Wettbewerb in der Regulierung
Führt der Brexit zu mehr regulatorischem Wettbewerb in Europa? Das ist sehr wahrscheinlich, wenn er kommt. Nun ist zu erwarten, dass darauf in den EU-27-Staaten mit Abwehrreflexen reagiert wird. Die kontinentaleuropäische Regulierung könnte aber aus dem Brexit neue Impulse gewinnen, statt sich im Klein-Klein zu verlieren. Denn der nach wie vor wichtigste europäische Finanzplatz, London, möchte als “Entschädigung” für die Beschwernisse des Brexit eine Kompensation. Schon 2016 wurde in der City von “bedeutenden Chancen durch einen regulatorischen Neustart” fabuliert. Abgesehen von Mehrkosten und verzögerten oder entgangenen Geschäften hat sich die “Brexit-Übung” bislang allerdings nicht gelohnt, das Gegenteil ist der Fall. Doch unisono ist ein Änderungswille spürbar. Andrew Bailey, Chef der britischen Finanzaufsicht FCA, sagte im April, Großbritannien würde nach dem Brexit den Ansatz einer “geringeren Belastung” in der Finanzmarktregulierung favorisieren. Das Land könne zu einem stärker prinzipien- und wirkungsorientierten Ansatz zurückkehren. Auch die Bank of England hat sich jüngst für eine Regulierung, die “outcome-based” ist, starkgemacht. Und auf einer Konferenz der Finanzmarktvereinigung AFME, in der Banken und andere Finanzdienstleister vertreten sind, hieß es Anfang Mai, dass etwa im Bereich nachhaltiger Anlagen auf britischer Seite einige Änderungen denkbar sein könnten.Die europäische Marktaufsicht ESMA beäugt deshalb skeptisch, was die Briten tun wollen. Es gebe das “Risiko eines regulatorischen Wettbewerbs”, sagt ESMA-Chef Steven Maijoor. Dass er den Begriff “Wettbewerb” hier negativ versteht, lässt tief blicken und ist bedauerlich. Stattdessen könnte der Brexit für den regulatorischen Rahmen der EU-27 eine Chance sein, Korrekturen vorzunehmen, der sich durch die steigende Vorgabendichte gerade auf Ebene sogenannter “technischer Standards” auszeichnet. Es hat schon fast Tradition, dass heiße Eisen wie etwa die Regulierung der Clearinghäuser auf technischer Ebene geklärt werden. Mitunter verliert der Regulator den Durchblick, wie in der Zentralverwahrerverordnung CSDR. Diese soll die Frage der Strafzahlungen für nicht gelieferte Wertpapiere, verbunden mit einem sogenannten Buy-in-Regime, zum Nutzen des Marktes klären. Doch der muss sich nun mit einer Absurdität auseinandersetzen. So weist die International Capital Market Association (ICMA) darauf hin, dass durch eine fehlerhafte Formulierung in der Verordnung und die nur mangelhafte Korrektur derselben auf Ebene des technischen Standards es bei der Berechnung von Ausgleichszahlungen zu Fehlanreizen kommen dürfte. Liquiditätsspendende Marktteilnehmer könnten abgehalten werden, Transaktionen einzugehen. Dies dürfte zu höheren Geld-Brief-Spreads und womöglich zu Beeinträchtigungen im Finanzierungsmarkt (Repo-Markt) führen.Fragwürdige europäische regulatorische Beispiele finden sich auch in der Finanzmarktrichtlinie Mifid II, die etwa den “dunklen” Wertpapierhandel außerhalb von Börsen transparenter machen wollte. Allein die Tatsache, dass der Großteil der börsengehandelten Fonds (ETFs) in Europa weiter außerbörslich abgewickelt wird, spricht Bände über die Relevanz von Mifid II in diesem Bereich. Dort, wo die Regulierung eingreift, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, ob die Transparenz nun wie versprochen gestiegen ist oder ob es sich nur um eine Übung handelt, die viel Aufwand für wenig Ertrag brachte. Bald zu einem Wettbewerbsproblem in der Regulatorik dürfte sich auch die Tatsache auswirken, dass in London in Sachen Kapitalmarkt immer noch das große Geschäft gemacht wird, während in Deutschland wie schon vor fünfzehn Jahren über die mangelnde Aktienkultur und schwache Pensionssysteme lamentiert wird.Selbst wenn hinter der Kritik an EU-Regularien oft wohlfeile Motive stecken mögen, zeigt sich, dass der Prozess der EU-Regulierung an seine Grenzen gestoßen ist. Gerade aus kleineren EU-Mitgliedsländern sind Fragen zu hören, ob sich durch den Brexit die EU womöglich nun mehr in Richtung einer prinzipien- und wirkungsorientierten Regulierung bewegt und weniger detailversessen auftritt. Die Franzosen haben sich schon positioniert: Robert Ophèle, Chairman der französischen Marktaufsicht AMF, sagte Anfang Juni, Europa solle pragmatischer in Regulierung und Aufsicht werden. Was er damit genau meint, ist offen – wie so oft steckt der Teufel im Detail. Europa wäre aber schlecht beraten, auf sich wohl verändernde britische Regularien allein mit Abwehrreflexen zu reagieren. Auch ist es an der Zeit, dass Frankfurt, der europäische “Regulierungs-Hub”, dazu bald Farbe bekennt.——Von Dietegen MüllerDer Prozess der europäischen Regulierung stößt an seine Grenzen. Der Brexit könnte hier neue Impulse setzen.——