagt ein Sprecher. Die Sichteinlagen stiegen demnach jüngst weiter an. Die weitere Entwicklung sei auch wegen geopolitischer Herausforderungen, Lieferkettenproblemen und des dynamischen Zinsumfeldes weitgehend unwägbar.
Die Commerzbank sieht aufgrund der Rahmenbedingungen derzeit von konkreten Prognosen zur Einlagenentwicklung ab. Auch seit Jahresbeginn sei das gesamte Einlagenvolumen leicht gestiegen. Zu bemerken sei seit einigen Wochen eine leicht erhöhte Nachfrage bei Termineinlagen, wohingegen zuvor jahrelang keine nennenswerten Volumenzuwächse bei Termin- und bei Spareinlagen aufgetreten seien.
Einlagenzuflüsse nimmt auch die HVB wahr, wobei auch die Nachfrage nach Termingeld anziehe. Ein Sprecher der Unicredit-Tochter rechnet mit weiter steigendem Einlagenvolumen. „Anleger sehen Einlagen nicht nur als Liquiditätsreserve, sondern auch – trotz negativer Realrenditen – als sicheren Hafen in unsicheren Zeiten.“
Der Privatkundenbank der Deutschen Bank sind im Halbjahr netto 3 Mrd. Euro auf Einlagen zugeflossen – 1 Mrd. im ersten Quartal und 2 Mrd. Euro im zweiten. Aussagen zur Entwicklung im laufenden dritten Quartal möchte ein Sprecher nicht abgeben. Er verweist auf Vizechef Karl von Rohr, der vor Kurzem auf sinkende Kontostände bei vielen Privatkunden hinwies und auf häufigere Inanspruchnahme von Dispokrediten.
Die Sparda-Bank Hessen sieht im eigenen Hause keine Änderung des in den vergangenen Jahren bei den meisten Instituten vorherrschenden Musters, das einen Anstieg der täglich fälligen Gelder bei gleichzeitigem Rückgang oder Stagnation von Spar- und Termineinlagen zeigte.
Die Frankfurter Volksbank geht ebenfalls von weiterhin moderaten Zuwächsen beim Einlagenvolumen aus. Die Kunden werden nach Einschätzung eines Sprechers trotz gestiegener Kosten für die Lebenshaltung grundsätzlich an ihrem Sparverhalten festhalten.
Etwas anders sieht es bei der Targobank aus, wo sich das gesamte Einlagenvolumen seit Jahresbeginn leicht rückläufig entwickelt. Spar- und Termineinlagen legten langsam zu, wie ein Sprecher sagt, doch kompensiert das nicht den Abzug von Sichteinlagen. Diese Entwicklung werde anhalten: „Angesichts der Preissteigerungen, z.B. Energiekosten, wird das Gesamtvolumen inklusive täglich fälliger Einlagen voraussichtlich weiter sinken.“
Einigkeit herrscht bei Santander und der Mannheimer VR Bank Rhein-Neckar darüber, dass Einlagen wieder begehrt würden, nachdem sich viele Institute in den vergangenen Jahren mit den hohen Zuflüssen schwertaten. „Der Wettbewerb um Kundeneinlagen wird zunehmen“, heißt es von Santander, die seit diesem August ein gebremstes Einlagenwachstum in jüngster Zeit erlebt und leichte Abgänge bei Sichteinlagen. Die zunehmende Zinsdifferenz zwischen kurz- und längerfristigen Einlagen werde größer, was sich in der Volumenentwicklung widerspiegeln werde. In Mannheim geht man ebenfalls davon aus, dass bisher favorisierte kurzfristige Gelder sukzessive in längere Laufzeitenbänder umgeschichtet werden. Auch sei „der auf der Einlagenseite neu entfachte Wettbewerb der Kreditinstitute um Kundengelder“ zu beobachten.
Umworbene Kundengelder
Mit der Zinswende sind Einlagen von Banken meist wieder erwünscht. Zuvor war das angesichts des von der EZB erhobenen Strafzinses von zuletzt −0,5% auf bei ihr geparkte Einlagen anders. Die meisten Banken und Sparkassen haben seitdem Verwahrentgelte abgeschafft, also an die Kundschaft weitergegebene Negativzinsen auf Einlagen.
„Das Werben der Finanzinstitute um Einlagen beginnt wieder“, hat Oliver Mihm, Vorstandschef der Frankfurter Beratungsfirma Investors Marketing, beobachtet. „Der Retailmarkt wird wieder viel stärker für das Funding der Banken herangezogen, da die Zinsen am Kapitalmarkt sehr schnell weggelaufen sind.“ Weil Retail-Funding deutlich unter den am Kapitalmarkt fälligen 2 bis 3% liege, geht er davon aus, dass Institute wieder Zinskampagnen fahren, um Einlagen anzuwerben. „Viele haben die hohen Kapitalmarktzinsen unterschätzt und sind nun froh um ihre Kundeneinlagen.“
Die nächsten zehn Jahre werden seiner Einschätzung nach nicht so erfolgsverwöhnt wie die vergangenen zehn. „Deshalb ist es für die Institute wichtig, auf ihre Einlagenbestände zu achten, denn da draußen gibt es Player, die sehr vieles mit den Einlagen anzufangen wissen.“ Deutschland sei ein beliebter Fundingmarkt. Bekanntlich sammeln Zinsportale wie Weltsparen oder Zinspilot Gelder deutscher Bankkunden ein und vermitteln sie an ausländische Institute zu höheren Zinsen. „Geld ist auch ein Zeichen von Vertrauen und Bindung, von daher wäre es sträflich, es abzugeben“, warnt Mihm.
Er erwartet in Kürze erste signifikante Bewegungen am Markt: Kunden forderten mehr Zinsen ein, und Zinsportale und zumindest die größeren Banken würden dem nachkommen und ordentlich Geld einsammeln. Da der größte Teil der Kundeneinlagen bei Banken Sichteinlagen sind, die jederzeit abgezogen werden können, stünden die Institute vor der Herausforderung, ihre Passivseite besser zu strukturieren und zu analysieren, wie ihre verschiedenen Kundensegmente auf Zinserhöhungen reagierten.
Noch aber hätten Banken es nicht nötig, Kunden mit attraktiven kurzfristen Tagesgeldzinsen zu locken, sagt Max Herbst, Gründer der Frankfurter FMH-Finanzberatung. „Dafür liegt noch genügend Geld auf den Girokonten. Anders sieht es beim Festgeld aus, welches viele Banken mit hoher Ratenkreditnachfrage gerne als günstige Refinanzierung verwenden und keine Sicherheiten bei der EZB hinterlegen müssen.“ Zu erwarten seien verlockende Zinsangebote. Tages- und Festgeldzinsen würden weiter stark steigen, „aber reich wird man bei den Inflationsraten erstmal nicht“ (s.Grafik).
Von Tobias Fischer, Frankfurt