Verschenkte Potenziale

Was Investoren und Unternehmen in Deutschland falsch machen

Verschenkte Potenziale

Arno FuchsCEO von FCF Fox Corporate FinanceDeutschland ist das Land der Marktführer. Nirgendwo gibt es so viele Unternehmen, die sich innerhalb ihrer Nische weltweit einen Namen gemacht haben. Entgegen vielen Unkenrufen ist Deutschland auch das Land der Innovationen: Unternehmen wie Auto1, N26 oder auch Raisin sind Wagniskapitalgebern rund um den Globus ein Begriff. Trotz dieser tollen Erfolge aus der Unternehmenswelt sind deutsche Investoren in Wachstums- und Innovationssegmenten in internationaler Hinsicht komplett Mangelware. Eine langfristig vernichtende Situation für eine Volkswirtschaft mit Weltmarktführeranspruch wie Deutschland.Erst kürzlich machte eine Statistik zur Entwicklung der deutschen IPOs seit der Finanzkrise die Runde. Das Ergebnis: Ganze 60% der Börsengänge waren für Anleger Flops. Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben viel zu ambitionierten Bewertungen, für die unter anderem die involvierten Konsortialbanken verantwortlich zeichnen, fehlt es in Deutschland insbesondere an professionellen Investoren. Zu wenig deutsche Fonds, die zudem zu klein sind, setzen überhaupt auf junge Unternehmen und können einen IPO-Kandidaten langfristig begleiten. Während es in den USA viel mehr auf bestimmte (Wachstums-)Branchen spezialisierte Fonds gibt, die innovative Unternehmen viel besser einschätzen und unterstützen können, halten sich deutsche Fondsmanager mit allgemeiner Ausrichtung von Börsenneulingen eher fern oder investieren nur kleine und damit unwesentliche Beträge.Doch auch die Unternehmen selbst sind für die ernüchternde IPO-Bilanz gemessen an der Anzahl verantwortlich. Noch immer sind Mittelständler skeptisch, wenn es um die Börse geht. Vor allem inhabergeführte Unternehmen scheuen die damit verbundene Öffentlichkeit sowie mit einem Listing verbundene Transparenzpflichten. Viele aussichtsreiche Kandidaten kommen aufgrund der großen Skepsis ihrer Eigentümer überhaupt nicht erst auf den Markt – und verbauen sich die Chancen, die ein IPO zur Finanzierung von überproportionalem Wachstum, ähnlich dem der ausländischen Wettbewerber, bieten kann. Am Ende ist es nicht selten so, dass die deutschen Firmen statt eines erfolgreichen IPOs an die Konkurrenz verkauft werden – in der Regel für kleineres Geld.Etwas offener stehen Biotech-Gesellschaften dem Kapitalmarkt gegenüber. Das ist angesichts des Bedarfs an Risikokapital auch kein Wunder. Auch für Investoren kann sich die Branche lohnen. Im Großraum München gibt es einige Biotech-Unternehmen, die mit ihrer ausländischen Konkurrenz locker mithalten können, aber auf hohe Vorabinvestitionen dringend angewiesen sind. Doch was tun deutsche Anleger? Lassen aussichtsreiche Unternehmen links liegen und überlassen bei Risikofinanzierungen ausländischen Investoren weitestgehend das Feld. Die Früchte der jahrelangen hervorragenden Arbeit der bayerischen Landesregierung, die den Biotech-Standort München konsequent gefördert und optimale Rahmenbedingungen geschaffen hat, ernten inzwischen leider regelmäßig Fonds aus Großbritannien oder den USA oder im Falle eines Verkaufs ausländische Unternehmen.Dies ist vor allem deshalb paradox, weil bei den großen institutionellen Investoren noch immer Anlagenotstand herrscht. Dennoch bleibt die Entwicklung hin zu mehr alternativen Anlageformen kaum wahrnehmbar. Um dies zu ändern, kommt es in erster Linie darauf an, dass von der Politik und den Verbänden die regulativen Rahmenbedingungen für mehr alternative Investments geschaffen werden. Im zweiten Schritt jedoch müssen sich auch die Investoren selbst in die Pflicht nehmen und sollten in Zukunfts- und Wachstumsbranchen, wie zum Beispiel Biotechnologie, Software, Telekommunikation oder Mikroelektronik, unbedingt eine größere Expertise aufbauen.Denkt man beispielsweise an Biotechnologie in Deutschland, zeichnet sich für viele Laien das Bild einer international abgehängten Nischenbranche. Doch das ist keineswegs so. Zwar sorgen gesetzliche Bestimmungen dafür, dass Genforschung in Deutschland stark eingeschränkt ist, doch hat dies keinerlei Einfluss auf die Forschung nach Medikamenten gegen Krebs, Alzheimer oder Parkinson. Es gibt viele Bereiche, in denen deutsche Biotech-Unternehmen auf wissenschaftlicher Basis oder produktseitig ihre ausländische Konkurrenz klar abhängen. Deutsche Investoren sollten lernen, dieses Potenzial zu erkennen, zu nutzen und in Anlagerenditen umzumünzen. In Zeiten des Anlagenotstandes hängen für versierte Anleger die Früchte in keiner deutschen Branche so tief wie in der Biotechnologie.Ein Problem, das kleinere Wachstumsunternehmen und auch gestandene Mittelständler gleichermaßen betrifft, ist die mangelnde strategische Planung in Finanzierungsfragen. In unserer Praxis bemerken wir immer wieder, dass das Thema bei Entscheidern immer erst auf die Agenda kommt, wenn die nächste Finanzierungsrunde ansteht. Um sich für künftige Finanzierungen optimal aufzustellen, sollten Unternehmen lernen, Finanzkennziffern aktiv zu steuern und ihre Unternehmensstrategie in Konkurrenz zu angelsächsischen und zunehmend asiatischen Wettbewerbern überzeugend zu präsentieren. Dass sowohl Unternehmen als auch Investoren in Deutschland große und langfristig entscheidende Potenziale verschenken, ist offensichtlich. Das Gute daran ist allerdings, dass sich viele dieser Potenziale einfach heben lassen. Das gelingt zwar nicht von jetzt auf gleich, doch hilft auf beiden Seiten bereits eine längerfristige Roadmap, um schon bald Chancen ergreifen zu können. Während es bei Investoren darauf ankommt, auch spezialisierte Investment-Themen zu besetzen und nach und nach Expertise aufzubauen, sollten Unternehmen auch in Finanzierungsfragen strategischer denken und dies offensiver vortragen. Ob es nun um den Kredit, Wachstumsfinanzierung oder einen IPO geht – nur wer die Klaviatur des mittlerweile internationalen Wettbewerbsumfeldes und damit auch des Kapitalmarkts zu spielen versteht, wird sich langfristig selbstbestimmt und wertmaximierend als Marktführer aus Deutschland durchsetzen.