ANSICHTSSACHE

Vorgaben für Basel IV müssen deutlich überarbeitet werden

Börsen-Zeitung, 11.11.2016 Im Zuge der Aufarbeitung der Finanzmarktkrise haben sich die Industrie- und Schwellenländer auf den Grundsatz einer möglichst weitreichenden internationalen Koordination im Bankaufsichtsrecht verständigt. Der Baseler...

Vorgaben für Basel IV müssen deutlich überarbeitet werden

Im Zuge der Aufarbeitung der Finanzmarktkrise haben sich die Industrie- und Schwellenländer auf den Grundsatz einer möglichst weitreichenden internationalen Koordination im Bankaufsichtsrecht verständigt. Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht nimmt daher verstärkt die Aufgabe der internationalen Abstimmung des bankregulatorischen Rahmens wahr und hat für Ende November die Bekanntgabe neuer Regelungsvorschläge angekündigt.Internationale Koordinierung ist richtig und wichtig. Sie vermeidet einen schädlichen “Race to the bottom” in den Standards. Gleichwohl sind zwei Nebenbedingungen zwingend: Erstens sind international abgestimmte Regeln auf global tätige Banken zu beschränken und nicht auf regional ausgerichtete Kreditinstitute anzuwenden. Zweitens gilt “Same business, same risk, same rules” als allgemein anerkannter Grundsatz der Bankenregulierung. Diese Handlungsmaximen berücksichtigt Basel nicht ausreichend. Risiko individuell abbildenDer Baseler Ausschuss hat die Unterschiede in den RWA-Quoten (RWA = Risk-Weighted Assets, risikogewichtete Aktiva) als möglichen Schwachpunkt ausgemacht. Insbesondere seien interne Modelle dafür genutzt worden, die RWA-Quoten unangemessen kleinzurechnen. Dieser Vermutung stehen mindestens zwei Argumente entgegen. Erstens: Unterschiede in der RWA-Quote waren explizites Ziel des risikobasierten Ansatzes von Basel II. Statt holzschnittartiger Kapitalunterlegung sollte das Risiko des einzelnen Instituts möglichst individuell abgebildet werden. Unterschiedliche Geschäftsmodelle führen dann notwendigerweise zu unterschiedlichen RWA-Quoten. Divergenzen allein sind somit kein Negativmerkmal. Etwaigen Schwächen oder bewussten Umgehungen in internen Modellen wird im Rahmen der Zulassung der Modelle oder nachträglicher Prüfungen begegnet.Zweitens: Unterschiedliche RWA-Quoten sind auch mathematisch zu erklären. Je geringer die Bilanzsumme, umso höher ist der Anteil der RWA daran. Dies ließ sich lange Zeit anhand des Jahresabschlusses einer großen deutschen Bank nachvollziehen, die ihre Zahlen sowohl nach IFRS als auch nach US-GAAP aufgliederte. Vor allem die unterschiedliche Bilanzierung von Derivaten führte nach US-GAAP zu einer signifikant höheren RWA-Quote als nach IFRS.Nun wendet praktisch keine Sparkasse in Deutschland interne Modelle an, Sparkassen nutzen so gut wie ausschließlich den Standardansatz. Wir müssen die internen Modelle also nicht gegen Kritik verteidigen. Allerdings müssen wir uns verwahren gegen die Auswirkungen falscher Kalibrierungen und einer Zweckentfremdung des Kreditrisikostandardansatzes: Ursprünglich zugeschnitten auf kleinere Institute und durch relativ einfache Regelungen geprägt, wird er nun als “Backstop” missbraucht. Konkret soll er als Vergleichsrechnung für interne Modelle dienen und wird deshalb deutlich komplexer ausgestaltet. Der entstehende Mehraufwand trifft die kleinen Institute im Vergleich erheblich stärker. Da diese in Europa die Mehrheit der Institute stellen, sind die Auswirkungen hier wiederum gravierender als in den USA.”Same business, same risk, same rules” bedeutet, vergleichbare Marktaktivitäten vergleichbaren Regelungen zu unterwerfen. Neben der eigentlichen Geschäftstätigkeit müssen dabei auch das Marktumfeld und etwaige staatliche Absicherungen zu Buche schlagen. Aus meiner Sicht ist fraglich, ob US-Banken und EU-Banken überhaupt dasselbe Geschäft mit denselben Risiken betreiben, denn Marktumfeld, Umfang des eigenen Obligos und Rechnungslegung unterscheiden sich erheblich.Grundsätzlich betreiben die Institute diesseits wie jenseits des Atlantiks Bankgeschäfte, aber die Schwerpunkte und die Risikotragung sind äußerst verschieden. In Europa wird die Realwirtschaft zu etwa drei Vierteln über die Banken durch Kredite finanziert. In den USA übernimmt diesen Anteil der Kapitalmarkt z. B. mittels Verbriefungen, Anleihen oder Commercial Papers. Die Banken selbst finanzieren nur rund ein Viertel. Eine ähnliche Konstellation zeigt sich bei den privaten Baufinanzierungen. In Europa sind diese Kredite fast vollständig in den Büchern und im Eigenobligo der Banken. In den USA übernehmen letztlich “Government Sponsored Entities” den Großteil der Haftungsrisiken aus Immobilienkrediten. Fannie Mae oder Freddie Mac sind die bekanntesten dieser Institutionen. Die Bilanzen der US-Banken sind damit deutlich entlastet. Das Risiko aus den Finanzierungen ist jedoch nicht verschwunden, sondern in die Sphäre des Staates weitergereicht worden.Die von Amerika geforderte Abschaffung interner Risikomodelle widerspräche also den eingangs genannten Grundsätzen einer sinnvollen Koordinierungspolitik. Die Unterschiede zwischen bank- und kapitalmarktbasiertem Finanzsystem und die besondere gesellschaftspolitische Stellung von Wohnimmobilienkrediten in den USA lassen einen Eins-zu-eins-Vergleich der Risikoprofile europäischer und amerikanischer Banken nicht zu. Ins Gegenteil verkehrtBei gleichem Kreditportfolio und gleichem (volkswirtschaftlichem) Risiko wären die Auswirkungen regulatorischer Vorgaben für europäische Banken erkennbar höher als für ihre Konkurrenten in den USA. Bei Wettbewerb und offenen Märkten würden europäische Banken damit benachteiligt und betriebswirtschaftlich unter Druck gesetzt. Die Intention einheitlicher Regelungen, nämlich die Gleichbehandlung der verschiedenen Unternehmen, würde ins Gegenteil verkehrt. Die bislang bekannt gewordenen Vorgaben für Basel IV müssen deutlich überarbeitet werden. Insbesondere darf die Lösung des Problems der internen Modelle nicht die Anwender des Standardansatzes benachteiligen.—-Dr. Karl-Peter Schackmann-Fallis ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV).In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare führender Vertreter der Wirtschafts- und Finanzwelt, von Politik und Wissenschaft.——–Von Karl-Peter Schackmann-FallisDer entstehende Mehraufwand trifft die kleinen Institute, die in Europa die Mehrheit stellen, im Vergleich erheblich stärker.——-