Von Maschine zu Maschine - im Vorhof der Hölle

Von Dietegen Müller, Genf Börsen-Zeitung, 29.9.2016 Wie bewertet die Finanzbranche acht Jahre nach der Finanzkrise ihren Zustand? Kein besserer Ort, dieser Frage nachzugehen, Buße zu tun und darüber zu reden, als auf einem der großen...

Von Maschine zu Maschine - im Vorhof der Hölle

Von Dietegen Müller, GenfWie bewertet die Finanzbranche acht Jahre nach der Finanzkrise ihren Zustand? Kein besserer Ort, dieser Frage nachzugehen, Buße zu tun und darüber zu reden, als auf einem der großen Branchentreffen. Dieses Jahr hatte die Telekom- und Finanzdatengenossenschaft Swift zu ihrer Sibos-Konferenz nach Genf geladen. Unter dem unbescheidenen Titel “Financial Stability – The Future of Global Finance” – zog ein Panel sehr unterschiedlicher Experten ein Fazit. Antworten suchten – und fanden – David Wright, Chairman von der Finanzmarktlobby Eurofi, Trevor Spanner, Chief Operating Officer und Group Risk Officer der Hong Kong Exchanges & Clearing, und Sergey Shvetsov, erster stellvertretender Direktor der Bank of Russia, der russischen Zentralbank, und Mitglied des Financial Stability Board.Die nötige Portion Selbstkritik – vor dem ganz großen Auditorium – verstand sich von selbst. “2008 hat eine Menge Vertrauen in das Finanzsystem erodiert”, meinte Wright, Vertrauen, das in seinen Worten “verrottet” war. Neue Regulierungen und höhere Kapitalanforderungen an die Banken hätten das System aber sicherer gemacht. Auch Shvetsov meint, dass das Risiko einer Systemkrise heute niedriger als vor zehn Jahren sei, auch wenn es eine Reihe möglicher Krisenherde gebe, etwa die Frage, wie der Ausstieg aus der quantitativen Lockerung und der Negativzinspolitik gelingen soll. “Vertrauen wiederzugewinnen ist in Teilen die Stabilität wiederherzustellen, aber auch eine Frage der Ethik und Führung.” Es gebe in vielen Ländern – Wright wurde hier leider nicht konkreter – zu wenig “Abschreckung”, Missetaten zu begehen. Aber – und hier ging der Blick in die Glaskugel – von den 8 000 Banken, die es in Europa noch gebe, würden in 20 Jahren auch viele nicht mehr existieren. Eine Ansicht, die auch Shvetsov teilte, der meinte, der Mensch neige dazu, Veränderungen über ein bis zwei Jahre zu überschätzen, über zehn Jahre aber zu unterschätzen.”Es wird eine Segregation zwischen den Banken geben, zwischen denen, die Fintechs integriert haben, und anderen, die das nicht geschafft haben”, meinte er mit Blick auf die Digitalisierung weiterer Wertschöpfungsbereiche im Finanzsektor. Dabei gebe es, so der russische Experte, ein “Feld der Unsicherheit”, etwa was Cyberkriminalität betreffe, aber auch die Stabilität der neuen Spieler und etwa den Ersatz bisheriger Zahlungssysteme. “Es wird zu einem Kampf von Maschine zu Maschine kommen”, meinte Shvetsov, angesprochen darauf, ob Roboter mehr Entscheidungen in Handel und Finanzberatung übernehmen werden: “Robo Advisory ist die Zukunft der Industrie.” Allerdings schaffe dies Schwierigkeiten, wenn das Denken und Investieren sich in bestimmten Marktphasen angleiche, weil die verwendeten Algorithmen alle die gleichen Entscheidungen treffen, was den Markt schnell destabilisieren könne. Hier sei der Regulator gefragt.Wright sieht durch die Ausbreitung neuer effizienter Technologien ebenfalls Chancen: So ließen sich womöglich erstmals globale Finanzströme verstehen, wenn durch Blockchain und Legal Entity Identifier weltweit die Akteure in Echtzeit Informationen preisgeben. In ähnlicher Logik hält er auch eine bargeldlose Wirtschaft für keine schlechte Idee, auch in dieser ließe sich die Privatsphäre durch geeignete Maßnahmen wahren. Und für Trevor Spanner von der Hong Kong Exchanges and Clearing bietet der Einsatz von künstlicher Intelligenz neue Möglichkeiten, wobei das Vertrauen, um zum Beginn des Diskurses zurückzukehren, darin liege, dass verifizierte Daten verwendet werden.Vorerst beschäftigt die Finanzbranche ein sehr nahes, weltliches Problem: Der Entscheid der britischen Wähler, aus der Europäischen Union austreten zu wollen. “Wir stehen damit vor den neun Höllenkreisen von Dantes Inferno”, so Wright. Allerdings werde derzeit erst der erste Schritt gemacht – “das ist die Vorhölle”. Europa ist “nicht bereit”Einige Finanzdienstleistungen aus London würden wohl in Europa angesiedelt werden, einige nach New York zurückkehren, so der Eurofi-Chairman. Shvetsov sieht Europa “nicht bereit” – die Gesetzgebung in Großbritannien für den Finanzsektor sei viel attraktiver als in Kontinentaleuropa, weshalb sich allenfalls einige Aktivitäten über Europa verteilen würden. Für Spanner ist London “noch nicht erledigt”, es könne gar schwierig werden, das Netz aus London Stock Exchange, London Metal Exchange und Finanzdienstleistern zu durchbrechen und zu einer Abwanderung zu bewegen.——–Auf der Sibos ziehen Experten acht Jahre nach Beginn der Finanzkrise Bilanz.——-