Über die Moral der Cum-ex-Affäre

Von Daniel Zulauf, Zürich Börsen-Zeitung, 27.3.2019 Auch zehn Jahre nach der Beerdigung des steuerlichen Bankgeheimnisses haftet der Schweiz noch immer der Ruf eines internationalen Hot Spots für unrechtmäßige oder mindestens schummrige Geschäfte...

Über die Moral der Cum-ex-Affäre

Von Daniel Zulauf, Zürich Auch zehn Jahre nach der Beerdigung des steuerlichen Bankgeheimnisses haftet der Schweiz noch immer der Ruf eines internationalen Hot Spots für unrechtmäßige oder mindestens schummrige Geschäfte von Steueroptimierern an. Der gestern am Zürcher Bezirksgericht angelaufene Prozess gegen drei deutsche Staatsbürger, die von der Staatsanwaltschaft des Geheimnisverrates, der Wirtschaftsspionage und des Verstoßes gegen das Bankgeheimnis angeklagt sind, wirft ein weiteres Schlaglicht auf die Praktiken, wie sie auf dem Schweizer Finanzplatz mindestens bis vor einigen Jahren noch gang und gäbe gewesen sein sollen.Den Hintergrund des Prozesses bilden die Cum-ex-Geschäfte des deutschen Drogeriekönigs Erwin Müller. Zu dessen Gunsten hatte die Bank J. Safra Sarasin in Basel mit Hilfe eines komplizierten Fonds-Konstrukts Anspruch auf die Rückerstattung von Kapitalertragsteuern in Millionenhöhe geltend gemacht, für die es nie eine Steuerzahlung gegeben hatte. Nicht zu Unrecht stehen die Cum-ex-Geschäfte für ein ethisch verwerfliches System der Selbstbereicherung.Mit dieser moralischen Wertung sieht sich nun auch der Zürcher Gerichtspräsident Sebastian Aeppli konfrontiert, obwohl er eigentlich in einer rein sachlichen Frage urteilen muss. Aeppli wird beurteilen müssen, ob die Angeklagten mit der Übermittlung bankinterner Dokumente Schweizer Recht verletzt haben oder ob die Dokumente gar keine rechtlich geschützten Geschäftsgeheimnisse enthielten, wie dies ein von den Beschuldigten beigebrachtes Rechtsgutachten mehrerer Strafrechtsexperten festhält. Ein Fakt ist, dass die beiden angeklagten ehemaligen Safra-Sarasin-Angestellten und der Stuttgarter Rechtswanwalt Eckart Seith mit diesen Dokumenten viel in Bewegung brachten. Für den Müller-Anwalt Seith waren sie ausschlaggebend dafür, dass dieser im November vor dem Oberlandgericht Stuttgart einen Prozess gegen die Bank J. Safra Sarasin gewinnen konnte und diese wegen Falschberatung des Kunden eine Schadenersatzzahlung von 45 Mill. Euro leisten musste. Dass Seith die Dokumente nicht nur für seinen eigenen Klienten benutzte, sondern diese an die Staatsanwaltschaft Köln weiterreichte, macht ihn für die vielen aus Deutschland angereisten Prozessbeobachter zum ehrenhaften Whistleblower. Dabei scheint die von der Staatsanwaltschaft aufgestellte und von den Beklagten bestrittene Behauptung, der Anwalt habe seine bankinternen Informanten mit einer Erfolgsbeteiligung von 1 % des Prozesserlöses geködert, gar keine wesentliche Rolle zu spielen.Das ist aus deutscher Sicht nur verständlich, denn schließlich war auch der von deutschen Steuerfahndern betriebene klandestine Ankauf von Datenträgern ein legitimes Mittel, um deutschen Steuerflüchtlingen mit Schweizer Bankkonten habhaft zu werden.Doch solches Vorgehen widerspricht noch immer dem Rechtsverständnis vieler Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz. Der Prozess vermittelt einen tiefen Einblick in diesen kulturellen Graben. Seith sagte gestern in der Verhandlung, die Zürcher Staatsanwaltschaft sei parteiisch und korrupt. Sie nehme die Banken in Schutz.Doch diese mussten ihre Cum-ex-Geschäfte, die sie einst auch mit Schweizer Kunden betrieben hatten, schon vor langer Zeit einstellen, nachdem die Eidgenössische Steuerverwaltung 2007 Verdacht geschöpft und die Erstattungspraxis eingestellt hatte, bevor sie größeren Schaden anrichten konnte. Dass die Behörde für ihr eigenmächtiges Vorgehen erst 2015 das höchstrichterliche Plazet erhielt, bescheinigt ihr mindestens so viel Mut wie dem Whistleblower-Anwalt, der im Unterschied zu den Steuerbeamten für seine Tätigkeit fürstlich entschädigt wurde. Die Staatsanwaltschaft fordert Freiheitsstrafen von bis zu dreieinhalb Jahren.—–Im Kampf gegen dreiste Steueroptimierer lassen Schweizer Gerichte nicht alle Mittel gelten.—–