Tech-Giganten: Zähmen leicht gemacht?

Das Wettbewerbsrecht und die Herausforderungen des digitalen Zeitalters

Tech-Giganten: Zähmen leicht gemacht?

Dr. Andrea PomanaRechtsanwältin bei Debevoise & Plimpton LLPDie digitale Wirtschaft entwickelt sich mit rasanter Geschwindigkeit. Tech-Giganten wie Google, Apple, Facebook oder Amazon schaffen durch ihre stetige innovative Entwicklung neuer, komplexer Geschäftsmodelle einen stetigen Zugzwang für das Wettbewerbsrecht. Netzwerkeffekte, Datenvorsprünge und damit verbundene Selbstverstärkungseffekte führen in digitalen Märkten zu starker und schneller Konzentration von Marktstellungen auf wenige Unternehmen, die mit den herkömmlichen kartellrechtlichen Instrumenten nur erschwert bekämpft werden können.Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) hat bereits vor zwei Jahren mit einer Reihe von Maßnahmen auf die fortschreitende Digitalisierung reagiert. Dazu gehörte die Einführung von Kriterien, die auf digitalen Märkten Marktmacht begründen können, darunter Netzwerkeffekte (also die Attraktivität eines Netzwerks für Nutzer), Zugang zu Daten oder der Wechselaufwand der Nutzer bei paralleler Nutzung mehrerer Dienste (sog. Multi-Homing). Diese und andere Marktmachtkriterien sind in der Fallbearbeitung digitalökonomischer Sachverhalte von entscheidender Bedeutung.Dies gilt besonders im Verfahren gegen Facebook. Im Februar 2019 entschied das Bundeskartellamt, dass Facebook durch die Ausgestaltung seiner Vertragsbestimmungen seine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke in Deutschland missbraucht. Diese Entscheidung prägte dieses Jahr fast jede kartellrechtliche Debatte zur Digitalökonomie.Das Amt untersagte dem Unternehmen im Wesentlichen, (i) personenbezogene Daten, die von anderen konzerneigenen Diensten wie Whatsapp und Instagram stammen, mit dem Facebook-Konto eines Nutzers zu verknüpfen und (ii) Daten von Webseiten und Apps Dritter (die z. B. eine Facebook-Anmeldung, ein “Gefällt mir”-Button oder ein “Teilen”-Button nutzen) zu erheben und mit dem Facebook-Konto zu verknüpfen, ohne jeweils die ausdrückliche Zustimmung des Nutzers zu erhalten.Die Entscheidung fachte in Europa und darüber hinaus eine intensive Diskussion darüber an, ob datenschutzrechtliche Verstöße bei der kartellrechtlichen Beurteilung berücksichtigt werden können oder sollen und ob die Kartellbehörden mit den richtigen Instrumenten ausgestattet sind, um auf die Herausforderungen durch Tech-Giganten adäquat zu antworten.Wie hitzig die Diskussion geführt wurde, zeigt sich allein am brisanten Beschluss des OLG Düsseldorf vom August 2019, der die Entscheidung des Bundeskartellamts “zerpflückte” (so in einigen Medien berichtet) und der Beschwerde von Facebook im einstweiligen Rechtsschutz stattgab.Die Herausforderung des geltenden Kartellrechts, adäquat auf komplexe digitalökonomische Sachverhalte zu antworten, zeigt sich dabei an der “strengen” Kausalität, die das OLG Düsseldorf zwischen dem Verhalten Facebooks und dem konkreten Wettbewerbsschaden für den Nutzer fordert. Das Amt hatte nachweisen müssen, dass Facebook die Nutzungskonditionen gerade und allein wegen seiner Marktmacht so ausgestalten konnte. Nicht ausreichend sei, wenn sich das Verhalten aufgrund der Marktbeherrschung im Ergebnis als wettbewerbsschädlich erweist. Letzteres war aber für das Bundeskartellamt ausreichend: Facebooks illegale Nutzungsbedingungen seien gerade “Ausfluss” seiner Marktmacht.Was sich nach juristischer Haarspalterei anhört, hat sehr praktische und gravierende Konsequenzen. Denn es stellt sich die Frage, wie viel Wettbewerbsschaden die Kartellbehörde bei einem marktbeherrschenden Unternehmen in digitalen Märkten nachweisen muss. Oder sollte umgekehrt die marktbeherrschenden Unternehmen die Beweislast treffen, dass ihr Verhalten keine negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb hat, so wie jüngst von der Wettbewerbskommissarin der EU Kommission, Margrethe Vestager, vorgeschlagen?Eine erste Antwort darauf entwickelt der neue Referentenentwurf zur 10. GWB-Novelle, der den Maßstab der Kausalität für alle missbräuchlichen Verhaltensweisen richtigerweise vereinheitlichen und an die weniger strenge (Ergebnis-)Kausalität anpassen will. Auch andere Regeln der Missbrauchsaufsicht sollen effektiver gestaltet werden. Dazu gehört bei der Bewertung der Marktstellung u. a. die sog. Intermediationsmacht von mehrseitigen digitalen Plattformen, die als Vermittler (Intermediäre) von Informationen zwischen Nachfrager und Anbieter fungieren (z. B. Buchungsplattformen).Die 10. GWB-Novelle soll voraussichtlich 2020 in Kraft treten. Ob es damit in der Zukunft leichter sein wird, Tech-Giganten zu zähmen, wird sich noch zeigen müssen. Jedenfalls wird erwartet, dass das neue GWB die Debatte und Durchsetzung in digitalen Märkten in der EU mitprägen wird.Dies ist wichtig, denn auch das europäische Wettbewerbsrecht muss sich für die Herausforderungen der Digitalisierung wappnen. Die vom Bundesministerium für Wirtschaft einberufene Kommission Wettbewerbsrecht 4.0. schlägt in ihrem Bericht “Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft” vom September 2019 konkrete Maßnahmen vor, um das europäische Kartellrecht anzupassen. Dahingehende Pläne der EU-Kommission gibt es allerdings konkret nicht.Defizite bei der kartellrechtlichen Durchsetzung im digitalen Umfeld sind nicht zwingend auf rechtliche Schutzlücken zurückzuführen. Oft sind aufgrund des schnellen Fortschritts die Folgen für den Wettbewerb nicht absehbar. Daher können gerade die herkömmlichen Normen wegen ihrer bewährten Abstraktheit durchaus in der Lage sein, angemessen auf neue Sachverhalte zu antworten. Ob dieser Spagat durch das neue GWB gelingen wird und das geltende europäische Kartellrecht weiterhin den Herausforderungen der Digitalökonomie gewachsen ist, wird mit Spannung erwartet.