Von der optionalen Kür zur Pflicht

Die bevorstehende Einführung nachhaltiger Investmentfonds ist nicht ohne praktische Schwierigkeiten - Kreativität und Pragmatismus sind gefragt

Von der optionalen Kür zur Pflicht

Seit der Verabschiedung des Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums durch die Europäische Kommission im Jahr 2018 war offensichtlich, dass die Finanzindustrie ein wichtiges Element der 2016 mit dem Pariser Abkommen begonnenen Strategie zur Nachhaltigkeit darstellen würde. In den vergangenen Monaten hat dies zu einer ganzen Reihe von neuen Regelwerken geführt, so etwa die Taxonomie-Verordnung zur Klassifizierung der ökologischen Komponente von Investments sowie die Transparenz-Verordnung.Vor allem die letztgenannte Verordnung zieht erhebliche praktische Konsequenzen für die gesamte Fondsindustrie nach sich. Sie ist in ihren voraussichtlichen Auswirkungen auf die Arbeit von Fondsmanagern wohl nur mit der Einführung der AIFM-Richtlinie (Alternative Investment Fund Manager Directive) vor knapp zehn Jahren vergleichbar. Luxemburg als mit Abstand größter Fondsstandort in Europa und weltweit die Nummer 2 mit derzeit knapp 4 600 Mrd. Euro verwaltetem Vermögen und fast 15 000 Fonds (inklusive Teilfonds) ist hiervon naturgemäß stark betroffen.Im Anwendungsbereich der Transparenz-Verordnung sind neben den Verwaltungsgesellschaften und AIFM alle in Luxemburg existenten Fondstypen: neben den OGAW (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren) als Retailprodukte auch alle alternativen Fonds wie die sogenannten Teil-II-Fonds, spezialisierte Investmentfonds (SIF), Investmentgesellschaften für Anlage in Risikokapital (Sicar), Reservierte Alternative Investmentfonds (RAIF) und andere alternative Investmentfonds wie etwa Kommanditgesellschaften (SCS/SCSp).Dabei ist Nachhaltigkeit für Luxemburg kein Neuland: Bereits seit den 1990er Jahren hat man sich stark bei Mikrofinanzfonds engagiert und kommt dort mittlerweile auf einen Marktanteil von 60 % weltweit; es gibt Regierungsinitiativen wie das Nachhaltigkeitslabel für Fonds “Luxflag” (seit 2006), und erst vor einigen Wochen begab der Luxemburger Staat die europaweit erste nachhaltige Staatsanleihe. Nachhaltige Investmentfonds existieren daher schon eine ganze Weile im Großherzogtum, jedoch waren diese eher Zusatz- als Kernprodukt und oft durch staatliche Förderbanken wie etwa die KfW oder den ebenfalls in Luxemburg ansässigen Europäischen Investitionsfonds (EIF – European Investment Fund) getrieben.Vor allem gab es bislang keine einheitlichen Standards für die Bezeichnung “nachhaltig” oder die Dreifaltigkeit “ESG” (Environment Social Governance), wie sie die Transparenz-Verordnung vorsieht. Dies soll sich nun ändern, und die europäischen Regularien sollen es einerseits dem Anleger einfacher machen bei seiner Auswahl eines Fonds, andererseits die Finanzindustrie insgesamt zur Entwicklung neuer Produkte anhalten und somit Gelder verstärkt in nachhaltige Projekte lenken.Dieser Schwenk von nachhaltigen Fonds von optionaler Kür zur Pflicht im Wege der Umsetzung der Vorgaben der Transparenz-Verordnung wird dabei alle Marktteilnehmer der Luxemburger Fondsindustrie betreffen, in erster Linie die Fondsmanager. Sie alle werden sich einer ganzen Reihe von Herausforderungen in der Praxis stellen müssen. Zunächst geht es dabei um die zukünftige strategische Ausrichtung der Fondsmanager und ihrer Produkte und die Frage, ob man bei den Anlageentscheidungen künftig wichtige nachteilige Auswirkungen auf bestimmte Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen möchte.Bejaht man dies, hat dies umfangreiche Veröffentlichungspflichten auf der Website des Fondsmanagers sowie in den Verkaufsprospekten der Fonds zur Folge. Welche Nachhaltigkeitsfaktoren hier zu beachten sind und auf welcher Ebene (des Fonds oder jedes einzelnen Vermögenswerts des Portfolios), ist derzeit noch unklar: Die seitens der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA vor einigen Monaten im Entwurf veröffentlichten technischen Regulierungsstandards (RTS) sehen 32 solcher Faktoren vor und scheinen von einer Analyse auf Portfolioebene auszugehen.Ob der Anleger mit solch detaillierten Informationen etwas anfangen kann und wie ein Fondsmanager solche Datenmengen überhaupt verarbeiten soll, bleibt derzeit noch im Dunkeln. Viele der aufgeführten Faktoren sind darüber hinaus auf typische Retailfonds mit einer Anlage in Wertpapieren zugeschnitten und sind für Fonds mit anderen Strategien wie etwa Immobilienfonds oder Private-Equity-Fonds nur teilweise oder überhaupt nicht relevant.Entscheidet man sich gegen die Berücksichtigung dieser Faktoren, zieht dies einen Begründungszwang nach sich, und einer solchen Veröffentlichung ist eine gewisse “Prangerwirkung” wohl nicht ganz abzusprechen. Fondsmanager können sich auch dazu entschließen, nicht nur negative Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren zu berücksichtigen, sondern auch nachhaltige Fonds aufzulegen beziehungsweise existierende Produkte entsprechend zuzuordnen. Die Transparenz-Verordnung sieht hierfür zwei Kategorien vor: Entweder solche, auch ESG-Strategie-Fonds genannt, die bestimmte ökologische oder soziale Merkmale bewerben oder weitergehend solche, deren Ziel in einer nachhaltigen Anlage besteht (auch Impact-Produkte genannt). AbgrenzungsfragenIn der Praxis werden sich zwischen den beiden Kategorien Abgrenzungsfragen stellen. So sind etwa Risikohinweise zu Nachhaltigkeitsfaktoren mittlerweile bei einer Vielzahl von Fonds üblich – würde dies bereits zu einer Einordnung als ESG-Strategie-Fonds führen? Oder wie ist es mit Mischprodukten, die Anlagen in nachhaltige Projekte als Möglichkeit vorsehen, jedoch nur als untergeordneten Teil der Anlagestrategie? Hinzu kommt, dass der momentane Entwurf der RTS einen Warnhinweis für Strategiefonds vorsieht, dass diese gerade kein nachhaltiges Anlageziel verfolgen – da scheint Verwirrung auf Anlegerseite vorprogrammiert.Die wohl größte Herausforderung wird für die Anbieter von nachhaltigen Fondsprodukten in der Verfügbarkeit der gemäß der Transparenz-Verordnung erforderlichen Daten bestehen. Der vermutlich weit überwiegende Anteil der Informationen, die auf Websites, in den Verkaufsunterlagen der Fonds oder in regelmäßigen Berichten zu veröffentlichen sind, wird derzeit noch nicht erfasst.Dies ist für ein noch junges Marktsegment nicht ungewöhnlich, und es ist zu erwarten, dass dieses Geschäftsfeld in den kommenden Jahren von entsprechenden Datenanbietern beackert wird. Bis aber auch nur ein annähernd ausreichendes Angebot verfügbar ist, wird noch einige Zeit vergehen, erst recht bis es zu einer für automatisierte IT-Verfahren notwendigen Standardisierung dieser Daten kommt. Zu beachten ist auch, dass gerade Luxemburger Investmentfonds einen großen Anteil ihres Vermögens außerhalb der EU anlegen, wo die Verfügbarkeit solcher Daten nochmals geringer ist.Neben der inhaltlichen Komponente ist auch die regulatorische Umsetzung in zeitlicher Hinsicht ein Problem. Die weit überwiegende Mehrheit der Luxemburger Fondstypen (OGAW, SIF, Sicar, sogenannte Teil-II-Fonds) können ihre Fondsunterlagen nur nach einem Genehmigungsverfahren mit der Luxemburger Finanzaufsicht CSSF ändern. Um die Vorgaben der Transparenz-Verordnung im Hinblick auf die zwei Kategorien nachhaltiger Fondsprodukte umzusetzen (Gleiches gilt für die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsrisiken), wäre daher ein Genehmigungsverfahren durchzuführen. Es ist absehbar, dass dies bis zum Inkrafttreten der Verordnung am 10. März nächsten Jahres nicht möglich sein wird. Weitere UnsicherheitenDies hat wohl bei der Europäischen Kommission zu einem Umdenken geführt, und diese signalisierte vor einigen Tagen gegenüber einer Reihe von Marktteilnehmern, dass zumindest das Inkrafttreten der RTS nach hinten verschoben wird. Dies wird seitens der Fondsindustrie sicherlich mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, schafft aber auch weitere Unsicherheiten: Da die Regelungen der Transparenz-Verordnung ab 10. März 2021 verpflichtend sind, müssen die dort aufgeführten Veröffentlichungen durchgeführt werden – in Abwesenheit jeglicher Details hinsichtlich deren praktischer Umsetzung.Der bislang eher holprigen Einführung nachhaltiger Investmentfonds bleibt zu wünschen, dass diese Schwierigkeiten durch die Luxemburger Fondsindustrie mit ihrer bekannten Mischung aus Kreativität und Pragmatismus aufgefangen werden und jedenfalls langfristig zu einem Erfolg dieser zweifellos zukunftsträchtigen Initiative führen. Marcel Bartnik, Partner bei GSK Stockmann SA