GASTBEITRAG

Wie die Finanzaufsicht auf den Klimawandel reagiert

Börsen-Zeitung, 11.10.2019 Der Klimawandel und seine ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen beschäftigen Politik und Gesellschaft derzeit wie kaum ein anderes Thema. Auch für die Finanzindustrie beinhaltet der Klimawandel Risiken und...

Wie die Finanzaufsicht auf den Klimawandel reagiert

Der Klimawandel und seine ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen beschäftigen Politik und Gesellschaft derzeit wie kaum ein anderes Thema. Auch für die Finanzindustrie beinhaltet der Klimawandel Risiken und Chancen. Dabei ist das für viele Finanzmarktakteure kein grundsätzlich neues Thema.Schon seit vielen Jahren bieten Kapitalanlagegesellschaften Fonds an, deren Anlagestrategien an den sogenannten ESG-Kriterien ausgerichtet sind, das heißt, die bei der Auswahl der Assets eine oder mehrere der drei Nachhaltigkeitskategorien – Umwelt (Environment), Soziales (Social) und verantwortliche Unternehmensführung (Governance) – berücksichtigen. Manche Versicherungen beachten Nachhaltigkeitsthemen in ihrer Anlagestrategie, und die Einbeziehung von klimabedingten Katastrophenrisiken in den versicherungstechnischen Rückstellungen ist bereits Standard. Auch Kreditinstitute berücksichtigen vermehrt ESG-Aspekte in ihren Kredit- und Anlageentscheidungen. Zu beachtende VorgabenAndererseits sollen durch mehr oder weniger verpflichtende, aber in jedem Fall zu beachtende Vorgaben und Leitlinien Banken, Versicherungen und Kapitalanlagegesellschaften dazu angehalten werden, den klimabedingten Chancen und Risiken in ihrem Geschäftsgebaren Rechnung zu tragen. Ausgangspunkt für die europäische Finanzindustrie und die mit der Beaufsichtigung der Finanzindustrie beauftragten Behörden in der Europäischen Union ist der im März 2018 veröffentlichte EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Diese Initiative weist zehn Maßnahmen zur Umgestaltung der Wirtschaft auf, welche in vielen Bereichen bereits durch konkrete Vorschläge der Europäischen Kommission und der europäischen Aufsichtsbehörden ausformuliert wurden.Vor diesem Hintergrund hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin am 25. September 2019 ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zur Konsultation veröffentlicht. Der vorliegende Entwurf richtet sich dabei erstmalig sektorübergreifend an alle Finanzmarktakteure gleichermaßen. Die BaFin beabsichtigt, auf Basis der Kommentare und Anmerkungen, die bis zum 3. November 2019 eingebracht werden können, einen unverbindlichen Leitfaden zum Umgang mit klimabedingten und anderen ESG-Risiken bereitzustellen. Diese Ergänzung der bestehenden Vorgaben zur Identifizierung, Bewertung, Überwachung, Steuerung und Kommunikation wesentlicher Risiken ist – Stand heute – unverbindlich. So können regulatorische Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden.Die BaFin weist explizit darauf hin, dass verbindliche gesetzliche oder aufsichtliche Vorgaben durch das Merkblatt weder abgeschwächt noch erweitert werden, und verfolgt so konsequent den risikobasierten Ansatz, in dessen Zentrum die Stabilität und Integrität des Finanzmarktes sowie der Verbraucherschutz stehen. Sie greift dabei auf etablierte Konzepte und Definitionen zurück und schlägt die Brücke zu internationalen Initiativen wie dem Network for Greening the Financial System (NGFS) – einer 2017 gegründeten Initiative aus Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, die sich dem Ziel einer Abstimmung der Akteure verschrieben hat, um die Klimadiskussion im Finanzsektor effektiv voranzutreiben.Inhalt und Struktur des Merkblattes verdeutlichen, dass die BaFin bei dem Umgang mit klimabedingten Risiken darauf abstellt, dass es sich nicht um eine neue Risikoklasse handelt. Vielmehr wird betont, dass davon ausgegangen wird, dass die Risiken auch bisher schon berücksichtigt wurden. Nun komme es darauf an, den Umgang damit methodisch, strukturiert und transparent aufzubereiten und entsprechende Strategien zum Umgang mit diesen Risiken zu entwickeln.Deutlich wird dies bei den Ausführungen zu den sogenannten transitorischen und physikalischen Risiken. Diese vom Financial Stability Board (FSB) mit den am 26. September 2018 veröffentlichten Empfehlungen zur Offenlegung klimabedingter Risiken eingeführte Unterscheidung beschreibt Risiken, die einerseits aus dem Umbau hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft und andererseits aus den parallel auftretenden Folgen einer Klimaveränderung resultieren. Den beaufsichtigten Unternehmen wird angeraten, sich frühzeitig der Frage zu stellen, wie und ob qualitativ und quantitativ auswertbare Informationen zu diesen klimabedingten Risiken vorliegen, um Szenarien und Stresstests zu den Auswirkungen des Klimawandels auf das Unternehmen durchzuspielen. Betont wird darüber hinaus die Bedeutung des Reputationsrisikos im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von ESG-Kriterien. Anpassungen vornehmenAuf dieser Grundlage sind dann Anpassungen – beispielsweise bei der Risikostrategie, der Geschäftsorganisation, den Risikomanagementprozessen und den Risikomodellen – vorzunehmen. Die BaFin hebt zudem die Verantwortung der Unternehmensführung hervor: Dort bedarf es eines Verständnisses für das Thema und einer klaren Kommunikation “von oben nach unten” (tone from the top) über die Bedeutung der Nachhaltigkeitsrisiken sowie einer Integration in die Risikokultur des Unternehmens. Darüber hinaus sind Nachhaltigkeitsrisiken in den Stresstests und Szenarioanalysen abzubilden. Hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang Übergangs- und Auswirkungsszenarien, um die spezifischen klimabedingten transitorischen und physikalischen Risiken zu simulieren.Um ihre Vorstellungen und Erwartungen zu konkretisieren, hat die BaFin in dem Merkblatt eine Reihe von Beispielen und Fragen eingefügt. Es wird deutlich, wie wichtig der BaFin die sachgerechte und dem Proportionalitätsgedanken verpflichtete Umsetzung ist. Dabei müssen Rollen und Verantwortlichkeiten klar definiert, Ressourcen bereitgestellt und Schnittstellen zwischen Unternehmensbereichen etabliert werden. Chancen nutzenDas Merkblatt deckt primär die Risikoseite des Themas Nachhaltigkeit ab. Demgegenüber stehen die damit verbundenen Chancen. Diese müssen durch Entwicklung neuer Produkte und neuer Märkte sowie die Ansprache neuer Kundengruppen genutzt werden. Dies erfordert Anpassungen der Geschäftsstrategie, ein Umdenken in den Führungsetagen und insbesondere einen Aufbau anderer und neuer Kompetenzen in den beaufsichtigten Unternehmen. Das hat sicher auch die BaFin im Hinterkopf, wenn sie an ihren Auftrag für Finanzmarktstabilität und Verbraucherschutz denkt.Max Weber, Partner, EY und Robert Emanuel Bopp, Director, EY