RECHT UND KAPITALMARKT - BANKRECHTSTAG 2013

Viel ist erreicht worden - nur ein Ende nicht

Mehr als 50 Gesetze und Regulierungen sind seit der Lehman-Insolvenz erlassen worden - Die neue Art der Regulierung wird weiter um sich greifen

Viel ist erreicht worden - nur ein Ende nicht

Von Thorsten Höche *)”Es ist das Jahr X der Krise und noch immer sind wir bei der Bankenregulierung kein Stück vorangekommen.” So oder ähnlich ist es seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 zuweilen zu hören. Den Motiven für diese Fehleinschätzung näher nachzugehen wäre interessant, ist aber nicht Sache dieses Beitrags. Hier soll es um den Befund selbst gehen – denn er ist schon seit längerem unzutreffend. Und es soll auf drei Entwicklungen eingegangen werden, die in ihrer Wirkung auf die Bankenregulierung und den Bankenmarkt der Zukunft kaum überschätzt werden können.Die erste Entwicklung ist die auch 2013 andauernde Regulierung durch die Parlamentsgesetzgeber auf nationaler und EU-Ebene, um die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrisen zu bewältigen. Unabhängig vom Inhalt zeigen schon Zahlen, dass von einer Tatenlosigkeit des Gesetzgebers nicht gesprochen werden kann: Mehr als 50 internationale, EU- und nationale Gesetze und Regulierungen sind seit der Lehman-Insolvenz 2008 erlassen worden. Was auch als Krisenursache ausgemacht wurde, bekam neue Regeln. Dies betrifft namentlich Strukturen von Aufsicht und Banken, substanziell neue Vorgaben für Eigenkapital, Liquidität und Risikomanagement, Derivate, Vergütung, Einlagensicherung, Bankensanierung und -abwicklung, Kapitalmarktstrukturen, Anleger- und Verbraucherschutz sowie Ratingagenturen und sogenannte Schattenbanken. Viele “lose Enden”Man mag nun hoffen, dass die Regulierung nach dem Erlass der aktuell diskutierten Vorschläge wieder in “ruhigeres Fahrwasser” gelangen möge. Die Erfahrung lehrt indes anderes: Schon in den “modernen Kapiteln” der Bankenregulierung der letzten 20 Jahre – etwa Compliance im Wertpapiergeschäft oder Geldwäscheprävention – ist aus der punktuellen Regelung eines für einige Zeit geltenden Rechtsrahmens ein stetiger und sich zunehmend verfeinernder Regulierungsstrom geworden. Kein Wunder, dass inzwischen Rechtsetzungsvorhaben durchnummeriert werden: etwa CRD IV, Mifid II oder Vierte Geldwäsche-Richtlinie. Entsprechendes ist für die Bankengesetzgebung im Nachgang der Krise abzusehen. Viele “lose Enden” in der aktuellen Debatte sind dafür die Vorboten. Als ein Beispiel mag das viel Konfliktpotenzial bietende Verhältnis zwischen European Banking Authority (EBA) und Europäischer Zentralbank in der künftigen EU-Aufsichtsstruktur gelten. Es wird Lösungen dafür geben – aber wohl nicht ohne neuerliche gesetzgeberische “Reparaturarbeiten”.Viele wenden ein, dass Späne fallen, wo gehobelt wird, und dass gerade Banken sich über strikte Regulierung im Nachgang der Krise nicht beklagen sollten. Doch kein Gesetzgeber kann heutzutage die Folgen seiner Regulierung mehr ohne Dialog mit und Feedback von den Stakeholdern ausreichend überschauen. Die Banken begleiten die teils grundlegenden Änderungen und Erweiterungen des schon zuvor dichten Regelwerks ihres Geschäfts nicht unkritisch, aber konstruktiv. Zu dieser Haltung gehört es, auf die kumulativen Folgen eines Regulierungsprogramms aufmerksam zu machen, dessen Einzelteile nicht immer aufeinander abgestimmt sind und das sich am Ende weit über den Bankensektor hinaus auswirken wird. Der Regulierungserfolg, das heißt stabilere Finanzmärkte, misst sich nicht an der Anzahl neuer Regeln, sondern an ihrer tatsächlichen Wirkung und – soweit es die Aufgaben der Banken angeht – ihrem Nutzen für die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit.Die zweite Entwicklung betrifft die Einbettung der angestrebten Bankenunion in den Regelungsrahmen der künftigen Europäischen Union. Wohlgemerkt, die EU-Aufsicht im Bankensektor zu verstärken, ist ein richtiger Ansatz. Entscheidend wird am Ende sein, ob die neue Aufsicht bei der Europäischen Zentralbank gemeinsam mit den nationalen Aufsehern im Fall der Fälle rasch und auf der Basis einheitlicher Regeln wirksam agieren kann und dass die Aufsicht in Mitgliedstaaten jenseits einer EZB-Zuständigkeit den gleichen Vorgaben folgt. Mit dem Rechtsrahmen hierfür wird ein Anfang gemacht – mehr nicht. Und ein weiterer Aspekt darf nicht vergessen werden: Der EU-Gesetzgeber hat mit der Bankenregulierung einen Anfang zur Vertiefung der politischen Union gemacht. Er darf nun nicht dabei stehen bleiben. Ernüchterung stellt sich einAllerdings scheint sich inzwischen Ernüchterung eingestellt zu haben, ob dies rasch gelingen wird. Zunehmender Streit über einzelne Regelungsvorhaben – zum Beispiel über die Errichtung eines Bankenabwicklungsfonds auf EU-Ebene – ebenso wie das Zögern bei der notwendigen Einbettung der Bankenregulierung in eine Reform der EU an Haupt und Gliedern – Stichwort Fiskalunion – künden hiervon. Ein umfassenderes Konzept als eine Bankenunion ist für die Zukunft der EU geboten. Denn bei allem Verständnis für den Diskurs über politische Notwendigkeiten in Krisensituationen dürfen die Grenzen des Respekts für den Wortlaut der Verträge nicht überschritten werden. Wo erforderlich müssen also die EU-Verträge angepasst werden. Das gilt unter anderem für den angestrebten EU-Bankenabwicklungsfonds. Klar ist: Auf Dauer kann die EU nicht existieren ohne das Vertrauen, dass ihre rechtlichen Grundlagen respektiert werden.Zur dritten Entwicklung: Weithin unbeachtet ist ein Regulierungsbereich geblieben, der im Rahmen der Änderungen des Lissabon-Vertrages im Jahr 2009 in das EU-Recht eingeflossen ist und seither eine große Blüte im Bereich der Finanzmarktregulierung erlebt. Die Rede ist vom Erlass sogenannter delegierter oder Durchführungsrechtsakte gemäß Art. 290, 291 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. In eigens ausgeklügelten Verfahren kann auf dieser Grundlage Rechtsetzung vom Europäischen Parlament und vom Rat auf die Europäische Kommission verlagert werden. Diese lässt sich im Bankenbereich von den Europäischen Aufsichtsbehörden EBA und ESMA unterstützen, auf die sie die Erstellung von Entwürfen solcher Rechtsakte delegieren kann. Das EBA-Arbeitsprogramm 2013 bis 2018 sieht allein 84 Regulierungs- und Durchführungsakte vor, um die neuen Eigenkapitalvorschriften und die noch in Brüssel beratene Krisenmanagement-Richtlinie zu konkretisieren. Hinzu treten in diesem Bereich 35 Leitlinien, mit denen Erläuterungen gegeben werden. Das ESMA-Arbeitsprogramm für 2013 weist 26 bindende Technische Standards und Leitlinien als Vorhaben aus.Hieraus wird deutlich: In der Bankenregulierung verschiebt sich etwas grundsätzlich. Denn bei diesen Regeln handelt es sich nicht etwa um eine Art “soft law”, das in geringerem Maße verbindlich ist. Dazu reicht ein Blick auf Art. 290 AEUV und in die Rechtsakte zur Gründung von EBA und ESMA. Zudem besteht die vornehmste Aufgabe dieser Behörden gerade in der Erstellung von Regulierungsvorschlägen für die EU-Kommission. Die EU-Gruppe der “Regulators” ist größer geworden und die neuen Mitglieder nehmen ihre Funktion ernst. Die neue Art der Regulierung, noch dazu in der Praxis durch Prüfungen nicht zuletzt von Aufsichtsbehörden kontinuierlich evaluiert, wird deshalb weder wieder verschwinden noch reduziert werden. Sie ist gekommen, um zu bleiben – und sie wird weiter um sich greifen. Aus allem folgt, dass in der Bankenregulierung viel erreicht ist – nur ein Ende nicht.—-*) Thorsten Höche ist Chefsyndikus des Bundesverbands deutscher Banken.