Wie systemrelevant sind Amazon & Co?
Wie verändern Big Data und Artificial Intelligence die Finanzwelt? Welche Folgen hat der technologische Umbruch für Banken, Versicherer und nicht zuletzt für deren Kunden, aber auch für die Aufsicht selbst? Die BaFin liefert mit externer Unterstützung einen sehr fundierten und umfänglichen Diskussionsbeitrag. Von Bernd Wittkowski, FrankfurtDie Verfügbarkeit großer Datenmengen – “Big Data” – und deren Nutzung mittels künstlicher Intelligenz sind Treiber eines tiefgreifenden Wandels. So weit ist das fast schon eine Binsenweisheit. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat nun etwas genauer hingeschaut. In einer 201 Seiten starken, von ihr selbst als “spekulativ” bezeichneten Studie beleuchtet sie mit Hilfe externer Experten das Zusammenwirken der beiden technologischen Entwicklungen im Finanzmarkt, mögliche Einflüsse auf das System als Ganzes und die einzelnen Akteure sowie die Implikationen für Regulierungs- und Aufsichtsinstanzen. Das einschlägige Akronym lautet BDAI. Es steht für Big Data und Artificial Intelligence. Gefahr der MonopolbildungMitgewirkt haben an der Studie, mit der die BaFin als eine der größten Aufsichtsbehörden der Welt einen substanziellen Beitrag zu der wichtigen gesellschaftlichen Debatte leisten und offenbar auch intellektuelle Führung zu diesem Thema zeigen will, die Partnerschaft Deutschland – Berater der öffentlichen Hand, die Boston Consulting Group sowie das Fraunhofer Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme. Es versteht sich von selbst, dass das Phänomen BDAI nicht nur Chancen für alte und neue Anbieter (etwa in Form innovativer Geschäftsmodelle), für Bankkunden und Versicherungsnehmer (zum Beispiel in Gestalt maßgeschneiderter Angebote) oder für Teilnehmer des Kapitalmarktes sowie für die Aufsicht selbst eröffnet, sondern nicht zuletzt auch mit Risiken einhergeht. Diese müssten verstanden und adressiert werden, so BaFin-Präsident Felix Hufeld im Vorwort. Ein Beispiel: Big Data und künstliche Intelligenz können eine “The Winner takes it all”-Marktstruktur begünstigen, also über einen sich selbsttragenden Marktpenetrationsprozess das Entstehen monopolartiger Anbieter fördern. Bezahlen mit DatenJe mehr Daten ein Unternehmen habe, desto mehr Erkenntnisse könne es gewinnen. “Diese Erkenntnisse machen es möglich, innovativere Produkte zu entwickeln, aus denen es wiederum zusätzliche Daten gewinnen kann.” Der hierzu erforderliche Datenzufluss erfolge in vielen Fällen nach dem Konzept “Bezahlen mit Daten”, das häufig bei plattformbasierten Geschäftsmodellen der Big Techs zu beobachten sei. Für die Verbraucher seien solche Angebote meist nur scheinbar kostenfrei, da sie letztendlich durch die Auswertung der den Anbietern zur Verfügung gestellten Daten finanziert würden, etwa über individualisierte Werbung. Zu den denkbaren Auswirkungen auf das Finanzsystem gehört, dass dominante, bisher unregulierte BDAI-Anbieter einen Status erlangen könnten, den man bisher im Wesentlichen nur mit Banken und Versicherern in Verbindung brachte: Sie werden “too big to fail”. Diese Unternehmen können außerhalb des Finanzsektors gewonnene Daten auch im Finanzmarkt profitabel einsetzen. Treten sie mit eigenen Angeboten in den Finanzmarkt ein, so die BaFin, “könnten sie dort schnell systemrelevant werden”. Systemrelevanz könnten sie aber auch mittelbar entfalten, indem sie der Finanzdienstleistungsbranche ihre Daten oder Infrastrukturen kostenpflichtig zur Verfügung stellen, wodurch dann Abhängigkeiten entstünden. Namen werden in dem Bericht natürlich nicht genannt, aber es ist klar, dass die Aufsicht hier nicht zuletzt Datensammler wie Google, Amazon, Facebook und Apple, die sogenannten “Gafas” oder Big Techs, in den Blick nimmt, explizit aber auch möglicherweise erst noch entstehende neuartige Daten-, Plattform- oder Algorithmenanbieter.Namentlich zu den möglichen Konsequenzen für den Bankenmarkt heißt es in der Studie, die Ausweitung von BDAI-Anwendungen verstärke die bereits bestehende Tendenz zur Disaggregation, also zum Aufbrechen von Wertschöpfungsketten. Neue Wettbewerber besetzten mit BDAI-getriebenen Geschäftsmodellen oder entsprechenden Anwendungen Teile der Wertschöpfungskette. Hinzu komme, dass geänderte regulatorische Vorgaben wie etwa die europäische Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 die Schaffung möglichst standardisierter Schnittstellen beschleunigen. Dies könne die Aufspaltung der Wertschöpfungsketten weiter vorantreiben. Warnung vor DiskriminierungDie Autoren sind erkennbar bemüht, im derzeitigen Stadium der Diskussion keine vorschnellen oder gar vermeintlich endgültigen Antworten auf eine Unmenge technischer, rechtlicher, ökonomischer, aber auch ethischer Fragen zu geben. In einigen Punkten jedoch legt sich die BaFin fest. Beispielsweise wenn sie vor Diskriminierung einzelner Kunden oder Kundengruppen warnt und fordert, für die Verbraucher einen hinreichenden Zugang zu Finanzdienstleistungen zu gewährleisten. Denn durch BDAI erst ermöglichte Selektionsmechanismen könnten diesen Zugang für Einzelne unverhältnismäßig einschränken. “Das kann besonders prekär werden, wenn Verbraucher durch eine geringere Produktauswahl benachteiligt werden, sie aber nicht nachvollziehen können, dass dies aufgrund personenbezogener Daten geschieht.”Überhaupt zieht sich der Verbraucherschutzgedanke über weite Strecken durch den Bericht, mit dem die BaFin zum ersten Mal in dieser Form und wissenschaftlichen Tiefe zu einem Spezialthema auch über die eigentliche Aufsichtstätigkeit hinaus Stellung nimmt. So schreibt Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele in einem Meinungsbeitrag, die Verbraucher sollten BDAI “mit einer gesunden Skepsis begegnen”. Sie zahlten mit ihren Daten und gäben sehr viel von sich preis, vielfach ohne abschätzen zu können, wer die Daten wofür nutzt. Das Verbrauchervertrauen, etwa in die wunschgemäße und gesetzeskonforme Nutzung der Daten, ist der Studie zufolge denn auch ein zentraler Erfolgsfaktor für die Anwendung von BDAI. Wobei Vertrauen eben nicht nur ein wertschöpfender Faktor sei. Es gehe hier auch um Rechtspositionen wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das hierzulande Verfassungsrang hat. Um einen faktischen Druck auf die Verbraucher zur Datenfreigabe zu vermeiden, hält es die Behörde für denkbar, durch eine Anpassung von Regulatorik und Aufsicht sicherzustellen, dass hinreichend datensparsame beziehungsweise konventionelle Finanzdienstleistungen als gangbare Alternativen angeboten werden. Cyberkriminalität nimmt zuFest steht für die BaFin auch, dass “Blackbox-Verweise” unzulässig sind. Die Erklärbarkeit respektive Nachvollziehbarkeit von BDAI-basierten Entscheidungen sei für sachkundige Dritte zu gewährleisten. Dies liege in der Verantwortung des beaufsichtigten Unternehmens. “Modelle lediglich als Blackbox zu betrachten, sieht die Aufsicht kritisch.” An Bedeutung gewinnen im Kontext mit BDAI die Informationssicherheit und einschlägige Risiken bis hin zur Gefährdung der Funktions- (Unterbrechung des Geschäftsbetriebs) oder gar der Lebensfähigkeit der Institute. “Es ist absehbar, dass insbesondere das Ausmaß von Informationssicherheitsbrüchen in den nächsten Jahren zunehmen wird”, heißt es. Die weltweit aus Cyberkriminalität resultierenden Kosten für Unternehmen würden Schätzungen zufolge von 445 Mrd. Dollar 2015 auf 2,1 Bill. Dollar 2019 steigen. Zusätzlich sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Durch die Nutzung von BDAI, so die Untersuchung, entstünden und änderten sich Risiken besonders schnell. Andererseits biete BDAI auch Potenzial für die bessere Erkennung von Informationssicherheitsrisiken wie etwa bei der Identifizierung von Anomalien beziehungsweise von Angriffsmustern.—– Interview Seite 5