Versicherer ächzen unter Solvency-II-Bürokratie

Versicherungsverband GDV fordert Verhältnismäßigkeit ein - Warnung vor Kennzahlengläubigkeit

Versicherer ächzen unter Solvency-II-Bürokratie

tl Frankfurt – Die deutsche Versicherungswirtschaft beklagt im Zuge der Einführung des Regelwerks Solvency II eine überbordende Bürokratie und fordert unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Entschlackung der Vorschriften. Bei den Solvenzkennzahlen per 31.12.2016, die die Versicherer bis spätestens 20. Mai 2017 auf ihren Homepages veröffentlichen müssen, rechnet Querner mit ähnlich guten Ergebnissen wie Ende 2015. Mit Regelwerk zufriedenGrundsätzlich zeigte sich Immo Querner, Vorsitzender des Präsidialausschusses Unternehmenssteuerung und Regulierung beim Versicherungsverband GDV, mit dem Anfang 2016 geltenden Regelwerk zufrieden.Querner beklagte bei einem Pressegespräch in Frankfurt die hohe Komplexität und Regulierungsdichte vor allem in der Säule 2 von Solvency II, in der es um die Geschäftsorganisation geht. So kämen auf 47 gesetzliche Regelungen (in der EU-Richtlinie 2009/138/EG, in deren Umsetzung im Versicherungsaufsichtsgesetz und in der delegierten Verordnung 2015/35 der EU-Kommission) 941 konkretisierende Vorschriften, die sich mit der Geschäftsorganisation beschäftigten. Zu Letzteren gehören 90 EIOPA-Leitlinien, 410 Erläuterungstexte zu den Leitlinien und 441 BaFin-Konkretisierungen. “Außerdem müssen die Versicherer eigene Leitlinien zur Konkretisierung dieser Vorschriften erstellen.”Querner schätzt grob, dass etwa die Hälfte der Risikomanagement-Kosten der Versicherer für eine Solvency-II-Bürokratie mit “fragwürdigem Grenznutzen” verwendet werden müsse. Dies sei ein wesentlicher Treiber für die Verwaltungskosten, dem die Unternehmen mit Investitionen in die IT und Einsparungen entgegenzuwirken versuchten.Auch in der Säule 3 von Solvency II, Berichtswesen und Veröffentlichungspflichten, stehe die Branche vor großen Herausforderungen. Querner nannte fünf Quartalsberichte – für das vierte Quartal muss zuerst vorab geschätzt und dann “richtig” berichtet werden -, die EZB-Berichterstattung, die sich zwar an die EIOPA-Berichterstattung anhänge, aber noch “Extras” verlange, und aufwendige Datenformate (Templates), die gerne noch kurzfristig geändert werden.Insgesamt konstatiert Querner, im Hauptberuf Finanzvorstand bei Talanx, eine ausgeprägte Checklisten-Mentalität ohne Berücksichtigung unternehmensindividueller Besonderheiten und eine geringe Neigung der Aufsicht, gesetzliche Spielräume wie die Befreiung von der Quartalsberichterstattung auch zu nutzen. Damit werde die Anwendung der Proportionalität zur Ausnahme. UFR nicht senkenQuerner wandte sich auch gegen Bestrebungen von EIOPA, die Ultimate Forward Rate (UFR) zur Modellierung langfristiger Zinssätze (zur Abzinsung langlaufender Verbindlichkeiten) in Richtung 3,7 % zu senken. “4,2 % sind nach wie vor richtig”, sagte er mit Verweis auf das EZB-Inflationsziel von 2 % und den langfristigen Durchschnitt historischer Realzinsen von 2,2 %. Schließlich sei die UFR auch ein wesentlicher Bestandteil des Pakets zur Bewertung langfristiger Garantien (LTG), das letztlich verhindern solle, die langfristige Altersversorgung zu erschüttern.Querner räumte zwar ein, dass die deutsche Assekuranz eine leichte Absenkung der UFR durchaus abfedern könne. “Aber eine Änderung zum jetzigen Zeitpunkt würde den Boden für eine Erosion der UFR bereiten”, fürchtet er. Viel besser wäre es daher, die UFR bei der bis Ende 2020 vorgesehenen Überprüfung der LTG-Maßnahmen zu berücksichtigen.Querner verteidigte die Nutzung von Übergangsmaßnahmen bei der Berechnung von Solvenzkennziffern. Der Übergangszeitraum von 16 Jahren sei gerechtfertigt. Ohne solche Maßnahmen hätten Ende 2015 16 Lebensversicherer die Solvenzquote SCR nicht erreicht, Ende März 2016 waren es durch den Zinsrückgang sogar 26, und drei haben es auch mit Übergangsmaßnahmen nicht geschafft. Querner wollte dies aber nicht überbewerten. Bei einem Urteil müsse immer die Gesamtsituation eines Unternehmens betrachtet werden.