Verteilungskämpfe auf Schweizer Aktionärstreffen
dz Zürich – Der amerikanische Stimmrechtsberater Glass Lewis hat für die diesjährige Saison der Aktionärsversammlungen eine ziemlich kämpferische Parole ausgegeben: Manager, die sich noch auf Kosten ihrer Aktionäre und Angestellten gesundzustoßen trachteten, könnten auf der Hauptversammlung mit Sicherheit die Zurückweisung ihrer Vergütungsberichte erwarten. Den für solche Lohnpolitiken verantwortlichen Verwaltungsräten verspricht Glass Lewis den “Rauswurf”.Doch ganz so scharf dürfte der härter werdende Verteilungskampf in den Unternehmen nur in den seltensten Fällen ausgefochten werden, zumal die dem Aktionärstreffen vorausgehende Abstimmung der Positionen inzwischen zum Standardrepertoire jeder Vorbereitung gehört. Aber offensichtlich fühlen die US-Stimmrechtsberater gegenüber ihren Kunden, den zahllosen Pensionskassen, Anlagefonds und anderen institutionellen Investoren, die ihre Stimme aus praktischen oder auch aus prinzipiellen Gründen selber nie erheben, diesmal eine ganz besonders starke Verpflichtung, kämpferisch in den Ring zu steigen. “Selbst jene Firmen, die in puncto Management-Entlohnung den Business-as-usual-Ansatz wählen, werden auf Widerstand stoßen, wenn der Zahltag für Angestellte und Aktionäre geringer ausfällt. Die Firmen sind gut beraten, dies zu vermeiden”, stellte Glass Lewis Ende März die diesjährigen Erwartungen an die Gesellschaften klar. Auslöser Beschattungsaffäre Credit Suisse gehört zu den ersten Gesellschaften, die sich mit dem angriffslustigen Stimmrechtsberater auseinandersetzen dürfen. Den Vergütungsbericht wollen die Amerikaner auf der (virtuellen) Generalversammlung am 30. April zurückweisen und der Unternehmensspitze die Entlastung verweigern. Die Nachrichtenagentur Reuters hat die am Karfreitag an die Schweizer Großbank überstellte Stimmempfehlung eingesehen und offenbar festgestellt, dass der Auslöser dafür vor allem der Skandal um die Beschattung zweier ehemaliger Spitzenmanager ist. Der durch die Vorgänge entstandene Reputationsschaden, der auch dem Aktienkurs wenig förderlich war, sei der Grund für die empfohlene Verweigerung der Entlastung. Die Zurückweisung der Vergütung werde unter anderem damit begründet, dass der inzwischen abgetretene Konzernchef Tidjane Thiam mit 10,7 Mill. sfr immer noch zu großzügig entschädigt worden sei. Dabei hatte Thiam aufgrund seiner indirekten Mitverantwortung für den Beschattungsskandal eine Lohnkürzung in Höhe von 15 % hinnehmen müssen.Doch Glass Lewis war das offensichtlich zu wenig, zumal auch die Aktionäre nicht auf ihre Rechnung kommen. Das neue Aktienrückkaufprogramm über 1 Mrd. sfr ist aufgrund der Coronakrise und einer Empfehlung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) ebenso ausgesetzt wie die Zahlung der Dividende im angekündigten Umfang. Ebenfalls aufgrund der Finma-Empfehlung sollen die Aktionäre im Mai nur die Hälfte und erst im Schlussquartal des Jahres den Rest der Ausschüttung erhalten.Die Coronakrise ist ein Gradmesser für die Belastbarkeit von Vergütungssystemen, stellt auch der Schweizer Governance-Spezialist Swipra fest. Dieser beobachtet “eine Verschärfung bei der Beurteilung von Vergütungsplänen”, insbesondere bei Firmen, die stark von der Coronakrise betroffen sind. Ein klares Zeichen für den härter werdenden Verteilungskampf.