Sperrige Regulierungsfragen im Clearing-Markt
Von Dietegen Müller, FrankfurtDie Bedeutung des Clearings, der zentralen Verrechnung von Transaktionen, nimmt regulatorisch bedingt seit der Finanzkrise zu. Clearingpflichten etwa für bilateral gehandelte, standardisierte Kontrakte lassen Clearinghäuser und ihre zentralen Kontrahenten (CCP) gedeihen.Anders als in den USA ist der Clearingmarkt in Europa fragmentiert. Der Branchenverband Each umfasst zwanzig Mitglieder. Einige von diesen dürften weiter kräftig wachsen. Damit stellt sich die Frage ihrer Systemrelevanz – in der Branche ist von “supersystemisch” die Rede, da Clearinghäuser zwar Risiken mindern, aber auch Marktstrukturen verändern, was neue Risiken schaffen könnte. Würden durch den Kollaps einiger Clearingmitglieder – also Banken – die Clearinghäuser selbst in Schieflage geraten, wäre dann die Finanzstabilität durch Rückkoppelungseffekte gefährdet? Diese Frage wird kontrovers diskutiert.Um zumindest das Risiko einer Belastung des Steuerzahlers im Fall einer Schieflage eines Clearinghauses zu mindern, hat die EU-Kommission Ende November 2016 einen Vorschlag für eine CCP-Richtlinie vorgelegt (vgl. BZ vom 29.11.2016). Sie orientiert sich an der Abwicklungs- und Sanierungsrichtlinie für Banken. Auch das Financial Stability Board (FSB) macht seinerseits Vorschläge zur Stärkung der Widerstandskraft von CCP. Es muss sich noch zeigen, inwieweit diese Varianten einander voll entsprechen oder ob es auch Widersprüche gibt.Es stellen sich aber auch akut spezifische Fragen zum Wettbewerb und zur grenzübergreifenden Regulierung im Clearingmarkt. Die geplante Fusion von London Stock Exchange (LSE) und Deutscher Börse lebt stark vom geplanten Zusammenschluss ihrer Clearing-Aktivitäten (LCH.Clearnet und Eurex Clearing/European Commodity Clearing). Denn das Clearing-Geschäft lebt von Größenvorteilen. Wachstum vs. KonkurrenzEine Konsolidierung ist aus Sicht von Marktteilnehmern insofern wünschenswert, da Skaleneffekte bessere Angebote schaffen dürften. Doch als Gegenleistung für verschärfte Clearingpflichten will die EU mehr Wettbewerb sehen. So sollen Handelsteilnehmer prinzipiell auf allen Handelsplätzen das Clearinghaus ihrer Wahl nutzen können. Diese in der Umsetzung komplexe “Interoperabilität” stärke den Wettbewerb. Auch besteht eine gewisse Skepsis gegenüber der Formung von sehr großen Anbietern.Die Meinungen sind geteilt, was die derzeitige Qualität des Wettbewerbs anbelangt. Der Markteintritt außereuropäischer Anbieter wie des US-Clearers DTCC, der über seine Tochter European Central Counterparty (EuroCCP) in Europa, wie es heißt, mit Tiefpreisen auftritt, gilt etwa als ein Wettbewerbstreiber.Für Jan Pieter Krahnen vom House of Finance der Uni Frankfurt ist ein solcher Preiswettbewerb aber nicht frei von Risiken. Es bestehe die Möglichkeit eines Wettbewerbs um die niedrigsten Einschusspflichten (Margin), was Risiken für die Systemstabilität bergen könnte. Craig Pirrong, auf bilaterale Marktplätze spezialisierter Finanzprofessor am Bauer College of Business der Universität Houston (USA), meint dagegen, in Anbetracht der Skaleneffekte von Clearinghäusern sei es unwahrscheinlich, dass es überhaupt einen großen Wettbewerb in der EU gebe. Sprich: Die Auswahl sei doch nicht so groß für eine echte Wahl.Beide Einschätzungen sind unbefriedigend. Trifft zu, dass es an Wettbewerb mangelt, müssten ja etwa in Euro denominierte Kontrakte fast zwangsläufig mangels Alternativen weiter über die britische LCH.Clearnet verrechnet werden, die dort zentral positioniert ist – selbst wenn Großbritannien aus der EU austritt. Der Verkauf der französischen Clearing-Tochter der LCH-Gruppe, Clearnet SA, an den Börsenbetreiber Euronext – der 20 % an EuroCCP hält – soll dagegen zunächst einmal vorbeugen, dass die EU-Kommission zu große Bedenken gegen die Fusion von LSE und Deutscher Börse hegt.Jan Pieter Krahnen könnte sich auch ein anderes Wettbewerbsmodell vorstellen und verweist auf die USA. Dort gibt es im Aktien-Clearing den bereits erwähnten Monopolisten DTCC, eine Genossenschaft: “Dies scheint mir marktwirtschaftlich vernünftig für solche Infrastrukturanbieter, da es sich um ein natürliches Monopol handelt.” Skalenerträge seien maximal ausgenutzt und erlaubten maximales Cross-Margining, was die Banken entlaste. DTCC unterstehe dafür einer zentralen Aufsicht, die den ganzen Markt einsehen könne. Die kennt Europa nicht. Eine einheitliche Aufsicht zu schaffen sei angezeigt. Wer beaufsichtigt wie?Hier ist der nächste Knackpunkt. Auch ohne den Austritt Großbritanniens aus der EU fehlt eine einheitliche Aufsicht. Stattdessen setzt die EU auf sogenannte Aufsichtskollegien. Auch der Entwurf für die CCP-Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie hält daran fest. Für Krahnen nicht die beste Lösung: “Es braucht eine Aufsicht, welche die Gesamtmarktlage übersehen kann und nicht nur Einzelinstitute beobachtet. Die europäische Aufsicht ist viel zu fragmentiert, um diese Aufgabe wahrnehmen zu können.” Es gebe eine Tendenz nationaler Behörden, nationale Institute zu verteidigen, so Krahnen: “Im Wettbewerb standzuhalten steht in Widerspruch zur ausreichenden Stabilität.” Ein zentraler Aufseher könne “früher eingreifen”, wenn ein Wettbewerb die Systemstabilität zu gefährden drohe. Voraussetzung sei, dass die Aufsicht den gesamten Datensatz aus dem Markt erhält. “Die Praxis zeigt bisher aber, dass nationale Aufseher ungern ihre Daten mit anderen teilen”, erklärt Krahnen.Durch den geplanten EU-Austritt Großbritanniens stellt sich auch die Frage, ob das Clearing Euro-denominierter Kontrakte – alle in Euro denominierten Zins-, Rohstoff-, Währungs- und Wertpapierkontrakte – außerhalb einer EU-Regulierung an der Themse bleiben könnte. EZB-Chef Mario Draghi erklärte jüngst, angesichts des möglichen Verlusts der EZB-Aufsicht werde es wichtig, für CCP Lösungen zu finden, die “das bestehende Niveau an Aufsicht und Überwachung zumindest erhalten oder idealerweise verstärken”. Wie diese durchsetzbar wären, dürfte so offen sein wie die Frage, Clearinghäuser in zwei Rechtsrahmen, aber unter einem gemeinsamen Dach optimal zusammenzuspielen zu lassen.Krahnen meint, eine alleinige britische Aufsicht würde “impliziten Haftungszusagen des französischen oder deutschen Fiskus” im Fall einer Schieflage von LCH.Clearnet nicht mitbedenken. Vermeiden ließe sich dies nur, wenn die Aufsicht für LCH.Clearnet in der Eurozone angesiedelt sei – bei den Eurozonen-Banken würden ja die großen Risiken aus diesen Transaktionen liegen: “Als politisch Verantwortlicher würde ich nur zustimmen unter der Maßgabe, dass der Sitz des britischen CCP in der Eurozone liegt, und würde mich darum kümmern, dass dieser zentral überwacht wird.”