IM INTERVIEW: WERNER KLEIN, COMPGOVERNANCE

"Weniger Einkommensmillionäre"

Der Vergütungsberater über wackelnde Boni für 2019 und sinkende Pools für 2020

"Weniger Einkommensmillionäre"

Herr Klein, mit Blick auf die Coronakrise und deren Folgen liegt die Frage auf der Hand: Sind Boni für deutsche Banken überhaupt noch ein Thema? Was soll für 2020 zu verteilen sein?Das wird jede Bank am Jahresende von der Bewertung des Erfolgs für 2020 abhängig machen. Davon unabhängig aber beschäftigt sich das eine oder andere Institut derzeit womöglich auch noch mit seinen Bonuszahlungen für 2019, und zwar solche Banken, die diese Boni bis heute noch nicht gezahlt haben. Warum?Eine wichtige Voraussetzung für eine Auszahlung variabler Vergütung ist die finanzielle Stabilität der Bank zum Zeitpunkt der Ausschüttung. Jetzt kann es durchaus sein, dass eine Bank die Bewertung dieser Stabilität zum Jahresbeginn schon einmal vorgenommen hat, durch die Corona-Effekte nun aber zu einer anderen Einschätzung kommt. Und das könnte sich auch noch nachträglich auf die Zahlungen für 2019 auswirken. Ist die Erwartung realistisch, dass sich Banken im Nachhinein aus freien Stücken Bonuszahlungen verkneifen?Ich würde es nicht so nennen, dass dies aus freien Stücken geschähe, denn es gibt eine klare gesetzliche Bestimmung in § 7 der Institutsvergütungsverordnung, die genau dies fordert. In den vergangenen Jahren aber war diese Bestimmung vollkommen unproblematisch, da sich die Banken in ruhigem Fahrwasser bewegt haben. Wer damals im Januar die Voraussetzungen für Bonuszahlungen prüfte, konnte davon ausgehen, dass diese Bewertung im Juni noch Bestand haben werde. Die außerordentliche Situation aber, zu der Corona geführt hat, könnte in dem einen oder anderen Fall nun in der Tat Revisionen solcher Entscheidungen nach sich ziehen. Welche Banken sind betroffen?Alle, die ihre Boni relativ spät auszahlen, also im Juni oder teilweise erst im Juli, werden sich mit der Prüfung von gravierenden Sondereffekten beschäftigen müssen, die den zugrunde gelegten Geschäftserfolg für 2019 im Nachhinein in Frage stellen. Um wen handelt es sich da?Je größer, internationaler und je stärker angelsächsisch geprägt Banken sind, umso früher zahlen sie tendenziell aus, meistens bereits im März oder im April. Je stärker inlandsorientiert oder auch öffentlich-rechtlich ein Institut ist, umso stärker bewegt es sich mit seinen Auszahlungen in Richtung Jahresmitte. Die European Banking Authority hat die Banken aufgefordert, ihre Bonuszahlungen angesichts der Coronakrise zu überprüfen. Wie verbindlich ist ein solcher Appell?Es ist wie immer mit als Empfehlung ausgesprochenen Äußerungen der Aufsicht: Sie erwartet leider immer, dass man diese Empfehlung als Soll-Vorschrift berücksichtigt. Ich glaube, dass jede Bank bei einer späteren Auszahlung für 2019 nun vorher noch einmal genau die Kriterien prüfen und die Voraussetzungen einer Auszahlung bewerten wird. Unterstellt, dass diese unkritisch sind, befolgt man ja die Empfehlungen von EBA und BaFin, wenn man auszahlt. Aber überall dort, wo es zu kritischen Einschätzungen kommt, könnte es tatsächlich zu Korrekturen an der Höhe bis theoretisch zum Wegfall des Bonustopfes für 2019 kommen. Woran sollen denn gerade kleinere Institute angesichts der Ungewissheit in der Coronakrise das Ausmaß ermitteln, um das sie ihre Boni kürzen? Gibt es dafür Hinweise der Aufsicht, oder steht ein Vorstand da im Wald?Es gibt dafür keine Formeln, die kann inhaltlich wohl auch niemand sinnvoll vorgeben. Es geht um die Gesamtschau der Ergebnislage unter Berücksichtigung der sie begleitenden finanzwirtschaftlichen Situation der Bank. Und wenn ich beispielsweise im Mai erkenne, dass ich mit den inzwischen gewonnenen Erkenntnissen zu einer anderen Bewertung des Erfolgs für das Jahr 2019 kommen muss, habe ich auch ziemlich schnell ein Gefühl dafür, wie deutlich mein Bonus-Pool zu hoch liegt. Nun ist das erste Quartal 2020, das US-Banken hohe Wertberichtigungen beschert hat, bereits vorbei, das zweite und dritte Quartal dürften kaum besser werden. Wie fällt Ihr Ausblick auf die Bonus-Saison für 2020 aus?Ergebnisse deutscher Institute haben wir noch nicht gesehen. Aber die Erwartung, die wir sicher teilen, ist, dass die realwirtschaftlichen Folgen von Corona angesichts der deutlichen Ertragsschwäche, welche die deutschen Banken bereits vor dieser Krise hatten, der nicht bewältigten Transformation durch eine Neujustierung ihrer Geschäftsmodelle nun regelrecht reinhageln werden. Geschmälerte Jahresergebnisse, vielleicht noch gerade im schwarzen Bereich, würden dann auch bedeuten, dass der Bonus-Pool relativ mau wird oder gar entfällt. Die BaFin äußerte schon Ende 2019 die Erwartung, dass die Boni die Ergebnisentwicklung der Banken widerspiegeln sollen.Das ist sicher ein naheliegendes Grundverständnis und auch eines der Grundprinzipien der regulatorischen Regeln, die in den vergangenen Jahren über die Banken ausgebreitet worden sind. Sicher aber kann man vor dem Hintergrund der Coronakrise nun daran nochmals erinnern. Beispielsweise können große Deals, die zu Jahresbeginn noch positiv in den Büchern standen, aufgrund der Erschütterungen durch Corona inzwischen wertberichtigungsbedürftig sein. Bei Auswertung der Vergütungs- und Offenlegungsberichte haben Sie vor einigen Monaten aber festgestellt, dass die Zahl der Einkommensmillionäre in deutschen Banken trotz mäßiger Ergebnisentwicklung gestiegen ist. Wie passt das zusammen?Solche Erhebungen sind immer rückwärtsgerichtet. In diesem Fall ging es um den Betrachtungszeitraum 2018 und entsprechende Auszahlungen im Jahr 2019. In den Berichten für 2019, die im laufenden Jahr zur Publikation anstehen, dürften wir zwar noch keine wesentlichen Korrekturen feststellen. Wenn aber im kommenden Jahr die Berichte für 2020 vorgelegt werden, wird man die Corona-Effekte in der Ergebnisentwicklung und auch bei der Bonusvergabe deutlich nachvollziehen können. Das erwarte oder hoffe ich zumindest. Durch eine Abnahme der Zahl der Einkommensmillionäre?Sinkende Pools bedeuten weniger Verteilungsspielraum. Entweder bekommen dann einige viel oder viele wenig. Das heißt, es wird deutlich weniger Einkommensmillionäre geben müssen. Man hat nun jahrelang eine zusehends detailliertere Bonusregulierung erlebt und zugleich eine Deutsche Bank, die netto Geld verliert und dennoch jeweils Milliarden an Boni zahlt. Können Sie erklären, wie das möglich ist?Der Gesetzgeber und die Aufsicht sehen vor, dass es eine variable Vergütung grundsätzlich nur bei einer positiven Ertragslage eines Instituts geben darf. Wenn diese bei einem Institut auf Dauer nicht gegeben ist, kann es eigentlich nicht zu entsprechenden Auszahlungen kommen. Wenn ein Institut dies dennoch tut, hat es dies sicherlich in jedem Einzelfall mit der Aufsicht entsprechend verabredet. Und hier geht es für die Aufsicht wohl darum zu erkennen, ob hinter den Verlusten strukturelle Gründe stehen oder ob es um einmalige Restrukturierungseffekte oder andere Sonderfaktoren geht. In solchen Fällen ist die Aufsicht erfahrungsgemäß geneigt mitzugehen. Mit dem Risikoreduzierungsgesetz setzt die Bundesregierung gerade das EU-Bankenpaket in deutsches Recht um. Was ändert sich damit für die Vergütung?Bisher können manche Institute, die mit einer Bilanzsumme von 15 Mrd. Euro und mehr als bedeutend im Sinne der Institutsvergütungsverordnung gelten und damit eigentlich besonderen Anforderungen unterliegen würden, dies mit Verweis auf eine entsprechende Risikoanalyse abwenden. Diese Möglichkeit entfällt nun, da sie dem neuen EU-Recht widersprechen würde. Insofern kommt es hier für eine Reihe von Banken zu einer deutlichen Verschärfung, da sie nun erstmals auch unter den Anwendungsbereich der besonderen Risk-Taker-Anforderungen geraten. Auffällig ist auch, dass der Gesetzgeber seine Eingriffsbefugnisse hinsichtlich Vergütungen weiter ausbaut. Man kann schon den Eindruck haben, dass die Aufsicht ihre Schwerter schärft, was interessant vor dem Hintergrund ist, dass es in der Praxis noch keinen einzigen Fall gegeben hat, in welchem die Aufsicht wegen der Vergütung eines Instituts formal interveniert hat. Das Interview führte Bernd Neubacher.