LEITARTIKEL

Von Raiffeisen lernen

Zwei Jahre hat die Deutsche Bank noch Zeit bis zum Jubiläum. Ob es am 10. März 2020, dem 150. Jahrestag der Konzessionserteilung durch die preußische Staatsregierung, viel zu feiern geben wird? Einen großen strategischen Wurf? Wenigstens ein...

Von Raiffeisen lernen

Zwei Jahre hat die Deutsche Bank noch Zeit bis zum Jubiläum. Ob es am 10. März 2020, dem 150. Jahrestag der Konzessionserteilung durch die preußische Staatsregierung, viel zu feiern geben wird? Einen großen strategischen Wurf? Wenigstens ein erfolgreiches Geschäftsjahr und einen vielversprechenden Start in den neuen Turnus? Oder immerhin einen, wie auch immer zusammengesetzten, überzeugend agierenden Vorstand und zur Abwechslung mal einen souveränen Aufsichtsratsvorsitzenden?Die Nachkommen und Freunde von Friedrich Wilhelm Raiffeisen begehen ihr großes Jubiläum schon jetzt, und es sind nicht allzu viele Kalamitäten auszumachen, die ihnen die Feierlaune verderben könnten. Am morgigen Freitag vor 200 Jahren wurde der eine Urvater des Genossenschaftswesens geboren (+ 1888), der andere war Hermann Schulze-Delitzsch (1808 – 1883). Raiffeisen ist zurzeit allgegenwärtig. Sein bekanntestes Zitat “Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele” kommt einem schon aus den Ohren heraus, so hieb- und stichfest dieses genossenschaftliche Motto auch sein mag. Die Förderer der Genossenschaftsidee haben sogar 2018 zum “Raiffeisen-Jahr” ausgerufen und für ihre Initiative den Bundespräsidenten als Schirmherrn gewonnen. Da kann Raiffeisens noch umso berühmterer Zeitgenosse Karl Marx, der 36 Tage nach ihm das Licht der Welt erblickte, nicht mithalten. Als 1870 in Berlin die Deutsche Bank gegründet wurde, waren Raiffeisens “Darlehenskassenvereine”, die Vorläufer der Kreditgenossenschaften, schon einige Jahre etabliert. Sie gingen gegen den weit verbreiteten Zinswucher vor, indem sie in Form günstiger Kredite Hilfe zur Selbsthilfe leisteten. Ausgangspunkt des von dem Bürgermeister mehrerer Westerwald-Gemeinden begründeten Zweiges der frühen “Sharing Economy” war Mitte des 19. Jahrhunderts die Schaffung von Hilfs- und Wohltätigkeitsvereinen. Diese linderten mit Unterstützung von Mäzenen die wirtschaftliche Not der Landbevölkerung, aber auch verarmter städtischer Arbeiter und Handwerker. Marija Kolak, die Präsidentin des Volks- und Raiffeisenbankenverbandes BVR, bezeichnet Raiffeisen durchaus nachvollziehbar als den “Erfinder des Community Banking und des Crowdfunding”. Das gilt indes gleichermaßen für den anderen Sozialreformer, Vordenker und Urvater der Genossen: Unabhängig von Raiffeisen hatte Schulze-Delitzsch um das Jahr 1850 unter anderem Handwerkergenossenschaften ins Leben gerufen und den Weg für “Vorschussvereine” frei gemacht. Die nach den Prinzipien Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung arbeitenden Mittelstandsfinanzierer waren die Vorgänger der Volksbanken. Nun sollte man Raiffeisen & Co. bei allen unbestreitbaren und bleibenden Verdiensten auch um das blühende weltweite Genossenschaftswesen – die Vereinten Nationen haben die dahinterstehende Idee sogar als Teil des immateriellen Kulturerbes der Menschheit geadelt – nicht verklären. Zumindest hierzulande müssen dank sozialer Marktwirtschaft und eines fürsorgenden Staates zum Glück nicht mehr Hunger und Armut bekämpft werden. Ungeachtet der zweifellos immer noch zeitgemäßen, vielleicht ja sogar zeitlosen Ausrichtung am Mitgliedernutzen dürften die allermeisten der rund 8 000 deutschen genossenschaftlichen Unternehmen mit ihren 22,6 Millionen Mitgliedern – zum Vergleich: gut 10 Millionen Aktionäre – und etwa 1 Million Beschäftigten heute notwendigerweise nicht zuletzt gewinnorientiert wirtschaften.Aber wenn in dem Vergleich, der sich eingedenk aktueller Entwicklungen nun mal aufdrängt, die einen sich als die Guten und Erfolgreichen präsentieren können, ohne der Selbstbeweihräucherung geziehen zu werden, während das flagrante Versagen der anderen bei allem Wohlwollen nicht mehr zu tolerieren ist, dann hat das doch etwas mit Raiffeisen zu tun. Das Auseinanderlaufen lässt sich gewiss nicht über 150 Jahre zurückverfolgen und erklären, aber zum Beispiel über die letzten zehn bis 15. Die einen haben eine nachhaltige Strategie, die anderen irren auf einem Schlingerkurs herum, der dem Publikum den Atem stocken lässt. Die einen halten sich an ethische Werte und wahren – wenn wir nicht gerade an jüngste Vorgänge bei Raiffeisen Schweiz denken – Maß und Mitte, die anderen interessiert die Höhe ihres Bonus. Die einen sind Vertrauensgewinner der Krisenjahre, die anderen sind dabei, den letzten Rest an Vertrauen zu verspielen, obwohl es doch der Anfang von allem sein soll. Letztere könnten wenigstens ein bisschen von Raiffeisen lernen.—-Von Bernd Wittkowski200 Jahre Raiffeisen und bald 150 Jahre Deutsche Bank – da drängt sich eingedenk aktueller Entwicklungen eine vergleichende Betrachtung auf.—-