SCHLUSSNOTE

Verstreute Ziegelsteine

Von Dietegen Müller Erinnern Sie sich an Lord O'Neill of Gatley? Er ist Ihnen vermutlich besser bekannt unter dem Namen Jim O'Neill, der früherer Chefvolkswirt der US-Investmentbank Goldman Sachs. Mit seiner These, Brasilien, Indien, China und...

Verstreute Ziegelsteine

Von Dietegen MüllerErinnern Sie sich an Lord O’Neill of Gatley? Er ist Ihnen vermutlich besser bekannt unter dem Namen Jim O’Neill, der früherer Chefvolkswirt der US-Investmentbank Goldman Sachs. Mit seiner These, Brasilien, Indien, China und Russland böten das weltweit größte Wachstums- und Renditepotenzial, hatte er ab Ende 2001 für einige Furore gesorgt. Das Akronym BRIC füllte lange Zeit die Regale der Fondsbranche, ein “Megatrend” war geboren. Damals noch aufsehenerregend war O’Neills Aussage, mit den Bric-Staaten steige eine nicht zu unterschätzende Wirtschaftsmacht auf, die es erforderlich mache, dass diesen Ländern eine stärkere politische Vertretung auf Ebene der G7 zugestanden werde.Was die politische Mitsprache anbelangt, gehen die früh industrialisierten Länder und die BRICs immer noch eher parallele denn gemeinsame Wege. Auch sieht fünfzehn Jahre später das einheitliche Bild der BRICs viel weniger einheitlich aus – die Ziegelsteine der Weltwirtschaft, um in O’Neills Sprache zu bleiben, liegen nicht fest gefügt in einer Mauer robusten Wachstums, sondern verstreut und in unterschiedlich gutem Zustand herum. Das autokratisch geführte Russland ist nach der Annexion der Krim-Halbinsel aus dem Länderforum G8 ausgeschlossen worden und steckt in einer Krise – wie Brasilien, das mit Korruption und Rezession zugleich kämpft. China wandelt sich zu einer konsum- und dienstleistungsorientierten Wirtschaft und strebt offiziell weiter eine schrittweise Finanzmarktliberalisierung an. Ob dies dem Reich der Mitte ohne größeren Unfall – wie eine Kreditkrise – gelingt, wird sich zeigen müssen. Nur Indien scheint unter der Regierung von Premier Narendra Modi derzeit eine Renaissance auch am Kapitalmarkt zu genießen und sieht anziehendes Wachstum und einig neue Reformbemühungen. In Summe haben sich über die vergangenen zehn Jahre Anlagen in Schwellenländer in der Breite nicht ausgezahlt. Der MSCI Emerging Markets Index als Referenz etwa liegt kaum höher als vor einer Dekade. Damit ist die Performance vergleichbar mit jener von europäischen Aktien. Die Lehre daraus ist, dass es politische Risiken eben nicht nur in Schwellenländern gibt, denn hier hat die europäische Schuldenkrise ihre Spuren hinterlassen. Nur eine Anlage in den USA hätte bessere Renditen geliefert. Damit lässt sich auch eine einfach zu begründende Prognose konstruieren: Warum sollten die nächsten zehn Jahre die Schwellenländer weiterhin schlechter abschneiden? Wer darauf wettet, dass die Schwellenländer am Markt wieder aufholen, wird sich überlegen, wie er investieren kann. Naheliegend sind Anlagen in Indexprodukte oder in aktiv gemanagte Fonds. Letztere bergen das Versprechen, mit den Gegebenheiten vor Ort besonders vertraut zu sein und durch gezielte Auswahl eine Überrendite zu erzielen. Noch naheliegender ist der Ansatz, über westliche Unternehmen am höheren Wachstum in Schwellenländern teilzuhaben. Gerade was die Transparenz der Berichterstattung sowie der Diversifikation anbelangt, ist dies ein sinnvoller Weg. Mit Blick auf die unzureichenden Kapitalmarktrenditen im Negativ- und Niedrigstzinsumfeld kommen langfristige Investoren nicht um Schwellenländer-Beteiligungen herum. Eine noch wachsende Bevölkerung sowie ein ungestilltes Bedürfnis, zu höherem Lebensstandard zu gelangen, finden sich in gesättigten Märkten nicht in vergleichbarem Maße.