"Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele"

Vor 200 Jahren wurde Friedrich Wilhelm Raiffeisen geboren - Die Gedanken des Genossenschaftsgründers und Reformers sind aktueller denn je

"Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele"

Raiffeisen: Der Name ist ein Markenzeichen. Er steht für Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung und für die demokratischen und sozialen Grundprinzipien der Genossenschaften. Die Gründerväter Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch haben die Werte der genossenschaftlichen Arbeit definiert und bedeutende Grundlagen geschaffen für bessere ökonomische und soziale Bedingungen und Entwicklungen.Das Raiffeisen-Symbol, das Giebelkreuz aus zwei gekreuzten Pferdeköpfen, ist noch immer Bestandteil im öffentlichen Leben unseres Landes. Der Mensch hinter der Idee ist dabei oftmals unbekannt. Der 200. Geburtstag von Raiffeisen gibt eine gute Gelegenheit, die Person “Raiffeisen”, aber auch seine Überzeugungen einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen – denn seine Ideen sind zeitlos. Genossenschaftliche Leitlinien bilden bis heute jenen Rahmen, in dem Maß und Mitte nicht verloren gehen und in dem eine ungezügelte Profitmaximierung keinen Platz findet. Raiffeisens Überzeugungen sind jene Begriffe zuzuordnen, die das Genossenschaftswesen prägen: Solidarität, Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Respekt.Beim großen Raiffeisen-Festakt im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz am 11. März 2018 würdigten zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Genossenschaftswelt den Vordenker. Das Jubiläumsjahr ist Anlass für zahlreiche Aktionen, die alle dasselbe Ziel verfolgen: Die Geschichte des Menschen Raiffeisen erzählen und über die Genossenschaften informieren und sprechen.Rund 8 000 genossenschaftlich organisierte Unternehmen gibt es in Deutschland, sie verteilen sich auf nahezu alle Branchen, vom Bankenwesen über die Gesundheit bis zum Einzelhandel, von der Landwirtschaft bis zum Wohnungsbau, von der Kultur bis zum Dorfladen, von der kleinen Einheit bis zu großen Unternehmen. Allen ist eines gemeinsam: Teilhabe für alle, Gemeinsinn statt Partikularinteresse. Regional verwurzeltGenossenschaftsbanken sind regional verwurzelt und werteorientiert. Partnerschaft, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein bilden die Grundlagen ihres Handelns.Wohnungsgenossenschaften sind eine etablierte Größe. In Zeiten von Wohnungsknappheit entdecken wieder mehr Menschen dieses Modell für sich. Gegenwärtig gibt es in Deutschland mehr als 2,2 Millionen genossenschaftliche Wohnungen.Energie- und Agrargenossenschaften erschließen vielfältige und nachhaltige Möglichkeiten, in Zeiten des Klimawandels und der Energiewende aktiv zu werden und wirtschaftliche Prozesse mitzugestalten.Schülergenossenschaften führen junge Menschen aktiv an wirtschaftliche, demokratische und soziale Themen heran. Die Bedeutung von Eigenverantwortung und Eigeninitiative wird vermittelt.Mehr als 22 Millionen Menschen sind Mitglied einer Genossenschaft. Die Genossenschaftsidee ist in Deutschland fest verankert. Doch sie ist nicht nur hier zu Hause. Weltweit haben sich rund eine Milliarde Menschen Genossenschaften angeschlossen. Und über die Mitgliedschaft hinaus haben rund drei Milliarden Menschen mit Genossenschaften zu tun. Jeden Tag werden irgendwo auf der Welt neue Genossenschaften gegründet. Diese Gründungswelle belegt eindrucksvoll: Das Modell ist aktueller denn je. Eine mutige EntscheidungDie Globalisierung und die mit ihr einhergehenden Herausforderungen machen es in vielen Bereichen ungemein wichtig, dass sich Menschen zusammenschließen, um in ihrem wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Handeln erfolgreich zu sein. Als Einzelner ist es oftmals schwer, ein Ziel zu erreichen – gemeinsam kann es jedoch gelingen.Immer mehr Menschen streben auf ihrer Suche nach Sinngebung danach, mit ihrer Arbeit nicht nur Geld zu verdienen. Sie legen großen Wert darauf, ihren Beitrag für mehr Gerechtigkeit, für eine Ausrichtung auf Regionalität oder für den Schutz der Natur einzubringen. Das alles ist in Genossenschaften angelegt und kann in ihnen verwirklicht werden.Der junge Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen wurde schon kurz nach seinem Amtsantritt vor große Herausforderungen gestellt: Eine Hungersnot drohte seiner Gemeinde, dem kleinen Ort Weyerbusch unweit von Koblenz. In dieser Situation erhielt Raiffeisen eine Kornlieferung von der Regierung, die er an die Armen verkaufen sollte. Doch wie sollten die Bauern das Korn bezahlen? Raiffeisen, der überzeugte Christ, traf eine mutige Entscheidung und gab das Getreide gegen Schuldscheine an die Bauern aus, obwohl er dadurch sein Amt riskierte.Raiffeisen gründete den sogenannten “Brodverein” und war erfolgreich. Er überzeugte wohlhabende Bürger, dem “Brodverein” finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Er appellierte an ihre Nächstenliebe und ihre Verantwortung vor Gott und den Menschen. Mit dem Geld, das er erhielt, bezahlte der Bürgermeister zunächst das Korn. Mehr noch: Er kaufte für das Geld Kartoffeln und Saatgut. Er baute ein Backhaus, in dem günstig Brot gebacken werden konnte. Seine Strategie zahlte sich aus. Als im darauffolgenden Jahr die Ernte wieder besser ausfiel, konnten die Bauern ihre Schulden bezahlen.Als Bürgermeister im benachbarten Flammersfeld setzte er sich ab 1848 mit den Geldverleihern, die Wucherzinsen verlangten, auseinander. Er gründete den “Hülfsverein für die unbemittelten Landwirte”. Es gelang ihm, 60 Familien dafür zu gewinnen, dem Verein Geld bereitzustellen. Noch waren nur sie Mitglied im “Hülfsverein” – nicht die Mittelempfänger. Erst im Darlehnskassen-Verein von Anhausen und Heddesdorf (hier wurde Raiffeisen 1852 Bürgermeister) mussten die Kreditnehmer Mitglied des Vereins werden. Die Grundlagen für die von Raiffeisen geprägten Genossenschaften waren gelegt.”Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele”, das war Raiffeisens Überzeugung. In Genossenschaften wird gemeinsam entschieden. Der Konsens ist wichtig. Es geht um die Kraft der guten Argumente. Jede Stimme hat das gleiche Gewicht. Auf dieser Grundlage leisten Genossenschaften ihre Arbeit: gemeinsam, gleichberechtigt, gestaltungsmächtig.Es war, ist und bleibt Aufgabe der Genossenschaften, den Menschen jene Heimat zu geben, in der sie erleben und spüren, dass man sich um sie kümmert und dass es letztlich um ihren Erfolg und ihren Nutzen geht. Und der eigene Erfolg verknüpft sich immer mit dem Erfolg der anderen. Immaterielles KulturerbeGenossenschaften stehen für Regionalität und Nähe, sie stehen für Transparenz und Fairness, sie stehen für Demokratie und Offenheit und sie stehen für Modernität und Zukunftsfähigkeit. Genossenschaften und die sie tragenden Mitglieder übernehmen Verantwortung und zeigen, welche großartige Kraft und Kreativität beherzte Eigeninitiative entfalten kann. Freiheit und Selbstbestimmung rangieren vor Fürsorge.Auch immer mehr junge Menschen stehen Raiffeisens Botschaften interessiert und offen gegenüber. Werte wie Selbstverantwortung und Eigeninitiative, also ureigene Genossenschaftswerte, stehen bei ihnen hoch im Kurs. Viele junge Unternehmer streben danach, gemeinsam mit anderen die Ärmel hochzukrempeln, die Initiative zu ergreifen, nach Lösungen zu suchen. Kein Wunder, dass immer mehr Start-ups als Genossenschaft gegründet werden.Wie bedeutsam die auch von Raiffeisen geprägten Ideen weltweit sind, wird unter anderem dadurch deutlich, dass die UNO das Jahr 2012 zum Jahr der Genossenschaften ausgerufen hatte. Und im Jahre 2016 hat die UNESCO die Genossenschaftsidee in die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. “Die Genossenschaftsidee trägt zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen bei und wird durch kreative Veränderungen immer wieder an moderne Gegebenheiten angepasst”, so die UNESCO.Und nun, im Jahr 2018, feiern wir das Raiffeisen-Jahr. Die Deutsche Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft ist stolz darauf, dass Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier die Schirmherrschaft für das Raiffeisen-Jahr 2018 übernommen hat. Auch das unterstreicht die große gesellschaftliche Bedeutung des Genossenschaftswesens. Raiffeisen hatte eine großartige Idee. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt des Handelns. Deswegen sind Genossenschaften so erfolgreich. Und zu Recht heißt es: Mensch Raiffeisen. Starke Idee!—-Informationen zum Raiffeisen-Jahr auf der Webseite: www.raiffeisen2018.de