Wandel hat das Revier seit jeher geprägt
Im Dezember dieses Jahres geht der Steinkohlenbergbau in Deutschland nach 250 Jahren Industriegeschichte unwiederbringlich zu Ende. Eine Branche, die nach dem Zweiten Weltkrieg das Fundament für den wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik Deutschland war, wird es dann nicht mehr geben. Der Ausstieg kommt nicht abrupt. Beschlossen wurde er 2007. Damals hat der Deutsche Bundestag den Fahrplan dafür festgeschrieben. Geordneter ÜbergangParallel dazu wurde die RAG-Stiftung gegründet. Sie sorgt bis heute für einen geordneten und sozialverträglichen Übergang in die Zeit des Nachbergbaus. Ab 2019 wird sie dann dauerhaft und ohne Rückgriff auf die öffentliche Hand die sogenannten Ewigkeitsaufgaben finanzieren. 220 Mill. Euro pro Jahr sind dafür kalkuliert. Wesentliche Anteile an der Evonik Industries AG sichern die notwendige Rendite. Hinzu kommen Beteiligungen bei Vivawest sowie weiteren Unternehmen unterschiedlicher Größenordnungen und ein diversifiziertes Kapitalanlageportfolio. Damit wird eine hohe Stabilität der Gesamtrendite gesichert und das Risiko minimiert.Mit der Bewältigung der Ewigkeitsaufgaben schafft die RAG-Stiftung die Voraussetzung für neue Perspektiven im Ruhrgebiet und im Saarland. Ewigkeitsaufgaben sind Maßnahmen der Wasserhaltung. An 13 Standorten halten riesige Pumpen die Gruben trocken. Dadurch kann sich das Grubenwasser nicht mit dem Trinkwasser vermischen. Da ständig Wasser in die Schächte und Strecken eindringt, ist dies eine Daueraufgabe. Genauso wie die Poldermaßnahmen: Durch den Steinkohlenbergbau haben sich ganze Regionen abgesenkt, in extremen Fällen bis zu 25 Meter. Dort muss das Oberflächenwasser permanent reguliert werden. So wird vermieden, dass sich Oberflächenwasser in den Senken sammelt.Insofern ist die permanente Bewältigung der Ewigkeitsaufgaben eine Grundbedingung für eine erfolgreiche Zukunft der Bergbaureviere. Doch die Beseitigung von Risiken schafft nicht von selbst eine attraktive Region mit Perspektive. Gestaltung ist erforderlich, die Bündelung der Kräfte aller gesellschaftlichen Gruppen, damit das Ruhrgebiet auch nach dem Bergbau im Wettbewerb mit Metropolen wie Berlin, München oder London mithalten kann. Es bleibt noch einiges zu tunNüchtern betrachtet ist dafür noch einiges zu tun. Die Arbeitslosenquote liegt über dem Bundesdurchschnitt, das Wachstum darunter. Die Verkehrsinfrastruktur ist überlastet und zum Teil in einem schlechten Zustand. Das soziale Gefälle zwischen dem Norden und dem Süden des Ruhrgebiets ist nach wie vor groß. Während der Süden wirtschaftlich und gesellschaftlich gut dasteht, sind Teile des Nordens wirtschaftlich eher abgehängt. Eine ChancenregionUnd dennoch ist das Ruhrgebiet eine Chancenregion – denn es kann Wandel. Das hat es in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt gezeigt. Deutlich wurde das beispielsweise im Jahr 1987. Die Doppelkrise von Kohle und Stahl belastete die gesamte Region. Die Ruhrkohle AG kündigte damals die Schließung mehrerer Zechen an. Kurz zuvor hatte Thyssen die Hattinger Hütte dichtgemacht. Und Rheinhausen sollte bis zum August 1988 stillgelegt werden.Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Kirchen verabredeten sich daraufhin zu einem gemeinsamen Kraftakt für das Revier: der ersten Ruhrgebietskonferenz. Das Ergebnis war ein Bekenntnis zur Zukunft des Ruhrgebiets. Es wurde beschlossen, die Infrastruktur massiv auszubauen. Der Freihafen in Duisburg entstand. Zugleich war es die Geburtsstunde des Initiativkreises Ruhr. Auch die Ruhrgebietskonferenz konnte Kohle und Stahl nicht zu neuer Blüte verhelfen. Aber sie stieß Türen für die Region auf und war ein klares Bekenntnis der Verantwortlichen, Brücken in die Zukunft zu bauen. Die Krise wurde zum Aufbruch, die Region schöpfte neuen Mut und blickte wieder entschlossen nach vorne. Freundliches GesichtIm Laufe der vergangenen 30 Jahre wandelte sich das Gesicht des Ruhrgebiets ungemein. Zechen, Stahlwerke und andere stillgelegte Industriebetriebe wurden zu neuen Stätten für Museen, Büros oder Kulturzentren. Ganze Quartiere änderten ihren Charakter. Beispiel Oberhausen: Auf dem Industriegelände der Gutehoffnungshütte steht heute eines der größten Einkaufszentren Europas – das CentrO. Einen kurzen Fußweg davon entfernt befindet sich die höchste Ausstellungs- und Veranstaltungshalle Europas – der Gasometer. Es war einst mit 117 Metern Höhe und knapp 68 Metern Durchmesser der größte Scheibengasbehälter auf unserem Kontinent. Heute begeistert der Gasometer durch spektakuläre Ausstellungen und Veranstaltungen hunderttausende Besucher.Wie Zukunftsquartiere aussehen werden, zeigt das “Reallabor” Innovation City. Ein Stadtviertel in Bottrop wurde komplett energetisch saniert. Das Ziel: bis 2020 die CO2-Emissionen um 50 % zu reduzieren. Das Quartier ist Benchmark in Deutschland und zeigt, dass Umweltschutz und Lebensqualität keine Gegensätze sind. Weil die Idee funktioniert, wird sie aktuell auf weitere 20 Quartiere im Ruhrgebiet übertragen.Auch die Natur erobert sich ein Stück des Ruhrgebietes zurück. Mit dem Projekt Emscher Park ist aus einer zerklüfteten Industrielandschaft ein freundliches, einladendes Gebiet entstanden. Ein Grüngürtel mitten im Revier, in dem die Menschen spazieren gehen, Rad fahren, Sport treiben oder mit ihren Kindern spielen.Mit dem Ende des Steinkohlenbergbaus ist es an der Zeit, neue Impulse für die Weiterentwicklung des Ruhrgebietes zu setzen. Die Initiative “Glückauf Zukunft!” – getragen von der RAG-Stiftung, der RAG Aktiengesellschaft sowie Evonik Industries AG zusammen mit dem Sozialpartner IG BCE – will hier vorangehen. Deshalb wurde gleich zu Beginn der Initiative mit der RAG-Stiftung-Zukunftsstudie eine sachliche und unvoreingenommene inhaltliche Grundlage für das Handeln geschaffen. Die Studie arbeitet insbesondere im Zusammenspiel mit den vertiefenden Diskussionen der Zukunftsforen sehr deutlich heraus, wo die Chancen des Reviers liegen und mit welchen Ansätzen diese realisiert werden können. Junge Menschen einladenKonkret muss es in den nächsten Jahren vor allem darum gehen, junge Menschen im Ruhrgebiet zu halten und weitere einzuladen. Sie sind es, die Veränderungen vorantreiben und eine ganze Region in Bewegung setzen können. Was die Bildungslandschaft angeht, befindet sich das Ruhrgebiet bereits auf Augenhöhe mit anderen Regionen. 270 000 Studierende zählt das Revier. Einige Institute haben sich mittlerweile einen erstklassigen Ruf erarbeitet – auch international. Und nahezu jeder Studiengang ist im Ruhrgebiet vertreten.An Vielfalt und Qualität mangelt es nicht. Nachholbedarf gibt es derzeit noch bei der Umsetzung des Wissens in innovative Produkte und Dienstleistungen. Aber auch hier gibt es erste Erfolge. Viele Absolventen und Auszubildende sehen ihre Perspektive in der Selbständigkeit und gründen Unternehmen. Im Ruhrgebiet ist ein wahrer Gründergeist entstanden. Doch wer ein Unternehmen gründen will, braucht Rat, Orientierung und finanzielle Unterstützung. Dazu haben der Initiativkreis Ruhr und die Initiatoren von “Glückauf Zukunft!” die Gründerallianz Ruhr ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, das Ruhrgebiet als attraktiven Standort für Gründer zu etablieren. Immer mehr NachahmerViele weitere Zukunftsprojekte sind auf den Weg gebracht worden. Beim Hackathon #NextLevelRuhr in Oberhausen haben junge Leute innerhalb von 24 Stunden Konzepte erarbeitet, die helfen, mehr Menschen für das Ruhrgebiet zu begeistern. Mit Modellquartier Integration ist ein moderner städtebaulicher Ansatz entwickelt worden, der zeigt, wie Integration im Quartier gelingen kann. Und nicht zuletzt zeigt Welterbe Zollverein, wie Neues aus Altem entsteht. Dort ist in den vergangenen Jahren ein Hub der Kreativwirtschaft gewachsen. Zollverein entwickelt sich zunehmend zu einem kraftvollen Ort für Innovationen im Revier. Wie die Erneuerung gehen kann, belegen diese Beispiele. Und mit immer mehr Nachahmern werden die Perspektiven dieser Region täglich größer.—-Bernd Tönjes, Vorstandsvorsitzender der RAG-Stiftung und Moderator des Initiativkreises Ruhr