"TLAC und Co." fordern Banken und Investoren heraus

Größere Transparenz und Konsistenz von Maßnahmen erforderlich, um das nötige Vertrauen aufzubauen

"TLAC und Co." fordern Banken und Investoren heraus

Sieben Jahre nachdem die G 20-Staaten in Pittsburgh anfingen, den neuen aufsichtsrechtlichen Rahmen für die Finanzbranche festzulegen, wäre es verständlich, wenn Investoren und Banken einer immer weiter zunehmenden Regulierungsdichte skeptisch gegenüberstünden. Allerdings könnten die globalen Regulatoren nun ihre Aufgabenliste fast abgearbeitet haben. Neben höheren Kapitalanforderungen wurden neue Vorschriften zu Liquidität und Verschuldung verabschiedet. Außerdem wurden makroprudenzielle Instrumente entwickelt und ein Rahmenwerk zur Bewältigung von Bankenkrisen geschaffen. Höhere KapitalquotenDie Banken sind heute deutlich widerstandsfähiger als in der Vergangenheit. Die Kapitalquoten von EU-Finanzinstituten sind seit der Krise stark gestiegen. Die Mindestkapitalanforderungen für große systemrelevante Banken wurden um mehr als das Achtfache erhöht, und die tatsächlichen Kernkapitalquoten haben sich trotz enger gefasster Kapitaldefinitionen und höherer Risikogewichte von 7 % auf 13 % fast verdoppelt. Die größten Banken der EU erfüllen alle bereits vollumfänglich die finalen Basel-III-Kapitalvorschriften. Außerdem wurde in Europa durch die Bankenunion ein neuer aufsichtsrechtlicher Rahmen geschaffen, der die einheitliche und angemessene Steuerung von Kapital und Risiken sicherstellen soll. Diese Veränderungen haben ihren Preis. Dazu zählen geschrumpfte Bankbilanzen und eine verringerte Marktliquidität sowie ein eingeschränkter Zugang zu Bankkrediten. Die Bilanzsummen in der Eurozone liegen fast ein Zehntel unter ihrem Höchststand, und an den Aktien-, Derivate- sowie Rentenmärkten ist der Umsatz im Verhältnis zur Marktgröße deutlich zurückgegangen. Die Folgewirkungen für Banken und ihre Geschäftsmodelle sind nicht zu unterschätzen. Die Bereitstellung maßgeschneiderter Produkte für das Risikomanagement oder das Halten von Unternehmensanleihen mit geringerer Liquidität sind für die Banken mit steigenden Kosten verbunden.Auch traditionellere Bereiche des Firmenkundengeschäfts stehen unter Druck: Mit der Verschuldungsquote als nominaler Obergrenze der Bilanzsumme werden Segmente mit geringen Risiken und niedrigen Margen wie Immobilienfinanzierungen oder die Finanzierung der öffentlichen Hand wahrscheinlich an Bedeutung verlieren. Für Europa ist dies besonders relevant: Seine Banken sind nicht auf ein Aufsichtssystem wie das der USA ausgerichtet und wurden in der Vergangenheit auf Basis anderer Parameter gesteuert. Gleichzeitig ist die europäische Wirtschaft stärker als in den USA von Bankfinanzierungen abhängig. Alternative Finanzierungsquellen, vor allem über die Kapitalmärkte, können die entstandene Lücke noch nicht ausfüllen – unabhängig von der Frage, ob europäische Firmenkunden schon für solch eine direkte Finanzierung über die Kapitalmärkte bereit sind.Obwohl die Aufsichtsbehörden darauf bestehen, dass ihr aktuelles Arbeitsprogramm nur einen Feinschliff von Basel III darstellt, werden die noch zu verabschiedenden und umzusetzenden Vorschläge tiefgreifende Veränderungen für Banken und Investoren mit sich bringen. Aus diesem Grund bezeichnen viele in der Branche diese als Basel IV. Folgen der VeränderungenWährend Basel III eine vollständige Überarbeitung der Kapital- und Liquiditätsstandards beinhaltete, liegt der Fokus bei Basel IV auf einer weiteren Einschränkung und Harmonisierung der Definition der risikogewichteten Aktiva (RWA). Während Basel III das Going-Concern-Kapital adressierte, beinhaltet Basel IV durch die Verabschiedung der Standards zur Verlustabsorptionsfähigkeit (Total Loss Absorbing Capacity – TLAC) auch Vorschriften zum Gone-Concern-Kapital.Welche Folgen haben die Veränderungen in diesen zwei Bereichen für Banken und ihre Investoren? Erstens sollten die Maßnahmen zur Harmonisierung der RWA dazu beitragen, das Vertrauen von Aufsichtsbehörden und Investoren in die internen Modelle von Banken zu stärken. Die sorgfältige Prüfung und Genehmigung interner Modelle stellt sicher, dass Banken die Risiken ihres Portfolios aktiv überwachen. Schematische Instrumente wie der Standardansatz und die Verschuldungsquote können hilfreiche Indikatoren sein. Wenn sie jedoch verbindlich werden, sinkt der Anreiz für Banken, ihre Risiken eigenverantwortlich zu steuern.Der Baseler Ausschuss erklärt, dass es nicht sein Ziel ist, das Gesamtkapital “wesentlich” zu erhöhen. In der Praxis dürften die ersten Veränderungen des Marktrisikorahmenwerks durch die grundlegende Überprüfung des Handelsbuchs zu einer Erhöhung der RWA für Marktrisiken um bis zu 40 % führen. Auch die Verabschiedung der Rahmenwerke für operationelle und Kreditrisiken dürfte für manche Banken in einer Erhöhung der RWA resultieren – mit entsprechenden Folgewirkungen.Darüber hinaus wird die Verabschiedung verbindlicher Anforderungen an das verlustabsorptionsfähige Kapital zu weiteren Veränderungen führen. Bei der Adressierung der “Too big to fail”-Problematik ist ein wichtiger Grundsatz, dass die Banken die Kosten ihres eigenen Aus-falls tragen und nicht die Steuerzahler. Eine Gläubigerbeteiligung (“Bail-in”) anstelle einer Rettungsaktion (“Bail-out”) wird allgemein akzeptiert. TLAC stellt sicher, dass Banken in ausreichendem Maß Instrumente halten, die schnell und einfach abgeschrieben werden können. Sie ermöglichen es, Verluste zu absorbieren und eine Rekapitalisierung vorzunehmen.Dies hat logischerweise negative Auswirkungen auf die Refinanzierungskosten: Die Höhe der Bail-in-fähigen Verbindlichkeiten nimmt erheblich zu. Auf Basis der ab 2022 geltenden Mindestanforderungen für TLAC beläuft sich der Fehlbetrag bei global systemrelevanten Banken auf 1,1 Bill. Euro. Dies entspricht fast einem Drittel ihrer gesamten ausstehenden unbesicherten Schuldtitel. Klarheit notwendigDen Investoren ist bewusst, dass sie ein Verlustrisiko eingehen, wenn sie Bankaktien oder -anleihen kaufen. Damit sie jedoch weiter im erforderlichen Maß in diese Instrumente investieren, brauchen die Anleger Klarheit darüber, was im Falle einer Abwicklung mit ihren Investitionen passiert.Was müssen die Aufsichtsbehörden tun, um diese Klarheit zu schaffen? Erstens muss in der EU-Abwicklungsrichtlinie klar festgelegt sein, dass Investoren keinesfalls höhere Verluste als im Insolvenzfall erleiden können. Durch die Festlegung eines ausreichend hohen Mindeststandards trägt TLAC dazu bei, dass es eine breitere Basis an Investoren gibt und somit im Ernstfall ein geringerer Haircut erforderlich ist.Zweitens müssen TLAC-Instrumente eindeutig nachrangig zu den sonstigen Verbindlichkeiten sein, die aus Gründen der Finanzstabilität (zum Beispiel Privatkundeneinlagen) oder aufgrund ihrer Notwendigkeit für die Fortführung der Geschäftsaktivitäten der Bank nicht für einen Bail-in genutzt werden können. In Ländern, in denen Banken nichtoperative Holdinggesellschaften haben, wird dies durch die strukturelle Nachrangigkeit erreicht. Bei den meisten EU-Banken, deren Muttergesellschaften üblicherweise operative Gesellschaften sind, ist entweder eine vertragliche oder gesetzliche Festlegung der Nachrangigkeit erforderlich. Verwirrend für AnlegerBeide Varianten setzen gesetzliche Änderungen voraus, damit Banken Instrumente vorhalten können, die zwischen traditionellen nachrangigen Tier-2-Anleihen und besicherten vorrangigen Verbindlichkeiten eingestuft werden. In Deutschland tritt eine solche gesetzliche Änderung im nächsten Jahr in Kraft. Andere EU-Länder (Frankreich und Italien) ziehen nach. Für Anleger ist dies verwirrend, und ich hoffe, dass die EU dies harmonisieren wird.Drittens müssen diese Instrumente im Ernstfall auch konsequent genutzt werden. Um Ansteckungen zu vermeiden müssen die Aufsichtsbehörden zudem sicherstellen, dass es keine Bestandskonzentrationen von solchen Instrumenten bei anderen Banken gibt.Und schließlich muss ausreichend transparent sein, welche Instrumente TLAC zugerechnet werden. Dies ist notwendig, damit Investoren ihr Risiko richtig bewerten und bepreisen können. Außerdem müssen die Aufsichtsbehörden mehr Klarheit darüber schaffen, wie sie Banken abwickeln wollen, was eine solche Intervention auslösen wird und wie ein Bail-in erfolgen soll. Dabei ist der letzte Punkt von besonderer Bedeutung. Die Aufsichtsbehörden werden den Banken und ihren Investoren in den nächsten Jahren einiges abverlangen. Um das notwendige Vertrauen aufzubauen, muss eine größere Transparenz und Konsistenz solcher Maßnahmen gewährleistet sein.—Sylvie Matherat, Vorstandsmitglied und Chief Regulatory Officer der Deutschen Bank