Überleben im Wandel
Same same, but different – auch 2023 bleibt die Fülle der Herausforderungen im Zahlungsverkehr gewaltig. Erschwerend verstärkt sich allerdings der Eindruck, dass auf Bankenseite Verdrängungseffekte zuzunehmen scheinen. Wichtige Themen werden einfach nicht angegangen. Dies gilt sowohl für die Umsetzung anstehender Pflichtaufgaben als auch für die Nutzung sich bietender Geschäftschancen.
Die am meisten unterschätzte Pflichtaufgabe für 2023 ist die Umsetzung der unscheinbar daherkommenden EU-Richtlinie 2020/284 zur Verhinderung von Steuerbetrug bei grenzüberschreitendem elektronischem Geschäftsverkehr für Handel- und Dienstleistungen. Sie verpflichtet Zahlungsdienstleister zur Meldung bestimmter Zahlungsdaten. Die Details haben es in sich: Es ist ein zusätzliches, sehr komplexes Meldewesen mit eigenen Schnittstellen zum Bundeszentralamt für Steuern aufzubauen. Es sind bisher nicht vorliegende Daten zu erheben und zu melden.
Die Meldepflicht gilt ab 1. Januar 2024. Die Zahl der Banken, die entsprechende Projekte aufgesetzt haben, ist bis dato sehr überschaubar. Vor dem Hintergrund, dass Finanzbehörden bekanntlich keinen Spaß verstehen, wirkt das mutig.
Nicht ganz so dringend, aber ähnlich komplex ist die Swift-Vorgabe, ab November 2025 im Zahlungsverkehr nur noch strukturierte Adressdaten von Kunden zu verarbeiten. Die Regelung betrifft Banken genauso wie Endkunden. Sie setzt Vorgaben der führenden Industriestaaten zur Bekämpfung von Embargobrüchen, Terrorfinanzierung und Geldwäsche um. Es wird empfohlen, schon ab 2023 nur noch die strukturierten Daten zu verwenden. Dies dürfte allein in Deutschland mehrere Millionen Datensätze betreffen, die so nicht vorliegen. Banken sollten deswegen schon im kommenden Jahr Kommunikationspläne und technische Umsetzungsszenarien – gegebenenfalls bereits KI-gestützt – ausarbeiten.
Neue Chancen
Es ist eine traurige, aber branchenweit akzeptierte Wahrheit: 50 % der Betriebskosten im Zahlungsverkehr fallen für die Einhaltung regulatorischer Vorgaben an; weitere 25 % für die prozessuale und technische Wartung und Anpassung der Infrastruktur. Da verwundert es nicht, dass in den Geldhäusern der Blick auf Ertragspotenziale und -chancen oftmals verstellt ist.
Enormes Potenzial bietet für Banken beispielsweise ein Angebot, das den noch jungen Request-to-Pay-Standard mit konkreten Anwendungsfällen wie elektronischen Rechnungen verbindet. Würden Banken ihren Firmenkunden die Verarbeitung und Prozessierung elektronischer Rechnungen und der entsprechenden Zahlungsaufforderungen anbieten, könnten diese ihre Kosten pro Rechnung – inklusive des Abgleichs des Zahlungseingangs – um rund zehn Euro reduzieren. In diesem Zusammenhang könnten Banken attraktive Transaktionsgebühren generieren, gleichzeitig das Geschäftskonto als Mittelpunkt der Kundenbeziehung weiter stärken und obendrein einen signifikanten Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.
Der entscheidende Erfolgsfaktor für entsprechende Dienstleistungen ist eine bankenübergreifende Erreichbarkeit. Umso erfreulicher ist es, dass im Markt solche Infrastrukturen bereits entstehen.
Soweit zu den unterschätzten Themen. Nicht unterschätzt werden die Vorbereitungen für die auf den 20. März 2023 verschobene Target-2-Konsolidierung und den Start der Swift-Umstellung auf das ISO-20022-Format. Dieser Termin ist als fix anzusehen. Denn eine erneute Verschiebung der Target-2-Konsolidierung hätte vermutlich die üble Konsequenz, dass Target 2 und Swift-Umstellung auseinanderlaufen.
Echtzeitüberweisungen
Auch der Massenzahlungsverkehr wird 2023 von der Umsetzung neuer Regelwerke geprägt sein. Dies sind die EU-Verordnung zur verpflichtenden Einführung von Sepa Instant Payments und die Einführung des neuesten ISO-Standards für alle Sepa-Zahlverfahren. Letztere hat nicht nur Auswirkungen auf die Zahlungsdatei und Zahlungssysteme selbst, sondern betrifft ebenso Um-Systeme, wie etwa Stammdatensysteme.
Der Vorschlag der EU-Kommission zur verpflichtenden Einführung von Sepa-Echtzeitüberweisungen ist derzeit Gegenstand eingehender Diskussionen und Lobbyarbeit. So wird intensiv erörtert, ob Zahlungsdienstleister ihren Kunden einen Abgleich von Kontonummer und Namen anbieten müssen. Hintergrund ist die Endgültigkeit der Echtzeit-Transaktionen. Dies macht sie betrugsanfällig. Dem soll die Möglichkeit entgegenwirken, vor Zahlungsausgang überprüfen zu lassen, ob die betreffende IBAN auch wirklich zum Zahlungsempfänger gehört. Die erfolgreiche Betrugsbekämpfung wird ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Instant Payments.
Die flächendeckende Etablierung von Echtzeitüberweisungen betrifft alle Zahlungsdienstleister. Grund: Da Echtzeitüberweisungen zukünftig nicht teurer sein dürfen als herkömmliche Transaktionen, rechnen Markteilnehmer damit, dass ihr Anteil an allen Überweisungen von 10 auf mindestens 30 bis 40 % steigen wird. Befördert wird dieser Trend durch das steigende Zinsniveau. Wachsen aber die Transaktionszahlen um mindestens den Faktor drei, geraten all jene Zahlungsdienstleister in Schwierigkeiten, deren Echtzeitinfrastruktur bisher auf Behelfslösungen beruht. Ein entsprechender Check ist dringend geboten.
Fähigkeiten verbessern
Die maßgeblichen Dienstleister im Bereich Retail Payments werden 2023 weiter daran arbeiten, ihre Fähigkeiten zu verbessern. Die Issuer werden beispielsweise die Girocard für den E-Commerce weiterentwickeln. Viele Payments Service Provider arbeiten an der Unterstützung verschiedener Omnichannel-Konzepte. Hierbei stehen nicht nur die inzwischen allgemein bekannten Use Cases wie Click & Collect im Fokus, sondern ebenso die
Nutzung von Onlinebezahlmethoden am Point of Sale, etwa Buy now, pay later,
die Unterstützung von Franchising- und Kooperationsmodellen wie kanal- und gesellschaftsübergreifende Rückgaben, und
die Auswertung von Kundenverhalten über die verschiedenen Touchpoints hinweg.
Im Oktober 2023 endet die Analysephase der EZB zum digitalen Euro, und der EZB-Rat wird vermutlich beschließen, die Realisierungsphase zu starten. Da der digitale Euro derzeit als Retail-Euro konzipiert wird, arbeiten verschiedene Banken in Europa 2023 bereits parallel an der Einführung sogenannter Giralgeldtoken.
Wie können die Geldhäuser – auch angesichts des Fachkräftemangels – die ungeheure Fülle der Aufgaben bewältigen? Es wird nur gehen, wenn die Bereitschaft zu bankübergreifenden Kooperationen steigt, vermehrt Standardlösungen genutzt und auch Auslagerungen in Betracht gezogen werden.
Es sollte bei den Banken zudem die Bereitschaft wachsen, gegebenenfalls das Fundament zu erneuern, anstatt unter Ausblendung der „technischen Schulden“ weiter an bestehende Legacy-Systeme anzubauen.
Das sind bereits viele Baustellen – und über die Auswirkungen der sich auftuenden Dora-Verordnung, der Regulierungen zur Barrierefreiheit und der sich am Horizont abzeichnenden PSD3 haben wir noch gar nicht gesprochen.