Warum "digitales Händchenhalten" dem Menschen nicht ausreicht

Moderne Bankberatung: Information Overload, Robo-Advisory und persönliche Finanzberatung

Warum "digitales Händchenhalten" dem Menschen nicht ausreicht

Jochen WerneDirektor Business Development & Innovation beim Bankhaus August LenzIt’s not information overload. It’s filter failure” – Finanzblogs, Online-Communities & Co.: Die allgegenwärtige Flut an Informationen kann für Anleger Fluch und Segen zugleich sein. Banken müssen daher heute mehr denn je “Wegweiser” für ihre Kunden sein. Wer Geld anlegen möchte, bekommt heutzutage eine Flut an Informationen über das Internet. Engagierte Privatanleger weltweit können beinahe ebenso gut informiert sein wie Profis, sofern Interesse besteht und Know-how sowie Zeit ausreichen. Noch nie zuvor standen so vielen Menschen so viele Informationen global zur Verfügung. Ob Echtzeitkurse, Youtube-Tutorials, Fondsanalysen im Branchenvergleich oder die Meinungsvielfalt einer Community – all dies ist 24/7 verfügbar.Wie zielgerichtet dieses umfangreiche Angebot von Anlegern tatsächlich genutzt wird, ist eine andere Frage. Aktuelle Herausforderungen wie die Währungskrise in der Türkei, die drohende Gefahr eines globalen Handelskriegs, der Brexit oder die nach wie vor anhaltende Niedrigzinspolitik, sind Faktoren, die viele Anleger, die selbständig und professionell Geld am Finanzmarkt anlegen möchten, verunsichern. Hinzu kommen aufgrund des technologischen Reifegrads und der immer stärkeren Integration von Technologie in unseren Alltag neue Möglichkeiten der Investition und Investmentberatung. So werden heute in der klassischen Anlageberatung modernste digitale Analyse- und Bewertungsinstrumente im persönlichen Gespräch mit dem Kunden eingesetzt. Bei eigenständig handelnden Investoren bieten Robo-Advisor neue Möglichkeiten. Sie haben das Ziel, die Dienstleistungen eines traditionellen Finanzberaters zu digitalisieren und zu automatisieren und stützen ihre Anlagestrategie meist auf regelbasierte Modelle zur Bestimmung der Portfoliostruktur, die dementsprechend überwacht und gegebenenfalls angepasst wird. Dabei versprechen sie größtmögliche Objektivität, teilweise durch den Einsatz algorithmenbasierter Instrumente. Inzwischen kommen vereinzelte Anbieter wie Scalable bereits auf ein Anlagevolumen von 1 Mrd. Euro. Im Vergleich zum Fondsvolumen der Deutschen in Höhe von 3 Bill. Euro ist dies ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch der Markt existiert. Das Analyseunternehmen BI Intelligence rechnet sogar damit, dass im Jahr 2020 global mehr als 8 Bill. Dollar Anlagevermögen derart verwaltet werden. Die Erfahrung zeigt, dass viele Anleger größtmögliche Sicherheit suchen, Risiken scheuen und Verluste unbedingt vermeiden möchten. Das wird zu einer herausfordernden Angelegenheit, wenn der Investor zwar am Laptop eine UX-optimierte Analysestrecke vor sich hat, jedoch mit seinen Emotionen und eventuellen Zweifeln allein zurechtkommen muss. Anleger sollten dafür mit einem guten Grundwissen und entsprechendem Selbstbewusstsein ausgestattet sein. Und sie müssten sich über ihre Finanzlage und ihre Anlageziele im Klaren sein. Ebenso sollten sie sich selbständig von der täglichen Flut von Finanznachrichten distanzieren können oder zumindest sie richtig zu analysieren und zu interpretieren wissen. Eine der großen Herausforderungen für die Weiterentwicklung der Branche der Robo-Advisor ist die ständige Balance-Findung zwischen der Notwendigkeit standardisierter Ansätze, der äußerst individuellen Bedürfnislage jedes einzelnen Kunden und dem Management des Wachstums bei gleichzeitigem Kosten-Management. Nur durch die erfolgreiche Kombination dieser Faktoren gelingt das Versprechen niedriger Gebühren für den Kunden und die Verfolgung langfristiger Gewinnziele.Neben der großen Fülle ungefilterter Information, die beispielsweise über Künstliche-Intelligenz-(KI-)Systeme besser nutzbar gemacht werden können, gibt es noch einen weiteren Faktor, der die Situation des Anlegers maßgeblich beeinflusst: Das klassische Behavioral-Finance-Problem – die sogenannte Verhaltensökonomie. Einer der Hauptfaktoren für eine schlechte persönliche Performance ist oftmals nicht das Anlageprodukt oder -instrument, sondern der Mensch selbst. Für die Königsdisziplin einer vollumfänglichen und hochqualitativen Beratung und Betreuung ist deshalb ein rein technologischer Ansatz nur schwer vorstellbar, doch als Unterstützung dringend notwendig. Humoristisch sagte einmal der berühmte deutsche Satiriker Dieter Hildebrandt: “Der Computer rechnet mit allem – nur nicht mit seinem Besitzer.” Die Lehren von Kahneman und Tversky aus dem Forschungsbereich “Behavioral Finance” zeigen, dass emotionales – also menschliches – Verhalten einen erheblichen Einfluss beim Thema Geldanlage hat. In einem seiner letzten Bestseller “Schnelles Denken, langsames Denken” legt der Nobelpreisträger eindrucksvoll dar, wie das Gehirn zu voreiligen Schlussfolgerungen aufgrund unvollständiger oder falscher Informationen kommt (Halo-Effekt; “What you see is all there is” – WYSIATI). Zu den laut Kahneman wichtigsten kognitiven Verzerrungen gehört dabei die Neigung, zu großes Vertrauen in das eigene Wissen zu haben, und andere Formen von übermäßigem Optimismus. Dies führt sogar bis zur Illusion, eine Katastrophe oder ein Problem vorhergesehen zu haben (Beispiel Wirtschaftskrise 2008), da man sich an die eigene Einstellung nicht exakt erinnere. Viele dieser Verzerrungen helfen dem Menschen psychologisch auch, seine zuvor getroffenen (Fehl-)Entscheidungen später zu rechtfertigen, doch helfen sie nicht, Investmentfehlentscheidungen zu korrigieren.Um die Akzeptanz neuer Technologien wie Robo-Advisory und Ansätze künstlicher Intelligenz auch in der Finanzbranche voranzutreiben und zu einer hohen Akzeptanz zu führen, ist es wichtig, dass bestehende Digital-Tools noch besser auf Kundenbedürfnisse angepasst werden. Die erfolgreiche Symbiose zwischen Mensch und Digital-Technik ist dabei unabdingbar. Mit Hilfe von Online-Finanzforen, Vlogs und digitalen Branchenvergleichen können Privatpersonen heute zwar im Grunde den gleichen Wissensstand erreichen wie Finanzprofis. Doch was in der Regel fehlt, ist die Verknüpfung mit der individuellen Situation sowie das entsprechende professionelle Know-how. Diese Verbindung schafft der persönliche Berater als Vertrauensperson und “emotionaler Begleiter” durch schwierige Investmentphasen, der durch langjährige Betreuung sämtliche Bedürfnisse des Kunden kennt und gemeinsam mit ihm dessen Ziele erreicht. Genau das ist der Mehrwert, den Banken in diesem Umfeld heute leisten: professioneller, persönlicher Wegweiser im digitalen Dschungel zu sein – und Kunden vor reinen Bauchentscheidungen zu bewahren.