Städtebau - ästhetisch heißt nicht immer wirtschaftlich
In den deutschen Städten werden architektonische Geschmacksfragen schnell zum Zankapfel. Da verwundert es nicht, dass die Entscheider der öffentlichen Hand bei vielen städtebaulichen Projekten großen Wert auf die Auswahl des Architektenbüros und die Ästhetik der Entwürfe legen. Kommt dabei allerdings die Prüfung der Projekte auf wirtschaftliche Nachhaltigkeit zu kurz, kann sich das später rächen.Städtebauliche Projekte sind maßgeblich von der Popularität unter den Bewohnern abhängig – und diese hängt maßgeblich von Designfragen ab. Um geschmacklich auf der sicheren Seite zu sein, werden heutzutage in der Regel Wettbewerbe ausgerufen, an denen sich eine Vielzahl von Architektenbüros beteiligt. Ein bewusst angefachter Konkurrenzkampf birgt allerdings auch Gefahren: Erstens müssen sich die Teilnehmer mit möglichst extravaganten oder harmonischen – und nicht unbedingt in erster Linie marktkonformen – Entwürfen von ihren Mitbewerbern abheben. Zweitens sollten sich diese Pläne auch möglichst kostengünstig realisieren lassen. Was auf den ersten Blick überzeugend wirkt, kann in der Umsetzung allerdings für große Komplikationen sorgen.Das Ergebnis kennen wir alle: Jahrelange, hitzige Diskussionen im politischen Raum und in der Öffentlichkeit über Projekte, die dann doch nicht realisiert werden, weil sich die potenziellen Investoren nach und nach verabschiedet haben. Oder die große Zahl von Bauschildern in unseren Städten, die über Jahre vollmundig große Entwicklungsvorhaben ankündigen, ohne dass tatsächlich etwas passiert. Und das, obwohl die Immobilien- und Baubranche seit Jahren boomt. Beides belegt eindrücklich, dass hier Handlungsbedarf besteht.Die Lösung stellt sich relativ einfach dar: Vor Ausschreibung eines städtebaulichen Wettbewerbs oder Architekturwettbewerbs für Großprojekte müssen die immobilienmarktspezifischen Anforderungen aus Nutzersicht von unabhängigen Experten aus der Immobilienwirtschaft zusammengetragen werden, damit diese als Rahmenbedingungen in den Wettbewerb eingebracht werden können. Denn nur wenn das Vorhaben eine ausreichende Anzahl von potenziellen Nutzern begeistert, werden sich letztendlich auch Investoren zur Realisierung bereiterklären.Aus diesem Grund sollte die Expertise der Immobilienbranche als ergänzender Faktor zur Architektur und Bauwirtschaft noch deutlich intensiver bei solchen Entscheidungsfindungen zurate gezogen werden, als es bislang oft der Fall ist. Im Rahmen einer marktspezifischen Vorbereitung und im weiteren Prozess einer eingehenden Analyse der städtebaulichen und architektonischen Entwürfe können entsprechende Problemherde bereits frühzeitig erkannt und behoben werden. Lebendige NutzungsmischungSpätestens seit der Leipzig-Charta aus dem Jahr 2007 steht die Quartierentwicklung im Fokus des Städtebaus. Dies bedeutet, dass bei zahlreichen neuen Bauvorhaben eine lebendige Nutzungsmischung im Vordergrund steht. Anstatt einförmiger Schlaf- oder Bürostädte sollen gemischt genutzte Immobilienkomplexe entstehen, die Wohnen und Arbeiten miteinander verbinden und zusätzlich ein attraktives Freizeit-, Einzelhandels- und Gastronomieangebot zu bieten haben – eine Stadt der kurzen Wege. Während diese politische Zielsetzung unter städtebaulichen Gesichtspunkten absolut notwendig ist, sorgt sie gleichzeitig dafür, dass die entsprechenden Immobilienprojekte aus Investorensicht immer komplexer werden.Für welche Branchen und Unternehmen sind die Lage und das Immobilienangebot besonders interessant? Sollten die Zuschnitte der Wohneinheiten für Singlehaushalte ausgelegt werden oder eher familienkonform ausfallen – und, falls beides, in welchem Verhältnis? Mit welcher Passantenfrequenz kann an welcher Stelle gerechnet werden, welche Versorgungsmöglichkeiten sollte ein urbanes Gebiet in Zukunft aufweisen und mit welchem Einzelhandelskonzept kann auf diese reagiert werden?Diese Fragen können selbst etablierte Immobilienexperten nur nach einer eingehenden und interdisziplinären Analyse beantworten. Denn es hängt von einer Vielzahl an demografischen und wirtschaftlichen Faktoren ab, ob sich ein Konzept tatsächlich am Standort realisieren lässt. Und diese Faktoren unterliegen in der Zukunft sogar noch einem gewaltigen Veränderungsprozess.Die rasanten technischen Fortschritte im IT-Bereich sorgen für eine Form der Mobilität, wie sie für frühere Generationen undenkbar wäre. Ein Beispiel dafür ist das eigene Auto: Früher als Notwendigkeit und Statussymbol angesehen, wird es heute immer stärker zum Auslaufmodell. Vor allem viele junge Stadtbewohner gehen inzwischen lieber zu Fuß oder fahren Fahrrad – und wer doch einmal auf vier Räder angewiesen ist, greift auf ein Carsharing-Angebot zurück. Diese sogenannte Walkability muss in den Konzepten unbedingt berücksichtigt werden.Noch deutlicher zeigt sich die digitale Revolution in der Arbeitswelt. Inzwischen stehen alle wichtigen Daten und Profile online zur Verfügung, das Notebook lässt sich überallhin mitnehmen. Das hat einen entscheidenden Einfluss auf die entsprechenden Bürokonzepte: Das Büro ist schon heute für viele nicht mehr der Platz, den man aufsuchen muss, um seine Arbeit zu erledigen. Vielmehr entwickeln sich Büros zu sozialen Treffpunkten, die die Kommunikation, den informellen Austausch, die Stiftung einer Unternehmensidentität und Förderung kreativer Arbeitsprozesse im Fokus haben.Ein solcher Strukturwandel hat enorme Auswirkungen auf Standortbewertungen und Immobilienkonzepte. In den kommenden Jahren werden sich die Anforderungen an Einzelhandels- und Büroflächen wie auch an Wohneinheiten immer schneller verändern. Für städtebauliche Projekte ist deshalb auch die Frage wichtig, wie gut dieser Wandel flächenmäßig abgebildet werden kann. Wenn heute ein Bauvorhaben realisiert wird, muss unbedingt ausreichend bauliche wie technische Infrastruktur vorgehalten werden, damit die Flächen bei Bedarf nachgerüstet werden können und auch bei einem späteren Mieter- oder Nutzungswechsel noch marktgängig sind. Ist dies nicht der Fall, drohen Leerstände und Mietausfälle, die kostbaren innerstädtischen Grundstücke liegen brach.Mein Fazit – Die Verbindung aus immer komplexeren nutzer- und marktwirtschaftlichen Anforderungen, die städtebaulichen und politischen Auflagen sowie die Folgen der Digitalisierung sorgen dafür, dass beim Thema Wirtschaftlichkeit von städtebaulichen Projektentwicklungen mehr Fallstricke lauern als je zuvor. Was sich auf dem Papier in den Entwürfen anschauen lässt, kann sowohl bei der Suche nach Nutzern und Investoren als auch lange nach der Inbetriebnahme Probleme bereiten. Solche Entwicklungsrisiken lassen sich umso effektiver vermeiden, je stärker die Kooperationen zwischen der öffentlichen Hand und der privaten Wirtschaft ausgeweitet – und je früher die Marktexperten der Immobilienwirtschaft in die Entwicklungen eingebunden werden.—-Alexander von Erdély, CEO bei CBRE Deutschland