Viel Flexibilität: Die EU-Bankenregulierung in Coronazeiten
Von Andreas Heitker, BrüsselDie Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA gehörte zu Beginn der Coronakrise zu den Ersten, die darauf hingewiesen haben, dass es erstmals seit der Finanzkrise wieder an der Zeit sei, die Regulierung für Geldhäuser zu lockern. Die Banken müssten sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und dessen Kontinuität sichern – einschließlich der Unterstützung ihrer Kunden, erklärte die EBA bereits am 12. März und gab damit auch europaweit eine Linie vor, an die sich Aufsichtsbehörden und Politiker bis heute halten.Die Sorge, dass aus der Viruskrise auch noch eine neue Bankenkrise erwächst, ist nämlich weiterhin groß. Auch die EU-Finanzminister haben nach ihren Beratungen in der vergangenen Woche noch einmal die “volle Ausschöpfung der Flexibilität, die der aufsichtsrechtliche und buchhalterische Rahmen bietet” gefordert. Zeitlich befristete LockerungDie Banken erhielten die notwendige Flexibilität, damit sie ihren Kunden mit Krediten helfen könnten, begründete Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) diesen Kurs.Flexibilität ist das neue Zauberwort in der Regulierung. Die Lockerung der Vorgaben soll immer zeitlich befristet und immer innerhalb des bestehenden Rahmens erfolgen, der in der zurückliegenden Dekade aufgebaut wurde. Europaweit wurden in diesem Sinne in den vergangenen Wochen von den Aufsehern die Anforderungen an die Kapitalausstattungen der Institute, an die Risikovorsorge und an die Meldepflichten verändert. Zuletzt war es die Europäische Zentralbank (EZB), die die Kapitalanforderungen zur Absicherung gegenüber Marktrisiken vorübergehend gesenkt hat. Die genaue Summe ist kaum zu ermitteln, aber allein die Großbanken in der Eurozone wurden so um einen dreistelligen Milliardenbetrag entlastet, wie aus verschiedenen Berechnungen hervorgeht (siehe hierzu auch die Übersicht in der BZ vom 8. April).Vom Bundesverband deutscher Banken (BdB) kommt Lob für den bisherigen Kurs. Es sei gut und richtig gewesen, dass Gesetzgeber und Aufseher unter hohem Zeitdruck in der Coronakrise schnell und pragmatisch gehandelt hätten, sagte Hauptgeschäftsführer Christian Ossig der Börsen-Zeitung. Allerdings sieht er auch weiteren Handlungsbedarf: “Damit die Finanzbranche weiterhin Teil der Lösung sein kann, müssen diese kurzfristigen Maßnahmen jetzt gezielt ergänzt werden. Nur so bleiben wir flexibel, handlungsfähig und können unsere Kunden unterstützen.” Ossigs Beispiel: Allein mit der Aussetzung der Bankenabgabe im Jahr 2020 könnte den Banken in der Eurozone ein zusätzliches Kreditvolumen in Höhe von bis zu 175 Mrd. Euro zur Verfügung stehen. Dies würde insbesondere die vier Hauptbeitragszahler zum europäischen Abwicklungsfonds SRF deutlich entlasten: Und das sind neben den französischen und deutschen Instituten auch die aus Italien und Spanien – also den beiden Ländern in der EU, die von der Coronakrise am stärksten getroffen wurden.Es geht aktuell aber nicht nur darum, das aktuelle Regelwerk mit den Bedürfnissen der Viruskrise in Einklang zu bringen. Längst haben die Gesetzgeber damit begonnen, mehr oder minder fest geplante Erweiterungen in diesem Regelwerk im Angesicht der Pandemie noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Die Verschiebung der Basel-III-Reformen durch den Baseler Ausschuss – die Umsetzung des Abschlusses soll anstatt 2022 jetzt 2023 beginnen – war in dieser Sicht wohl der wichtigste Schritt. Aber auch die EU-Kommission ist zurzeit dabei, ihr diesjähriges Arbeitsprogramm noch einmal komplett neu aufzustellen. Alles, was im Kampf gegen die Viruskrise und für den Wiederaufbau der Wirtschaft als nicht dringend angesehen wird, könnte erst einmal verschoben werden, wie aus den bislang schon bekannt gewordenen Entwürfen des neuen Programms hervorgeht. Dies gilt auch für die Projekte im Bereich der Finanzmarktregulierung.Nicht in Frage gestellt werden demnach unter anderem die Aktionspläne für Anti-Geldwäsche (für Anfang Mai erwartet) und für die Kapitalmarktunion (drittes Quartal), die mit Blick auf die Finanzierung von Unternehmen aktuell noch einmal eine zusätzliche Bedeutung erhält. Spätere Mifid-ÜberprüfungAnders könnte es mit der eigentlich noch in diesem Jahr anstehenden Überprüfung der Marktrichtlinie Mifid II sein. An dieser dürfte die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr zwar ein gesteigertes Interesse haben, wie es in der Kommission heißt. Aber aus dem Büro von Vizepräsident Valdis Dombrovskis verlautete bereits, dass eine Verschiebung auf 2021 sehr wahrscheinlich sei. Auf Eis legen will die Kommission auf jeden Fall die eigentlich noch bis Juni geplanten Gesetzgebungsvorschläge für neue Kapitalanforderungen für Banken. Die Überprüfung der bestehenden Regeln solle vorerst ausgesetzt werden, da zunächst eine Diskussion über die Relevanz einer solchen Reform erforderlich sei, so die derzeitige Einschätzung der Brüsseler Behörde.