IM BLICKFELD

Sturm im Teekessel - Die britische Immobilienkrise 2016

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 14.7.2016 So schön es auch sein mag, auf bekannte und bewährte Erklärungsmuster zurückzugreifen: Was derzeit am britischen Immobilienmarkt geschieht, hat mit den Ereignissen von 2007 und 2008 herzlich...

Sturm im Teekessel - Die britische Immobilienkrise 2016

Von Andreas Hippin, LondonSo schön es auch sein mag, auf bekannte und bewährte Erklärungsmuster zurückzugreifen: Was derzeit am britischen Immobilienmarkt geschieht, hat mit den Ereignissen von 2007 und 2008 herzlich wenig zu tun. Die diesjährige Immobilienkrise beschränkt sich bislang auf die Welt der offenen Immobilienfonds, in der Anlegern vorgegaukelt wurde, täglich ihr Geld zurückerhalten zu können, obwohl der Verkauf der damit erworbenen Gewerbeimmobilien drei bis sechs Monate in Anspruch nehmen kann.An diesem Missverhältnis hat sich in Großbritannien – trotz ähnlicher Erfahrungen in der Finanzkrise – nicht viel geändert. Es wurde mehr Cash vorgehalten, vorzugsweise aber in börsennotierte Immobiliengesellschaften (Reits) wie British Land oder Land Securities investiert, deren Kurse prompt unter Druck gerieten, als in den Monaten vor dem EU-Referendum vermehrt Fondsanteile zurückgegeben wurden. Zugleich sanken die Investitionen aus dem Ausland in britische Gewerbeimmobilien deutlich.Im ersten Quartal ging die Aktivität am Markt um ein Drittel zurück, in London gar um mehr als die Hälfte. Dem finanzpolitischen Komitee (FPC) der Bank of England zufolge setzte sich dieser Trend in den Monaten April und Mai fort. Ende vergangenen Jahres belief sich das verwaltete Vermögen der offenen Immobilienfonds im Vereinigten Königreich auf 29,2 Mrd. Pfund. Ende Mai waren es noch 24,5 Mrd. Pfund. Nach der Entscheidung der Briten für den EU-Austritt schloss ein Fonds nach dem anderen die Pforten. Nach dem Standard Life Investments UK Real Estate Fund wurden der Aviva Investors Property Trust und der M & G Property Portfolio Fund vom Handel ausgesetzt. Es folgten weitere Anbieter, bis mehr als die Hälfte der in solchen Vehikeln geparkten Anlegergelder eingefroren war. Untätige AufsichtDem FPC war das Problem seit langem bekannt. Wie dem Protokoll der jüngsten Sitzung zu entnehmen ist, wurde es von der Financial Conduct Authority über das Ausmaß der Abflüsse aus diesen Fonds und die Möglichkeit, dass die Anteilsrückgabe ausgesetzt werden könnte, informiert. Man habe bereits in der Vergangenheit auf die Risiken offener Immobilienfonds hingewiesen, heißt es im Protokoll. Die Untätigkeit der Aufseher mag ihren Grund darin haben, dass die Fonds lediglich 3 % am britischen Gewerbeimmobilienmarkt halten. Zudem sind ausschließlich Kleinanleger davon betroffen. Institutionelle investieren in der Regel über eigene Mandate, aus denen sie ihr Geld ohnehin nicht so schnell wieder abziehen können. Gleichwohl fürchten manche, dass Notverkäufe offener Immobilienfonds die Preise nach unten treiben könnten.Würden die Preise wirklich stark sinken, müssen Banken, die Gewerbeimmobilien als Sicherheiten für Firmenkredite akzeptiert haben, möglicherweise Wertberichtigungen vornehmen. Alles in allem beläuft sich das Exposure der Banken der Deutschen Bank zufolge auf 137 Mrd. Pfund. Davon liegen 79 Mrd. Pfund bei fünf Instituten: Royal Bank of Scotland, Lloyds Banking Group, HSBC, Barclays und Santander (siehe Grafik). Im Gegensatz zu 2007 sind die Institute heute aber wesentlich besser kapitalisiert. Das Exposure ist geringer – bei RBS und Lloyds hat es sich mehr als halbiert. Das Verhältnis von Kreditbetrag und Verkehrswert der beliehenen Immobilien enthält einen erheblichen Sicherheitspuffer. Allerdings würden Abschreibungen die Gewinne der Banken unter Druck setzen.Vom Markt kommen widersprüchliche Signale. Eine ganze Reihe ambitionierter Transaktionen platzte. Andererseits meldete British Land in der vergangenen Woche den Verkauf des Debenhams-Kaufhauses in der Oxford Street an das Family Office des schwedischen Milliardärs Stefan Persson (H & M) für 400 Mill. Pfund – Branchenexperten zufolge alles andere als ein Schnäppchen.Es handele sich um eine Vertrauenskrise am Immobilienmarkt, nicht um eine Finanzkrise, konstatierten die Analysten des UBS Chief Investment Office Wealth Management. Beim Wertzuwachs sei der Gipfel bereits Ende 2014 überschritten worden, die derzeit extreme Stimmung am Markt biete taktische Gelegenheiten. In den kommenden Wochen und Monaten werde sich zeigen, wie rückläufige Renditen für britische Staatsanleihen die Immobiliennachfrage beeinflussen. Notenbankchef Mark Carney hatte für den Sommer eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Aussicht gestellt. Immobilien bleiben mit Blick auf die schwindenden Renditen am Bondmarkt vergleichsweise attraktive Einkommensbringer. In den vorangegangenen Jahren hatte der Renditehunger der Anleger die Bewertungen der Reits rasant nach oben getrieben. Das schwache Pfund macht britische Objekte für Investoren aus Asien und Nahost erschwinglicher, die auf diesem Wege zudem auf eine Erholung der Währung wetten können. Die “Property Week” berichtete jüngst, dass ein nahöstliches Konsortium den Kurseinbruch bei Reits dazu nutzen wolle, eine Gesellschaft aus der zweiten Reihe zu übernehmen.Die viel beschworene Immobilienkrise 2016 könnte sich als Sturm im Teekessel erweisen. Aberdeen öffnete ihren offenen Immobilienfonds bereits wieder.