Wenn Anleger auf Tore hoffen
Die Spielpause in Europas Ligen hat die Kurse börsennotierter Clubs stark belastet. Doch bereits zuvor haben sich die meisten Fußballaktien hochvolatil entwickelt. Ihre Renditen hängen an sportlichen Erfolgen. Von Alex WehnertWie entscheidend der richtige Einstiegszeitpunkt am Markt ist, zeigt sich in kaum einem Segment besser als bei Fußballaktien: Wer beispielsweise vor fünf Jahren bei Lazio Rom eingestiegen ist, hat seitdem Renditen von über 140 % eingefahren. Seit dem Börsengang im Jahr 1998 hat die Aktie des zweifachen italienischen Meisters allerdings fast ihren gesamten Wert verloren. Doch auch wenn das Papier im laufenden Jahr mit mehr als 10 % im Minus liegt, hält es sich gerade im Vergleich zu jenen von Meisterschaftskonkurrent Juventus Turin und Stadtrivale AS Rom noch gut. Auch den in New York notierten englischen Rekordmeister Manchester United und den einzigen Börsenvertreter aus der Bundesliga, Borussia Dortmund, lässt der italienische Hauptstadtclub seit Anfang Januar hinter sich. Dabei war die Serie A besonders früh und stark von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen. Juventus-Profi Daniele Rugani gehörte zu den ersten Spielern, die positiv auf das Virus getestet wurden, mit Gian Piero Gasperini (Atalanta Bergamo) und Beppe Iachini (AC Florenz) waren auch die Trainer zweier Erstligisten erkrankt. Dennoch hat die Serie A ihren Spielbetrieb wieder aufgenommen, und die Hoffnung auf die Meisterschaft oder zumindest den recht sicheren Einzug in die Champions League trieb den Lazio-Kurs zuletzt an. Doch am Beispiel Lazio zeigt sich auch das nach Ansicht vieler Experten größte Problem der Fußballaktien: Ihre extreme Abhängigkeit von sportlichem Erfolg. Einzelne Spiele und Tore können über Millioneneinnahmen aus TV-Vermarktung und Preisgeldern entscheiden. Als echter Reichmacher erweist sich dabei die Champions League. Denn der Sieger der Königsklasse kann zum Beipiel allein in einem Wettbewerb innerhalb einer Saison bis zu 82,45 Mill. Euro an Preisgeldern erspielen, mit Medieneinnahmen kann der Wert auf bis zu 111,65 Mill. Euro ansteigen. Gelingt es aber einem Verein nicht, sich für die Champions League zu qualifizieren, drohen erhebliche finanzielle Einbußen.Der Stellenwert von Einzelereignissen für den Umsatz führt dazu, dass Anleger sich nur in sehr geringem Umfang an Fundamentaldaten orientieren können. Bei Lazio beispielsweise konterkariert die vergleichsweise robuste Kursentwicklung die zuletzt großen Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Trikotsponsor. Zudem drücken den Verein Gesamtverbindlichkeiten von 211 Mill. Euro. Negativerlöse sind bei den Römern praktisch Usus. Sollten Top-Torjäger Ciro Immobile und Mittelfeldantreiber Sergej Milinkovic-Savic den Verein verlassen, könnten schnell wieder sportliche Rückschläge folgen und die Kurse belasten – zumal die Konkurrenz in der Serie A hoch ist und das Mailänder Liga-Urgestein Inter sowie Juventus immer wieder gewaltige Summen in teure Stars investieren. Ronaldo bewegt AktienkursBei der Aktie des Rekordmeisters aus Turin hat sich die Abhängigkeit des Kurses von einem einzelnen Spieler in der Vergangenheit besonders deutlich gezeigt. Nach der Verpflichtung des mehrfachen Weltfußballers Cristiano Ronaldo schoss das Papier zwischen Anfang Juli und Mitte September 2018 um über 86 % in die Höhe. Dann erhob jedoch eine Amerikanerin Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Portugiesen, und der Kurs brach bis Ende Oktober wieder um über 45 % ein. Die Berenberg Bank hält die Bedeutung Ronaldos für die Juventus-Aktie für riskant. Zwar habe der Rekordmeister durch den Wechsel des Angreifers nach Turin neue Werbemöglichkeiten erhalten und könne mit steigenden Trikotverkäufen planen – doch Ronaldo kostet den Verein auch viel Geld. Real Madrid erhielt für ihn 112 Mill. Euro Ablösesumme, der Portugiese soll über vier Jahre ca. 232 Mill. Euro verdienen. Ein Risiko besteht laut den Analysten zudem darin, dass Ronaldo mittlerweile 35 Jahre alt ist und damit bereits in der Spätphase seiner Karriere. Sein Wiederverkaufswert sei daher stark limitiert. Und auch wenn der Star nach der Coronapause angeblich disziplinierter trainiert denn je, könnte seine Form jederzeit leiden oder er sich verletzen. Der Effekt Ronaldos auf die Ticketeinnahmen ist durch die pandemiebedingten Beschränkungen in den Stadien vorerst wohl weitgehend neutralisiert.Die lange Spielpause und das langsame Anlaufen mit Partien vor leeren Rängen haben indes den Papieren aller börsennotierten Clubs geschadet. Schließlich hängen ihre Erlöse in großen Teilen von TV-, Werbe- und Sponsorengeldern ab. Bei Juventus machen die Einnahmen aus den drei Bereichen zusammen 51 % des Umsatzes aus, bei Borussia Dortmund sind es 54%. Und dann blieben auch noch die Ticketeinnahmen aus, je nach Verein generieren sie zwischen 10 und 15 % der Erlöse. Der Stoxx-Index der europäischen Fußballaktien brach folglich zwischen seinem am 19. Februar erreichten vorläufigen Jahreshoch von 167,20 Punkten und dem 23. März um 51,8 % ein – ein deutlich heftigerer Absturz als der, der etwa den Stoxx Europe 600 oder den Stoxx Europe 50 ereilte. Besonders belastend wirkten sich die wegbrechenden Medieneinnahmen aus. Für die Bundesliga kam im April die Hiobsbotschaft, dass Eurosport keine weiteren Spiele mehr zeigen und die Sendermutter Discovery ausstehende Ratenzahlungen an die Deutsche Fußball-Liga (DFL) verweigern wollte. Nachdem Discovery die Rechte an den Tech-Giganten Amazon sublizenzierte, durfte allerdings noch eine zweite Plattform neben dem Streaminganbieter Dazn die verbleibenden Partien zeigen.Den Kurs des einzigen börsennotierten Bundesligaclubs hat die Einigung im TV-Poker bisher nur in begrenztem Umfang gestützt. Die Aktie von Borussia Dortmund notierte Mitte Juni seit Jahresbeginn gerechnet immer noch mit fast 30 % im Minus. Allerdings gehört der BVB zu den Fußballclubs, die zumindest bei den Analysten den größten Anklang finden. Auch das Bankhaus Lampe hat zuletzt seine Kaufempfehlung bekräftigt, das Kursziel allerdings von 9 Euro auf 8,60 Euro gesenkt. Problematisch sei, dass der Marktwert des Kaders infolge der Coronakrise deutlich abgenommen habe und in der Folge mit niedrigeren Transfererlösen zu rechnen sei. Betroffen sind von diesem Effekt aber wohl fast alle Vereine. Und selbst wenn die Ablösesummen infolge der Pandemie sinken sollten, dürften sie doch deutlich höher bleiben als noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten. Nach Berechnungen der Berenberg Bank betrug die Inflation am Transfermarkt im vergangenen Jahrzehnt im Durchschnitt 18 % pro Jahr, in der Bundesliga seien die Transfersummen im gleichen Zeitraum um 395 % gestiegen – Grund seien höhere Gesamterlöse in Kombination mit einer geringen Dichte an hochkarätigen Talenten. Das zeigt sich auch am immer höheren Tempo, in dem der globale Transferrekord zuletzt gebrochen wurde: Nachdem Zinédine Zidane im Sommer 2001 für kolportierte 77,5 Mill. Euro zu Real Madrid wechselte, blieb er acht Jahre lang der teuerste Spieler aller Zeiten. Abgelöst wurde er 2009 von Cristiano Ronaldo, für den Real 94 Mill. Euro bezahlte, um den eigenen Rekord vier Jahre später durch den 101 Mill. Euro schweren Transfer von Gareth Bale zu brechen. Bis zur nächsten Höchstmarke dauerte es noch lediglich drei Jahre – und Paris St. Germain überbot die 105 Mill. Euro, die Manchester United 2016 für Paul Pogba bezahlt hatte, wiederum nur ein Jahr später. Für 222 Mill. Euro kam Neymar vom FC Barcelona. Transfergewinner bevorzugt”Diese inflationäre Entwicklung ist der Hauptgrund dafür, dass wir Clubs bevorzugen, die Talente entweder organisch entwickeln oder besonders gut darin sind, diese ausfindig zu machen”, heißt es bei Berenberg. Spieler aus der eigenen Fußballschule hätten das Potenzial, später attraktive Transfergewinne zu generieren. Nach Ansicht der Analysten funktioniert besonders das Konzept von Borussia Dortmund, junge und talentierte Spieler aufzubauen und für hohe Summen zu verkaufen, langfristig sehr gut. Auch der niederländische Rekordmeister Ajax Amsterdam muss sich immer wieder von seinen größten Talenten verabschieden – zur Saison 2019/20 wechselte Verteidiger Matthijs de Ligt für 85,5 Mill. Euro zu Juventus, während es Mittelfeldspieler Frenkie de Jong für 75 Mill. Euro zum FC Barcelona zog. Beide stammen aus der hauseigenen Fußballschule. Aufgrund der resultierenden hohen Transferrenditen empfehlen die Berenberg-Analysten die Ajax-Aktie ebenso wie die Papiere von Olympique Lyon und Borussia Dortmund zum Kauf.Zwar habe auch Dortmund seit dem Börsengang teils herbe sportliche und finanzielle Rückschläge hinnehmen müssen, der Verein stand 2005 kurz vor der Insolvenz. Doch unter der aktuellen Geschäftsführung gehöre der Ballsportverein zu den am besten aufgestellten Clubs. “Unser Kader ist äußerst kosteneffizient zusammengestellt, auf europäischem Niveau aber trotzdem wettbewerbsfähig”, sagt Thomas Treß, Finanzvorstand von Borussia Dortmund im Interview mit rendite (siehe Seite 42).Vorteil für Aktionäre bei Borussia Dortmund ist zudem, dass die Aktie zu den größeren und liquideren Werten am Markt gehört. Die Marktkapitalisierung beläuft sich Stand 17. Juni auf 578,22 Mill. Euro, 54,34 % der Anteile befinden sich in Streubesitz. Ganz anders sieht es zum Beispiel beim FC Porto aus, dessen Aktie seit dem Börsengang 2002 zwar 90 % ihres Werts verloren hat, seit Jahresbeginn gerechnet aber als einer der wenigen Fußballtitel im Plus liegt. Der portugiesische Verein kommt lediglich auf eine Marktkapitalisierung von knapp 15,83 Mill. Euro, zudem sind fast 91 % der Anteile in festen Händen.Trotz einer kompetenten Finanzplanung und eines hohen Grades an Investierbarkeit räumt auch die Geschäftsführung des BVB ein, dass die Aktie sich auch künftig nicht von Einzelereignissen lösen wird. Um den Schock durch sportliche Rückschläge oder Spiele vor leeren Rängen zu neutralisieren, müssten Anleger schon in Konglomerate investieren, die mehrere Vereine auf verschiedenen Kontinenten in ihrem Besitz haben – nur ist bislang kein solcher Titel an der Börse verfügbar. Eine Möglichkeit könnte sich aber bald auftun: Angeblich plant der chinesische Einzelhandelsgigant Suning innerhalb der kommenden zwei Jahre ein IPO seiner Sportsparte, die China-Übertragungsrechte für mehrere europäische Top-Ligen hält. Außerdem befindet sich neben dem chinesischen Erstligisten Jiangsu Suning auch Italiens Urgestein Inter Mailand im Besitz von Suning Sports.