Vom Regen in die Traufe kommen

Institute müssen bei einem abrupten Zinsanstieg möglichst schonend im Trockenen landen - Probleme einfach nur "aussitzen" wird nicht möglich sein

Vom Regen in die Traufe kommen

Anlässlich des Bankentages möchte ich die Gelegenheit nutzen, dem BdB für die stets gute Zusammenarbeit zu danken. In dem Zusammenhang bitte ich um Nachsicht, dass ich ein solch schwieriges Thema hier aufbringe – doch das ist der aktuellen Situation geschuldet.Noch beklagen sich Banken und Sparkassen über das anhaltend niedrige Zinsniveau – doch sie leiden vielleicht bald schon unter zu schnell steigenden Zinsen. Was auf den ersten Blick widersprüchlich klingt, könnte Realität werden. Denn mit sich erhöhenden Zinsen steigen nicht nur die Erträge aus der Kreditvergabe – auch die Finanzierung wird teurer. Und in den meisten Fällen steigen die Finanzierungskosten zunächst schneller als die Zinserträge. Wer heute über geringe Erträge wegen des Niedrigzinsumfelds klagt, könnte also angesichts steigender Zinsen bald das Gleiche tun. Banken können also vom Regen in die Traufe kommen. Das gilt für viele deutsche Institute in besonderem Maße. Ein genauerer BlickDas Problem trägt den Namen “Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch”. Die Risiken messen wir mit dem sogenannten “Baseler Zinsschock” – also dem parallelen Anstieg beziehungsweise Rückgang der Zinsstrukturkurve um 200 Basispunkte. Liegt in diesem Szenario der Verlust über 20 % des Eigenkapitals, schaut die Aufsicht genauer hin. Das gilt aktuell für mehr als die Hälfte der Institute; unter Genossenschaftsbanken liegt dieser Anteil sogar bei fast 70 %.All dies heißt natürlich nicht, dass Institute unbesonnen oder gar leichtsinnig wirtschaften. Risiko gehört zum Bankgeschäft dazu. Das Risiko steigt aber angesichts der aktuellen Laufzeiten von Krediten: Unternehmen wie auch Bürgerinnen und Bürger wünschen sich bei der Kreditaufnahme langfristige Planungssicherheit, was durch eine lange Zinsbindung ermöglicht wird. Dafür zahlen Bankkunden einen entsprechend höheren Zins. Wenn die Wirtschaft stabil ist, können Banken durch Fristentransformation auskömmlich leben. Denn das Geld, das sie langfristig zum festen Zins verleihen, können sie in normalen Zeiten günstig über Einlagen und andere kurzfristige Quellen finanzieren.Was einerseits Geschäftsgrundlage der meisten deutschen Banken ist, bedeutet aber zugleich ein gewisses Zinsänderungsrisiko für die Institute. Denn Veränderungen des Zinsumfelds gehören zu unserem Wirtschaftssystem. Und die höheren Zinsen spüren Institute zunächst einmal dort, wo sich Zinsen in kurzer Zeit stark anpassen können: bei Tagesgeldern und anderen kurzfristigen Finanzierungsformen. Zinsänderungsrisiken gehören also zum Geschäft mit der Fristentransformation wie die Absturzgefahr zum Bergsteigen. Ein langfristiges Kreditangebot ist folglich institutsseitig nicht ohne Risiken denkbar. Umso wichtiger ist ein gutes Risikomanagement.Um eines deutlich zu machen: Zinsänderungsrisiken sind keineswegs neu. Doch die Umstände sind im Moment besondere. Längerfristige geldpolitische Operationen haben die Zinsstrukturkurve abgeflacht. Der Unterschied zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinsen ist also gesunken. Zugleich erschwert das niedrige Zinsniveau die Konditionengestaltung. Während an Geldmärkten mitunter Negativzinsen vorherrschen, haben viele Institute bisher davor zurückgeschreckt, “Strafzinsen” an ihre Kunden weiterzugeben.Um ihre Erträge aus dem Zinsgeschäft gleichwohl zu stabilisieren, reagierte eine Vielzahl der Institute mit einer Ausweitung der Fristentransformation. So ist der Anteil der Wohnungsbaukredite mit über zehnjähriger Zinsbindung in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Kürzere Zinsbindungslaufzeiten oder variable Zinssätze im Kreditgeschäft haben dagegen an Bedeutung verloren. Die Dauer der Niedrigzinsphase verstärkt diese Tendenz zunehmend. Es gilt: Je länger die Phase niedriger Zinsen andauert, desto mehr niedrig verzinste Kredite werden bis zur Zinswende die Bankbilanzen füllen. All dies schlägt sich in höheren Zinsänderungsrisiken nieder.Für die Bankenaufsicht bedeuten Zinsänderungsrisiken daher erhöhte Aufmerksamkeit. Trotz ihrer Bedeutung sind diese Risiken aber nicht Bestandteil der gesetzlich definierten Mindestkapitalanforderungen. Um dennoch ein angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten, berücksichtigen wir diese im Rahmen unserer routinemäßigen Aufsicht. So werden Zinsänderungsrisiken im aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess, kurz SREP, genau unter die Lupe genommen. In regelmäßigen Verfahren müssen die Institute ihren Aufsehern nachweisen können, dass sie ihre eingegangenen Risiken tatsächlich tragen und auch angemessen überblicken und managen können. Zu den Maßnahmen der Aufsicht gehören Kapitalaufschläge ebenso wie qualitative Anweisungen.In diesem Prozess werden auch die Zinsänderungsrisiken eines Instituts sowohl qualitativ als auch quantitativ geprüft. Im Zentrum der quantitativen Prüfung steht der erwähnte “Baseler Zinsschock”. Doch der Zinsschock allein gibt noch kein umfassendes Bild. Die Aufsicht prüft daher ebenso die Qualität des Risikomanagements. Aus beiden Komponenten wird die Höhe eines möglichen Kapitalzuschlags im Rahmen des SREP abgeleitet. Aufsichtsprozess angepasstAngesichts der großen Bedeutung von Zinsänderungsrisiken im Bankgeschäft ist es nur richtig, dass der Aufsichtsprozess zuletzt angepasst wurde und in der Regel zu expliziten Kapitalaufschlägen für Zinsänderungsrisiken führt. Die Aufseher der Bundesbank haben zusammen mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im vergangenen Jahr bereits gut 300 Institute mit dem neuen Prozess geprüft. Für 2017 ist vorgesehen, bis zum Jahresende alle anderen rund 1 300 Banken und Sparkassen zu prüfen.Doch das bedeutet nicht, dass ein Teil der Institute bis dahin keine Vorsichtsmaßnahmen benötigt. Sie wurden von der deutschen Aufsicht seit Ende 2016 dazu verpflichtet, ihre Zinsänderungsrisiken mit einer vorgegebenen Methode zu bestimmen und ebenfalls explizit mit Kapital zu unterlegen. Die Einhaltung dieser Pflicht wird von der Aufsicht selbstverständlich überwacht. Ergänzende StressanalyseDie Zinsänderungsrisiken sind der deutschen Aufsicht so wichtig, dass wir bei den Instituten schon ab kommendem Monat eine Abfrage für eine ergänzende Stressanalyse starten, was im Ergebnis für die Institute zu einer ergänzenden Kapitalanforderung in Form eines Puffers führen kann. Sollte ein Institut diesen unterschreiten, führt das nicht automatisch zu harten aufsichtlichen Maßnahmen, allerdings zu einer engeren Überwachung. Die Europäische Zentralbank (EZB) führt derzeit eine ähnlich gelagerte Untersuchung für die Zinsänderungsrisiken der von ihr beaufsichtigten Institute durch. Frühzeitig reagierenDie zuletzt gestiegene Inflation in Deutschland und im gesamten Euroraum hat steigende Zinsen wahrscheinlicher gemacht. Je früher Banken und Sparkassen das Risiko einer Zinswende angehen, desto passgenauer können sie die Auswirkungen managen. Die Fristentransformation können sie etwa durch eine längerfristige Finanzierung begrenzen. Die Restlaufzeiten bei Bankschuldverschreibungen sind zuletzt deutlich gestiegen. Ebenso können sie die Risiken an den Kapitalmarkt weitergeben, etwa durch Zinsswaps. Geld für den ErnstfallWenn sie das Risiko hingegen in Kauf nehmen, müssen sie ausreichend Geld für den Ernstfall zurücklegen. Die Bundesbank hat es zuletzt vorgemacht. Erstmalig hat die deutsche Zentralbank Rückstellungen explizit für Zinsänderungsrisiken gebildet. Aber auch Geschäftsbanken steigern ihre Fähigkeit, diese Risiken zu tragen. Zuletzt haben deutsche Banken und Sparkassen ihre regulatorische Kernkapitalquote im Mittel auf 16,2 % erhöht.Wie deutsche Kreditinstitute dem Risiko steigender Zinsen begegnen wollen, hängt von ihrer jeweiligen Unternehmensstrategie ab. Fakt ist aber, dass es nicht möglich sein wird, die Probleme einfach nur “auszusitzen”. Die niedrigen Zinsen dürfen keine Ausrede sein, denn sie sind ebenfalls Ursache für das Risiko. Derzeit stehen die Institute im unangenehmen, gleichwohl kontrollierten Regen des Niedrigzinsumfelds. Ein abrupter Zinsanstieg kann aber – dem Bild der Traufe entsprechend – die Institute gleich einem Schwall kalten Wassers erwischen. Es muss Banken und Sparkassen also darum gehen, möglichst schonend im Trockenen zu landen. Inmitten des heutigen Niedrigzinsumfelds sollten sie also schon für einen etwaigen Zinsanstieg vorsorgen.—Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, verantwortlich für Banken und Finanzaufsicht