Im Gespräch Vorstandssprecher Lars Witteck

Volksbank Mittelhessen hält sich bereit für mögliche weitere Fusionen

Auch nach der beschlossenen Fusion mit den Genossen in Bad Hersfeld bleibt die Volksbank Mittelhessen offen für Zusammenschlüsse, sagt Vorstandssprecher Lars Witteck im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Volksbank Mittelhessen hält sich bereit für mögliche weitere Fusionen

Im Gespräch: Lars Witteck

Volksbank Mittelhessen hält sich bereit für Fusionen

Institut erschließt neue Erlösquellen und bleibt nach Zusammenschluss mit Bad Hersfeldern offen für anorganisches Wachstum, sagt der Vorstandschef

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Die Volksbank Mittelhessen nimmt sich Ertragsquellen jenseits des klassischen Bankgeschäfts vor und zeigt sich auch nach der beschlossenen Fusion mit dem VR-Bankverein Bad Hersfeld-Rotenburg grundsätzlich offen für weitere Zusammenschlüsse. „Wir wollen sowohl durch Fusionen als auch organisch wachsen“, bekräftigt Vorstandssprecher Lars Witteck im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Was mögliche weitere Zusammenschlüsse angeht, so betont er aber, aktuell keine Fusionsgespräche zu führen. „Wenn eine Genossenschaftsbank in der Nachbarschaft zu der Erkenntnis kommt, dass es eine Option wäre, die Stärken zusammenzuschließen, dann sind wir gesprächsbereit“, sagt der frühere Regierungspräsident des Regierungsbezirks Gießen, den es 2015 zur Volksbank zog.

Wenn eine Genossenschaftsbank in der Nachbarschaft zu der Erkenntnis kommt, dass es eine Option wäre, die Stärken zusammenzuschließen, dann sind wir gesprächsbereit.

Das Geschäftsgebiet des in Gießen ansässigen Instituts erstreckt sich aktuell vom nordhessischen Frankenberg bis Karben im Süden, von Weilburg im Westen bis in den Vogelsberg im Osten.

Schwergewicht in Hessen

In rund 220 Fusionen habe sich das 1858 gegründete Haus vergrößert, rechnet Witteck vor. Den jüngsten, am 1. Januar 2025 wirksamen Zusammenschluss mit den Bad Hersfeldern haben die Vertreterversammlungen der beiden Institute zuletzt einstimmig beschlossen. Das Institut wird dann über eine Bilanzsumme von 12 Mrd. Euro verfügen und damit bundesweit nach Größe in die Top Ten der Genossenschaftsbanken aufsteigen.

Noch größere Schwergewichte in Hessen sind die ebenfalls fusionserprobte Frankfurter Volksbank (19 Mrd. Euro) sowie die Volksbank Darmstadt Mainz (knapp 15 Mrd. Euro), die vor einem Jahr technisch aus der Volksbank Darmstadt-Südhessen und der früheren Mainzer Volksbank hervorgegangen ist.

Witteck steht auf dem Standpunkt, dass die Fähigkeit zur Spezialisierung und damit eine gewisse Größe vonnöten sei, um den verschärften aufsichtlichen und anspruchsvolleren Kundenanforderungen, gerade im Firmenkundengeschäft, zu begegnen, ohne dass die Organisation ständig unter Stress stehe.

Er geht davon aus, dass weder die Regulatorik signifikant abnimmt noch der Wettbewerb. „Gefühlt streben ständig neue ausländische Banken nach Deutschland, obwohl der Markt doch schon so umkämpft ist.“

Regionalität bewahren

Die Frage, was die richtige Größe für ein Finanzhaus wäre, beantwortet der Vorstandssprecher mit einer Gegenfrage: „Ab wann verliert man die Regionalität? Gäbe es in Hessen nur noch eine Genossenschaftsbank, ginge viel von dem verloren, was Mitglieder und Kunden ausmacht.“

Passend sind seiner Ansicht nach mehrere größere Institute entlang tradierter geografischer Grenzen, die Kontakt haben zu Kunden wie zu bedeutenden regionalen Akteuren, beispielsweise zu den Industrie- und Handelskammern, zu Handwerkern, Bürgermeistern, Landräten und Regierungspräsidien.

Die Volksbank Mittelhessen betrachtet er einerseits als groß genug, um regulatorische wie Kundenerwartungen zu erfüllen, andererseits als nicht zu großes Institut, das die Verwurzelung in der Region zu verlieren drohe. Hier sieht er weitere Ausdehnungsmöglichkeiten. „Bei uns funktioniert es. Und selbst bei weiterem Wachstum dürfte es noch funktionieren.“

Beyond Banking

Der Reiz, die kleine VR-Bankverein Bad Hersfeld-Rotenburg mit einer Bilanzsumme von knapp 1,2 Mrd. Euro, gut 300 Mitarbeitern und 46.000 Kunden zu übernehmen, liegt nach Auffassung Wittecks auch darin, dass sie mit bankfernen Angeboten aufwartet (Beyond Banking), die ihr neue Erlösquellen sichert und den Mitgliedern Mehrwert bietet.

Ökosystem etabliert

Das praktiziere zwar auch die Volksbank Mittelhessen hier und da, doch lasse sich von den Fusionspartnern noch einiges abschauen. So übernimmt beispielsweise eine Tochtergesellschaft der VR-Bankverein Projektentwicklungen für das Mutterhaus wie für externe Firmen und verantwortet die technische Betreuung von Einkaufszentren. Zu weiteren Aktivitäten der Bad Hersfelder zählen etwa der Betrieb eines Carsharing-Systems und auch eines Bio-Supermarkts.

„Viele reden über Ökosysteme, und sie haben einfach mal eines geschaffen“, kommentiert Witteck die Aktivitäten der Nordhessen. „Das heißt nicht, dass das alles funktioniert und wir alles eins zu eins in Gießen, Bad Nauheim oder Marburg übernehmen können. Aber dahinter steckt eine Macher-Mentalität und ein Blick auf das, was geht.“

Die Gießener haben sich bereits mit Partnern zusammengetan, um zum Beispiel gemeinsam Erneuerbare-Energien-Projekte zu entwickeln. „Seit Fukushima 2011 haben wir gut 35 Windparks finanziert“, erzählt Witteck. Zudem ist die Volksbank Mitgründerin einer Projektentwicklungsgesellschaft, in deren Immobilien in Gießen Menschen betreut leben können und sich Ärzte und Therapeuten niedergelassen haben.

Wohnen, Energie, Arzt

„An diesen drei Strängen – Bauen und Wohnen, Energie, ärztliche Versorgung – möchten wir arbeiten“, sagt Witteck. „Deshalb haben wir eigene Projektentwicklungsfirmen, deshalb sind wir im Immobilienbereich aktiv, deshalb haben wir Tochterfirmen im Bereich der erneuerbaren Energien gegründet.“ Weitere Pläne gebe es auch den Gesundheitsbereich betreffend, doch sei es noch zu früh, um darüber zu sprechen. Auf diesen drei Feldern kann er sich weitere Partnerschaften gut vorstellen. „Dahinter stehen klare Ertragserwartungen, was wir bis 2028 in diesen Beyond-Banking-Säulen erreicht haben wollen“, macht Witteck deutlich. Wie hoch die sind, will er noch nicht verraten.

Zunehmend schwer falle es, den Bedarf an Fachkräften zu decken. Dies sei zwar möglich, allerdings unter größeren Anstrengungen als früher.

30 Quereinsteiger in Ausbildung

Dem Thema widme die gesamte Organisation sehr viel Aufmerksamkeit. „Würden wir uns darauf beschränken, Auszubildende einzustellen und hin und wieder eine Anzeige zu schalten, dann wäre es schwierig. Man muss neue Wege gehen.“ Beispielsweise über ein Quereinsteigerprogramm, in dem aktuell gut 30 Menschen für den Dienst in Filialen ausgebildet werden, darunter ehemalige Einzelhandels- und Verlagskaufleute sowie syrische und ukrainische Flüchtlinge.

Diversität zahlt sich monetär aus

Um gute Leute zu finden und zu halten, werden Witteck zufolge vom Gehalt abgesehen innere Faktoren einer Organisation wie die Unternehmenskultur immer wichtiger. „Wie ist der Tone from the Top? Wie geht man miteinander um? Welche Prinzipien, welche Werte gelten? Sind wir wirklich dienstleistungsorientiert, oder könnte sich eine Bank auch ohne Kunden ganz gut beschäftigen? Wie divers sind wir, wie gehen wir mit unterschiedlichen Herkünften um? Wie mit abweichenden Meinungen?“, zählt Witteck Fragestellungen auf, die zu beantworten seien. Und zwar nicht nur um des Gemeinwohls willen. „Das ist kein Ringelpiez mit Anfassen, sondern es sind harte betriebswirtschaftliche Faktoren.“ Schließlich sei erwiesen, dass diverse Teams bessere Entscheidungen träfen als homogene und sich somit monetär auszahlten.

Weniger Gewinn in Aussicht

Witteck geht davon aus, dass die Volksbank in diesem Jahr nur noch ein Ergebnis nach Bewertung von rund 95 Mill. Euro einfahren wird. 2023 waren es dank eines kräftigen Zinsschubs 118 Mill. Euro gewesen, im Jahr davor noch 57 Mill. Euro. „Wir möchten dauerhaft mehr als 1% unserer Bilanzsumme nach Bewertung verdienen“, gibt Witteck als Ziel aus. Damit liefe der angepeilte Gewinn künftig auf rund 120 Mill. Euro hinaus.

Wir möchten dauerhaft mehr als 1% unserer Bilanzsumme nach Bewertung verdienen.

Sorge vor Polarisierung

Nachdenklich stimmt Witteck, der sich auf Linkedin regelmäßig in gesellschaftspolitischen Debatten zu Wort meldet, eine zunehmende Polarisierung. Die habe er schon als Regierungspräsident 2009 bis 2015 zu spüren bekommen, als er über Genehmigungen von Erneuerbare-Energien-Anlagen zu befinden hatte und für die Erstunterbringung von Flüchtlingen in Hessen zuständig war. „Die Gräben haben sich in den vergangenen Jahren vertieft", stellt er fest. „Es wird sich ganz schön viel angeschrien – online wie offline. Es wird nicht mehr zugehört. Das Verbindende geht hier und da verloren, und das macht Sorge.“

Es wird sich ganz schön viel angeschrien – online wie offline.

Er werde sich nicht in jeden gesellschaftlichen und politischen Diskurs einschalten, sagt Witteck, gibt aber klare Maßstäbe vor, wann es seines Erachtens geboten ist, sich als Vertreter der Wirtschaft einzumischen: „Wenn Grenzen überschritten werden, wenn an Grundpfeilern unseres Staates Hand angelegt wird, sind wir alle in der Pflicht: Privatpersonen, Unternehmen, Vereine, Verbände gleichermaßen. Wenn grundlegende Werte unseres Landes, wie jene, die im Grundgesetz niedergelegt sind, negiert und abgestritten werden, dann kann die Wirtschaft nicht schweigen und weiter Geld verdienen. Die Frage muss sein: Wo stehst du? Das nehme ich auch für uns in Anspruch. Wir sind kein politischer Akteur, aber wir haben eine Haltung.“

Die Volksbank Mittelhessen bleibt offen für Zusammenschlüsse mit genossenschaftlichen Instituten in der Nachbarschaft. Beschlossene Sache ist bereits die Fusion mit den Genossen in Bad Hersfeld. Auf Wachstum setzt Vorstandssprecher Lars Witteck auch mit dem Ausbau von Ertragsquellen jenseits des klassischen Bankgeschäfts.


Zur Person

Als Seiteneinsteiger kam Lars Witteck (50) im Jahr 2015 zur Volksbank Mittelhessen, wo er unter anderem das Privatkundengeschäft verantwortet. Zuvor war er sechseinhalb Jahre lang Regierungspräsident in Gießen. Im Mai 2022 stieg er dann vom Vorstandsmitglied zum Vorstandssprecher neben Peter Hanker auf.

Der promovierte Jurist Witteck startete seine Karriere 2004 als Leiter des Grundsatzreferats im hessischen Innenministerium, wo er, von einem Intermezzo 2006 als Richter am Amtsgericht Friedberg abgesehen, bis 2008 aktiv war. Es folgte eine knapp anderthalbjährige Tätigkeit als Vollstreckungsleiter der Jugendarrestanstalt Friedberg, bevor er ins Regierungspräsidium wechselte.

Der verheiratete Vater erwachsener Zwillinge lebt bei Gießen. In seiner Freizeit unternimmt der Jazzmusik-Fan gern Reisen in sein Lieblingsland Finnland und widmet sich dem Tennisspielen sowie Skifahren.


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