IM INTERVIEW: ALEXANDER SCHINDLER

"Wertverluste im Rentenportfolio"

Union Investment warnt vor Zinswende - Aktienmärkte haben demnach das geringere Risiko

"Wertverluste im Rentenportfolio"

Weniger das Geschehen an den Aktienmärkten, sondern an den Rentenmärkten stellt nach Auffassung von Union Investment derzeit die größte Herausforderung dar. Vorstandsmitglied Alexander Schindler macht eine Wende in der Geldpolitik aus und rät Investoren, Staatsanleihen weniger stark zu gewichten. – Herr Schindler, einer Investorenumfrage von Union Investment zufolge haben institutionelle Anleger ihre Aktienquote im Vergleich zu 2017 deutlich erhöht. Wie erklären Sie sich diese Veränderung?Mich hat die Zahl am Anfang auch erstaunt. Alternativen zum Rentenmarkt sind aber derzeit rar. Die Aktie ist ein sehr liquides Asset, das wegen der Dividendenrenditen und der nach wie vor guten Aussichten für viele Unternehmen eine positive Wertentwicklung erwarten lässt. Allein die Tatsache, dass Aktienmärkte hochliquide sind, ermöglicht es auch, relativ schnell derartige Positionen wieder aufzulösen, wenn es sein muss.- Warum wurde die Aktienquote erst jetzt erhöht? Das Problem, dass es an Alternativen mangelt, besteht doch bereits länger.In den vergangenen Jahren haben sich viele Investoren mit alternativen Kapitalanlagen beschäftigt. So stiegen die Investitionen in Immobilien an, vor allem in Gewerbeobjekte. Auch andere Anlagekategorien wie Private Equity oder öffentliche Infrastruktur gerieten in den Blick. Dabei haben viele Investoren festgestellt, dass viel über Anlagealternativen gesprochen wird, es aber an geeigneten Objekten mangelt. Daher haben wir auch bei unseren Kunden erlebt, dass viele ihre Position im Aktienmarkt ausgebaut haben.- Das Anleihekaufprogramm der EZB läuft voraussichtlich zum Jahresende aus. Bleibt am Rentenmarkt also wieder mehr Raum für gewöhnliche Investoren?Die EZB hat erhebliche Positionen aufgebaut, die in der Form nicht so schnell in den Markt zurückkehren. Auch bei einem Auslaufen des Quantitative Easing, also des Anleihekaufprogramms, legt die EZB die Fälligkeiten wieder neu an. Sie hat sich also noch lange nicht als Marktteilnehmerin verabschiedet.- Die Aktienmärkte sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen, zuletzt gab es Turbulenzen. Ist ein Kurssturz verkraftbar?Viele Investoren haben in den vergangenen Jahren ihre Portfolios deutlich diversifiziert – das mindert Risiken. Auch sind weiterhin mehr als vier Fünftel der Kapitalanlagen zinstragend, also im Rentenmarkt investiert oder auch in anderen, zum Teil alternativen Assetklassen wie Immobilien, die regelmäßige Erträge generieren. Ein Investor muss sich natürlich auch entscheiden, welche Positionen er noch liquidieren kann, wenn exogene Schocks an den Kapitalmärkten für Stress sorgen. Das ist eine Herausforderung geworden aktuell, weil viele der wirklich liquiden Assets, wie gesagt, in den Büchern der Zentralbanken liegen.- Es sind also gar nicht so sehr die Aktienmärkte, sondern Rentenmärkte, die ein Risiko darstellen?Die Aktienmärkte haben in meinen Augen das geringere Risiko als die Rentenmärkte. Viele Investoren haben die Erwartung, dass wir das Ende eines Zinssenkungstrends längst erreicht haben und wir eher in eine Phase leicht steigender Renditen münden, was bedeutet, dass wir im Rentenportfolio mit Wertverlusten rechnen müssen.- Wie können sich Investoren vor einem Kursverfall von Anleihen schützen?Wenn ein Investor die gesamte Klaviatur der Kapitalanlage spielen kann, dann wird er vermutlich in Staatsanleihen unterinvestiert sein im Vergleich zu anderen Assetklassen. Ein reiner Renteninvestor muss in verschiedenen Segmenten des Rentenmarktes vertreten sein, und da würde ich aus heutiger Sicht immer noch Unternehmensanleihen präferieren gegenüber der öffentlichen Hand. Aber auch dort gilt: breit diversifizieren!- Die italienische Regierung sieht in ihrem Haushaltsentwurf eine Neuverschuldung von 2,4 % für 2019 vor und geht auf Konfrontationskurs zur EU. Welche Rolle spielt Italien für Investoren?In Italien werden wir auch weiterhin mit politischen Herausforderungen konfrontiert sein. Insofern kann ich unseren Kunden nur raten, zunächst einmal keine weiteren Positionen aufzubauen, denn sie laufen in erhebliche Spread-Risiken, wenn sie nur in italienische Staatsanleihen investieren. Da bieten sich andere Emittenten wie Spanien und Portugal eher an. Risiken sehen wir aber nicht nur in Europa, sondern auch im US-Rentenmarkt. Der frühe Ausstieg der Fed aus dem Quantitative Easing und die Zinserhöhungen sind bereits spürbar. US-Präsident Donald Trump wird mit seiner expansiven Fiskalpolitik weiter zu einer Zinswende beitragen, denn steigende Budgetdefizite müssen finanziert werden.- Auch wenn institutionelle Investoren Aktien stärker gewichten, dominiert Ihrer Umfrage zufolge das Bedürfnis nach Sicherheit. Wie erklären Sie sich das?Das Sicherheitsbedürfnis ist eine Kombination von unterschiedlichen Entwicklungen und Erfahrungen: Verantwortliche bei Großanlegern sind nach wie vor beeindruckt von den Erfahrungen aus der Finanzkrise. Es kommt hinzu, dass in vielen Bereichen, auch in Rentenmärkten, Risiken nicht mehr adäquat bepreist werden. Auch die Regulierung zeigt Folgen. So gibt es bekanntlich für Banken oder für Versicherer spezifische Vorgaben, die Investoren im Grunde dazu zwingen, Risiken zu meiden. Investoren achten daher darauf, dass sie Korrekturen am Kapitalmarkt aushalten können.- Die oft geäußerte Befürchtung, dass sich Investoren prozyklisch verhalten und in Krisenzeiten ihre Anteilsklassen verkaufen, teilen Sie also nicht?Investoren müssen schon allein deshalb durchhalten können, weil sie in einer Krise womöglich größere Positionen gar nicht liquidieren können. Die meisten Großanleger sind aber glücklicherweise in der Lage, Anleihen bis zur Fälligkeit halten zu können. Sie sind also nicht zu einem Fire Sale, wie es neudeutsch heißt, gezwungen. Im Rentenbereich haben Investoren mit einer niedrigen Duration der Kapitalanlage eine zusätzliche Absicherung.- Union Investment verzeichnet, ähnlich wie auch einige andere Assetmanager, seit einigen Jahren ein solides Neugeschäft. Wie stabil ist dieser Trend?Wenn wir von normalen Volatilitäten ausgehen und eine Korrektur erleben, so wie das in den vergangenen Wochen der Fall war, dann werden institutionelle Investoren relativ schnell die Gelegenheit nutzen, um sich wieder zu positionieren. Das Neugeschäft mit institutionellen Anlegern, die uns im ersten Halbjahr netto 6,6 Mrd. Euro neu anvertraut haben, hat sich weitgehend fortgesetzt mit gut 1 Mrd. Euro pro Monat. Auch auf Seiten der Privatanleger sehen wir kontinuierliche Zuflüsse. Was ich nicht prognostizieren kann, sind Folgen einer hypothetischen Vertrauenskrise, so wie das in der Finanzkrise der Fall war. Gerade private Investoren würden sich dann vermutlich eher wieder vom Kapitalmarkt abwenden.- Neben der Gefahr einer Zinswende und politischen Risiken betont Union Investment auch die Reputation von Aktiengesellschaften und Anleiheemittenten. Warum?Risiken können entstehen, wenn Sie in Unternehmen investieren, die durch Fehlverhalten oder durch Missmanagement eine negative Kursentwicklung verursacht haben – denken Sie an den Dieselskandal und seine Auswirkungen auf die Automobilindustrie. Darüber hinaus gibt es Umweltrisiken, die immer stärker in das Bewusstsein rücken, und zwar vor dem Hintergrund der regulatorischen Initiativen zum Klimaschutz und generell zur Nachhaltigkeit.- ESG, also Umwelt- und Sozialaspekte sowie Kriterien der Unternehmensführung, ist also auch im Risikomanagement wichtig.Absolut! Ich sehe Nachhaltigkeitsthemen als ganz wesentlichen Bestandteil des Risikomanagements.- Union Investment sucht den Kontakt zu NGOs: So hat Ihr Haus eine Klimaschutzkonferenz mit dem WWF organisiert oder das Thema industrielle Tierhaltung als Investorenmitglied der Initiative FAIRR aufgegriffen. Wie kommt es zu solchen Kooperationen?Uns ist es wichtig, dass wir mit verschiedenen Organisationen, die den Blick auf Nachhaltigkeit im Kapitalmarkt richten, in einen Dialog kommen. Es ist nicht immer angenehm, sich den Spiegel vorhalten zu lassen, aber wenn man als Assetmanager auch in Zukunft eine Rolle in der Gesellschaft und im Finanzbereich spielen will, dann muss man sich mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Initiativen auseinandersetzen.- Kann und sollte die Finanzbranche denn Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft anstoßen? Oder sollten ESG-Kriterien einfach nur Bausteine für das Management von Renditechancen und Risiken sein?Das lässt sich nicht so exakt trennen. Zunächst einmal sind die Kriterien ein wesentlicher Bestandteil in der Kapitalanlage. Denken Sie beispielsweise an die Energiewende, die bestimmte Sektoren und Märkte geprägt hat – so etwas sollten Investoren in ihre Überlegungen einbeziehen. Darüber hinaus spielen Fondsgesellschaften und Großanleger eine bedeutende Rolle bei der Transformation unserer Wirtschaft: Kapital sollte in Branchen und Unternehmen fließen, die mit den Klimaschutzzielen vereinbar sind.- Ohne den Willen der Politik lässt sich die Wirtschaft aber kaum transformieren.Ja, der Wandel muss natürlich auch politisch gewollt sein. Insofern plädiere ich dafür, langfristige politische Strategien zu definieren. Anleger müssen wissen, worauf sie sich verlassen können. Investoren – und dahinter stehen natürliche Personen – beobachten klimatische Veränderungen auch selbst. Denken Sie an Stürme, denken Sie an die diesjährige Dürre und ausgeprägte Sommerzeit in Deutschland. Viele unserer Kunden fragen uns, wie sie ihre Kapitalanlage verändern müssen. Langfristig werden Firmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen eher eine Outperformance ausweisen.- Das Argument lässt sich auch umdrehen. Wenn die Politik nicht reagiert, machen etwa Kohlekonzerne bessere Geschäfte als derzeit erwartet. Das treibt die Kurse.Ich plädiere nicht dafür, sich grundsätzlich aus diesen Branchen zu verabschieden. Wichtig ist für die Unternehmen, die heute noch in der Kohleförderung aktiv sind, dass sie ihre Geschäftsmodelle verändern, also die Komposition ihrer Geschäftsaktivitäten überdenken, damit sie auch in Zukunft, also mittel- bis langfristig, profitabel arbeiten können. Das setzt auch einen aktiven Dialog von Investoren mit dem Management voraus.- Wie sollte die Regulierung aussehen, um Nachhaltigkeit in der Geldanlage zu fördern?Ich bin davon überzeugt, dass wir ähnlich wie in Frankreich verpflichtende Regeln für Investoren benötigen, über Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage zu berichten. Dafür ist aber auch ein Orientierungsrahmen notwendig, wie Investoren das Kapital allokieren können. Allerdings bin ich dagegen, wenn die Politik, überspitzt formuliert, Anlagerichtlinien erlässt. Denn ich bezweifele, dass ein Konsens erzielt werden kann, was Nachhaltigkeit im Detail ausmacht. Jeder einzelne Investor sollte für sich entscheiden, was dieser Begriff aus seiner Sicht bedeutet.—-Das Interview führte Jan Schrader.