SERIE: FINANZPLÄTZE UND IHRE ZUKUNFT (2)

Was von der Kapitalmarktunion noch zu erwarten ist

Brüssel will dem Vorhaben im September neues Leben einhauchen - Brexit und Corona wirken als wichtiger Antreiber

Was von der Kapitalmarktunion noch zu erwarten ist

Von Andreas Heitker, BrüsselDie europäische Kapitalmarktunion ist auch fünf Jahre nach ihrem Start keine große Erfolgsgeschichte. Die EU-Finanzmärkte zeigen sich auch im Sommer 2020 noch kleinvolumig und fragmentiert. Dabei ist vor dem Hintergrund des Brexit jedem schon lange klar: Die 27 EU-Staaten brauchen dringend tragfähige Alternativen zum Finanzplatz London. Doch trotz allen guten Willens hakt es noch immer an einem reibungslosen grenzüberschreitenden Kapitalfluss in Europa und an breiten Finanzierungsangeboten für die Realwirtschaft. Die Anlagemöglichkeiten für viele private Investoren – zum Beispiel auch mit Blick auf die Altersvorsorge – sind ebenfalls noch limitiert.In der zweiten Septemberhälfte will die EU-Kommission neuen Schwung in das Thema Kapitalmarktunion (CMU) bringen – was nicht einzelne Finanzplätze in der EU pushen, sondern die Rahmenbedingungen für alle Finanzplätze stärken soll. Allerdings geht es in der Kommission – wie so oft – nicht gerade schnell voran. Im kommenden Monat wird zuerst ein umfassender Aktionsplan zum Ausbau der Kapitalmarktunion vorgelegt. Die meisten wesentlichen Gesetzesvorschläge zu diesem Aktionsplan sind dann kaum vor Herbst 2021 zu erwarten.Wie bereits aus der für die Finanzmärkte zuständigen Generaldirektion (GD) Fisma zu hören war, soll sich dennoch auch das Narrativ der Kapitalmarktunion ändern. Die CMU bleibt zwar nach wie vor wichtig für die Post-Brexit-Zeit. Die Erzählung macht die Brüsseler Behörde angesichts der ausbleibenden Erfolge aber so langsam unglaubwürdig. Daher soll künftig in erster Linie die Erwartung in der Öffentlichkeit verkauft werden, dass stärkere europäische Kapitalmärkte auch einen Beitrag zur Überwindung der Coronakrise liefern können. Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis betonte dies vor Kurzem schon sehr deutlich: “Die Kapitalmarktunion ist ein wesentliches Element unserer Strategie für den Wiederaufbau nach der Coronakrise”, sagte er im Juni, nachdem ihm eine hochrangige Expertengruppe (High Level Forum/HLF) neue CMU-Vorschläge auf den Tisch gelegt hatte. Sparer und Investoren würden eine wichtige Rolle dabei spielen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Sie müssten das Vertrauen haben, über die Kapitalmärkte zu investieren, betonte Dombrovskis. “Die Kapitalmarktunion kann ein Game Changer werden – vorausgesetzt, wir machen jetzt bedeutende Fortschritte.” CMU soll Game Changer seinIn der Finanzwirtschaft rennt Dombrovskis mit solchen Aussagen natürlich offene Türen ein. Der europäische Kapitalmarktverband AFME unterstrich ebenfalls bereits: Eine robuste Erholung nach der Pandemie und ein nachhaltiges langfristiges Wachstum könnten nicht allein durch staatliche Unterstützungsprogramme und die Bereitstellung von Bankkrediten finanziert werden. Einer AFME-Studie von 2019 zufolge stammen noch immer 88 % der gesamten Neufinanzierungen in der EU von Banken und nur 12 % von den Kapitalmärkten. Dies bedeutet sogar eine leichte Verschlechterung gegenüber den Vorjahren und nicht den Trend in Richtung einer stärkeren Ausgeglichenheit, die die EU-Kapitalmarktunion ja eigentlich bringen sollte.Deutsche-Bank-Vize Karl von Rohr machte sich Anfang März – also kurz vor Ausbruch der Pandemie – ebenfalls noch einmal deutlich dafür stark, die Kapitalmarktunion voranzutreiben. Gerade nach dem Brexit müsse die Fragmentierung der EU-Finanzmärkte verringert oder bestenfalls sogar ganz überwunden werden, sagte er. “Derzeit gibt es noch viel zu häufig unterschiedliche Regeln in den 27 EU-Mitgliedstaaten, etwa bei den Vorschriften für Insolvenzen und im Verbraucherschutz. Wer Anleihen aus verschiedenen EU-Ländern erwerben will, muss sich mit unterschiedlicher nationaler Regulierung auseinandersetzen”, klagte von Rohr. Ohne einen liquiden europäischen Kapitalmarkt hätten auch Banken weniger Möglichkeiten, ihre Bilanzen zu entlasten – was ihren Spielraum für neue Kredite einschränke.Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken (BdB), hatte kurz zuvor außerdem noch darauf verwiesen, dass erfolgreiche Start-ups Europa wegen der fehlenden Rahmenbedingungen den Rücken kehrten. “Wir sehen, dass Unternehmensgründer aus Deutschland und Europa abwandern, weil sie hier keine Finanzierung bekommen.” Und was Ossig noch umtrieb: Die im Vergleich zum europäischen Wettbewerb ungleich höhere Rentabilität der US-Banken sei größtenteils den Provisionserträgen geschuldet, die wegen der hohen Bedeutung des Kapitalmarktgeschäfts ein viel größeres Gewicht in den Bilanzen der US-Banken hätten. Ossig: “Das Kapitalmarktgeschäft steht nicht im Widerspruch zum Bankgeschäft.” Börsennotierungen sinkenHinzu kommt ein Hinweis einer IPO Task Force unter Führung des europäischen Börsenverbands Fese, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), des CFA Institute und des Verbands Accountancy Europe: Seit dem Start der Kapitalmarktunion im Jahr 2015 ist die Zahl von börsennotierten Unternehmen in Europa nicht gestiegen, sondern um mehr als 600 zurückgegangen. Auch die Zahl der jährlichen Börsengänge sei gesunken. Und hinzu kommt: Viele erst in den vergangenen Jahren eingeführten Regulierungen müssten noch einmal dringend nachgebessert werden. Die Stichworte hierfür sind vielfältig: Mifid. Priips. Verbriefungen. Europäisches Pensionsprodukt oder Infrastrukturfonds Eltif. Wie bereits zu hören war, wird in der DG Fisma aktuell ganz konkret an 19 neuen Gesetzesvorschlägen zu all diesen Punkten gearbeitet (siehe BZ vom 27. Juni). Die drei Oberthemen dabei lauten: die Finanzierung von Unternehmen verbessern, die private Geldanlage sicherer und einfacher machen und den Binnenmarkt stärker integrieren. Konkrete Vorschläge erst 2021Die Brüsseler Beamten bauen dabei auf den Empfehlungen der Expertengruppe (HLF) vom Juni auf, ergänzen diese allerdings mit eigenen Vorschlägen. Die HLF-Experten hatten der Kommission in ihrem Bericht eine deutliche Warnung geschrieben: In der Realität schwächten und verlangsamten sowohl die fragmentierten und unterentwickelten Kapitalmärkte in der EU als auch die unzureichende Eigenkapitalfinanzierung die Erholung der Union nach der Krise. Außerdem sei die EU im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften mit besser diversifizierten Finanzierungsstrukturen benachteiligt, hieß es.Eine der Experten-Empfehlungen, die die EU-Kommission auf jeden Fall auf ihren Aktionsplan nehmen wird, sollte die Einrichtung eines European Single Access Point (Esap) sein, der unter der Federführung der Europäische Marktaufsichtsbehörde ESMA öffentlich zugängliche Informationen in einem einheitlichen Datenformat bereitstellt. Dies soll Unternehmen – gegebenenfalls einschließlich von Finanzunternehmen wie Vermögensverwaltern und Versicherern – vor allem für grenzüberschreitende Investoren sichtbarer machen. Ein Legislativvorschlag hierzu ist allerdings erst im dritten Quartal 2021 zu erwarten.Zweitens soll die Rolle der bereits existierenden langfristigen Investmentfonds Eltif (European Long Term Investment Funds) durch eine Vereinfachung des Regulierungsrahmens und Änderungen der steuerlicher Vorgaben weiter gestärkt werden. Auch hier wird es mit dem Gesetzesvorschlag erst im Herbst 2021 konkret.Im Zentrum des geplanten Aktionsplans stehen Überprüfungen aktueller Regulierungen wie von Solvency II, Mifid II und Priips. Hier sollen Nachbesserungen Verbesserungen bei Transparenz und Beratungsqualität bringen. Erste Schritte zur Nachbesserung bei Mifid, bei den Verbriefungen und in der Prospektregulierung hatte die EU-Kommission Ende Juli mit ihren Quick-Fix-Vorschlägen eingeleitet (siehe BZ vom 25. Juli), die bis spätestens Ende des Jahres beschlossen sein sollen.Auf der Agenda der Kommission stehen aktuell außerdem noch die Vorlage einer neuen umfassenden Retail-Strategie, die Förderung des Kapitalmarktengagements von Kleinanlegern, verschiedene Vorschläge im Bereich der privaten Rentenabsicherung, ein besserer Investitionsschutz sowie die Einführung eines Überweisungssystems für kleine und mittelgroße Unternehmen zu alternativen Finanzierungsanbietern. Große HoffnungenGroße Hoffnungen setzt das High Level Forum außerdem auf die Regulierung neuer Technologien, etwa von Kryptoassets. Hier hatte die EU-Kommission aber schon beschlossen, dass es hierzu einen eigenen neuen Aktionsplan geben soll, der voraussichtlich auch noch im September veröffentlicht wird. Der Digitalisierungspart würde den CMU-Aktionsplan ansonsten sprengen. Auch so ist ja schon genug zu tun. Bisher erschienen: Eine Welt der kreativen Zerstörung (5. August)