AUF DEM WEG IN DIE KAPITALMARKTUNION

Unser Markt soll schöner werden

Dem "Aktionsplan" der EU-Kommission fehlt die Präzision - Ein Kessel Buntes - Am deutschen Mittelstand geht das Vorhaben schnurstracks vorbei

Unser Markt soll schöner werden

Von Bernd Neubacher, FrankfurtUnser Kapitalmarkt soll schöner werden, hat sich die EU-Kommission auf die Fahne geschrieben. Ihre Pläne für eine Kapitalmarktunion halten denn auch für beinahe jeden Akteur am Finanzmarkt ein Versprechen bereit: Banken sollen sich auf Erleichterungen für Verbriefungen freuen, Versicherer über eine Verminderung der Kapitalvorgaben für diverse Vermögensklassen nach Solvency II, Emittenten und Fonds wiederum über laxere Vorgaben für Aktienanlagen außerhalb regulierter Märkte.Als sei das Feld damit nicht schon großzügig genug abgesteckt, will die Kommission darüber hinaus unter anderem prüfen, wie es um den Kapitalzugang junger und nicht börsennotierter Unternehmen bestellt ist, sie will die Rolle von Crowdfunding, Kreditfonds und Privatplatzierungen näher betrachten sowie die Prospektrichtlinie laxer fassen, Pardon: “überarbeiten”. Ziel: “Die Kapitalmarktunion soll Finanzmittel frei machen, die zwar ausreichend vorhanden, aber zurzeit gebunden sind, und sie in den Dienst der europäischen Unternehmen, insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen, stellen”, wie EU-Kommissar Jonathan Hill postuliert.Neu ist das alles nicht: Die Abhängigkeit europäischer Firmen vom Bankkredit ist ein Debatten-Dauerbrenner, ebenso wie die Fragmentierung und mangelnde Größe der Kapitalmärkte des Kontinents. Schon vor 30 Jahren hatte die EU-Kommission ein Weißbuch zur Vollendung eines Marktes präsentiert, “in dem der freie Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr gewährleistet ist”. 1999 folgte zur Harmonisierung der Finanzmärkte der Financial Services Action Plan, aus welchem die Finanzinstrumenterichtlinie Mifid hervorgegangen ist. Ein Markt, ein RegelwerkDamals stand im Zentrum der Bemühungen allerdings die Erkenntnis, dass ein einheitlicher Markt einheitliche Regeln braucht. Diesmal geht es nicht nur um Harmonisierung, sondern offenbar auch um eine Art Brüsseler Konjunkturpolitik, wie die zahlreich geplanten Erleichterungen etwa von Kapitalvorgaben zeigen.Damit schließt sich ein Kreis, der vor knapp zehn Jahren seinen Anfang nahm: Zunächst zerstörte ein weitgehend unregulierter und unkontrolliert vor sich hin wuchernder Markt nach und nach weite Teile des Bankensektors. Daraufhin setzten breit angelegte Rettungsaktionen auf Kosten des Steuerzahlers ein, die neben einer ausgeprägten Regulierungswelle exorbitant hohe Belastungen der Staatshaushalte nach sich zogen. In der sich daraus ergebenden Staatsschuldenkrise hat die Notenbank die Märkte mit einer ultraleichten Geldpolitik aufgeputscht, deren Dosis sie seither immer weiter steigert. Da sich der gewünschte Erfolg noch nicht einstellt, macht sich die Politik nun aufs Neue entschlossen an eine Deregulierung, um den Kapitalfluss zwischen Sparern und Realwirtschaft endlich in Schwung zu bringen. 2008 und 2009 musste sie intervenieren, um einen Ansturm auf die Einlagen zu verhindern. 2016 nun will sie die Märkte so gestalten, wie sie ihr gefallen. Damals reagierte sie aus purer Not, jetzt arbeitet sie eine politische Agenda ab. Nichts gegen GestaltungNun ist gegen politische Gestaltung überhaupt nichts einzuwenden, gerade wenn eben erst zu studieren gewesen ist, was passiert, wenn Märkte sich selbst überlassen sind. Eine gelungene Intervention aber setzt ein gutes Konzept und Präzision in der Umsetzung voraus. Davon ist in dem Kessel Buntes, den die EU-Kommission anrührt, aber nicht viel zu erkennen.”Für jede Lösung gibt es ein Problem”, stellte der US-Country-Sänger Lee Hazlewood zwar schon vor Jahren fest. Wo aber konkret die EU-Kommission Probleme sieht, welche die von ihr geplante Kapitalmarktunion beheben könnte, bleibt im Ungefähren. Wie sollte es auch anders sein? Denn in ihrem hilflosen Versuch, eine einheitliche Lösung für divergente Lagen in 28 EU-Staaten zu finden, ähnelt die Kommission der EZB, deren Geldpolitik für den einen Staat viel zu locker und für den anderen noch zu strikt ausfällt.In Italien etwa macht das Volumen der faulen Kredite inzwischen 16,7 % aller Ausleihungen aus. Dort könnte es in der Tat Sinn haben, Unternehmen den Weg zu Anleiheemissionen zu ebnen, da die unter Bergen von Problemkrediten ächzenden Banken ihnen kein Fremdkapital bereitstellen wollen. An der Realität in Deutschland, immerhin Europas größter Volkswirtschaft, gehen die Bemühungen, kleinere und mittlere Unternehmen stärker über den Kapitalmarkt zu finanzieren, freilich schnurstracks vorbei. Es fehlt schlicht der Bedarf. So hatte von den Unternehmen in Deutschland mit einem Umsatz von bis zu 500 Mill. Euro 2014 nur jedes zehnte einen Kreditbedarf von mehr als 500 000 Euro. Selbst bei einfachen Anleiheemissionen aber bewegen sich die mit einer Kapitalmarktfinanzierung verbundenden Fixkosten schon im oberen fünfstelligen Bereich. Im Falle von Mittelstandsanleihen werden hierzulande allein für die Erstellung des Prospekts 30 000 bis 100 000 Euro fällig. Ob eine Lockerung der Prospektpflichten die Summe da derart drücken wird, dass deutsche Mittelständler in Scharen auf den Kapitalmarkt strömen?Seit den neunziger Jahren ist die Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen stets gestiegen, auf nunmehr 34 %. Welcher Mittelständler will da noch über den Kapitalmarkt Schuldverschreibungen emittieren, wenn ihm die Firmenkundenberater der Banken ohnehin seit Jahren die Tür einrennen? Wer sich angesichts des Zinstiefs nicht bisher mit frischen Mitteln vollgesogen hat, wird dies auch bis auf Weiteres kaum tun, schon gar nicht am Kapitalmarkt, wo die entscheidenden Kennzahlen eines Unternehmens der gesamten Anlegeröffentlichkeit und nicht nur der Hausbank vorzulegen sind. Nicht viel anders sieht es in der Eurozone aus, wo das Kreditangebot erstmals seit 2009 wieder die Nachfrage übertrifft, wie eine Befragung durch die EZB ergeben hat.Ja, in der Euroland-Peripherie mag die Lage anders aussehen. Vielleicht aber liegt der Grund dafür darin, dass Banken vielen Unternehmen keinen Kredit geben, weil diese nicht kreditwürdig sind. Am Kapitalmarkt hätten diese Gesellschaften in diesem Falle kaum mehr Chancen auf Fremdkapital als am Bankschalter. Vielleicht ist die maue Investitionstätigkeit auch weniger auf hartleibige Banken, sondern auf eine abwartende Haltung der Unternehmen zurückzuführen. Stockt der Kapitalfluss zwischen Sparern und Realwirtschaft mangels Nachfrage bzw. Angebot, ist dies per se kein Problem, sondern auch das Wesen des Marktes in einer Lage, die womöglich auf grundsätzlichere Defizite hinweist. Investoren lieben kaum etwas mehr als Berechenbarkeit. Wendet man diesen oft bemühten Leitsatz auf die Situation der Europäischen Union in Zeiten zentralbankadministrierter Märkte an, nimmt es kaum wunder, dass sich Anleger und Emittenten in Zurückhaltung üben. Fest steht derzeit doch eigentlich nur, dass die Welt in Euroland nicht so heile sein kann, wie die ultralockere Geldpolitik von EZB-Präsident Mario Draghi glauben machen will.Die Kommission doktert an Symptomen herum. Was sie nun ändern will, ist denn auch weniger erhellend als das, was sie nicht ändern bzw. nur “untersuchen” will, weil sie offenbar selbst nicht glaubt, so rasch etwas ändern zu können: zum Beispiel die Frage einer Harmonisierung des Insolvenzrechts. Die Kommission gebärdet sich gerade so, als werde eine Kapitalmarktunion mit Hilfe etwa eines Fonds für Wagniskapital möglich – als ob es kein Problem sei, dass Investoren es in Europa dabei mit 28 verschiedenen Steuersystemen zu tun haben.