Holger Taubmann

„Wir hatten Glück im Unglück“

Eine Cyberattacke hat den Inkassodienstleister Lowell vorübergehend lahmgelegt. Doch der Forderungsmanager hatte Glück im Unglück, wie Deutschlandchef Holger Taubmann im Gespräch erläutert.

„Wir hatten Glück im Unglück“

Von Annette Becker, Essen

Nach dem Hackerangriff im März ist der Inkassodienstleister Lowell wieder voll handlungsfähig. „Letztlich hatten wir Glück im Unglück“, sagt Holger Taubmann, der für die Region Deutschland, Österreich und die Schweiz (DACH) zuständige CEO, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Im ersten Moment sei die Nachricht schockierend gewesen. Allerdings sei schnell klargeworden, dass Lowell kein Einzelfall ist.

Glück hatten die Essener, weil nur die Daten eines einzelnen zur Gruppe gehörenden Inkassounternehmens abgegriffen worden seien. „Mehr als 90% der Daten waren sicher in der Cloud.“ Dennoch habe Lowell im ersten Schritt alle Systeme heruntergefahren, musste doch erst einmal der Schadensumfang festgestellt werden. „Das hat uns operativ zwei Wochen lahmgelegt“, dann seien die Callcenter wieder gelaufen.

Nur geringer Schaden

Zudem seien keine Konsumentendaten in die Hände der russischen Hackergruppe Conti gelangt. Von daher sei jenseits der Kosten für die zu dem Fall hinzugezogenen Sachverständigen kaum Schaden entstanden, sagt Taubmann. Von Vorteil sei auch, dass es sich im Geschäft von Lowell, die hierzulande aus der einstigen GFKL hervorgegangen ist, um „nicht verderbliche Ware“ handelt.

Den Effekt werde man zwar in den Zahlen zum zweiten Quartal sehen, an der Jahresprognose macht Taubmann jedoch keine Abstriche. Geplant ist unverändert ein Umsatz- und Ergebnisplus von 30 %. Als Umsatz oder Einnahmen werden im Forderungsmanagement die sogenannten Collections bezeichnet, also der Wert der eingekauften Forderungen. Sie stagnierten im abgelaufenen Turnus bei 500 Mill. Euro. Daraus wurde ein operatives Ergebnis vor Abschreibungen (Ebitda) von 100 Mill. Euro gezogen. Beide Kenngrößen will Taubmann 2022 um 30 % steigern.

Wenngleich sich das Geschäft 2021 nur auf Vorjahresniveau bewegte, bescheinigt sich der Manager gut durch die Krise gekommen zu sein. Denn anders als zunächst erwartet, sei es coronabedingt nicht zu höherer Arbeitslosigkeit gekommen und damit auch nicht zu mehr Forderungsausfällen. Normalerweise beflügelt eine Wirtschaftskrise das Geschäft der Inkassounternehmen.

In dieser Hinsicht sei die Coronakrise ungewöhnlich gewesen, zumal der Staat mit zahlreichen Hilfsmaßnahmen stützend unterwegs gewesen sei. Das betrifft nicht nur die Wirtschaft, die u.a. mit Kurzarbeitergeld beglückt wurde, sondern auch die Verbraucher, die von einem Schuldenmoratorium profitierten. Zugleich übten sich die Verbraucher (notgedrungen) in Konsumverzicht, auch das habe die ausfallgefährdeten Forderungen gedrückt. Last, but not least scheuten Banken in der Pandemie unter ethisch-moralischen Aspekten davor zurück, Konsumentenforderungen an Dritte zu verkaufen, zählt Taubmann auf.

Wie es nach vorn geblickt weitergeht, lässt sich dem Manager zufolge nur schwer abschätzen. Da ist zum einen die Inflation, deren Auswirkung auf das Konsumentenverhalten unkalkulierbar sei. Zum anderen dürften insbesondere die sprunghaft gestiegenen Energiepreise zu höheren Forderungsausfällen bei den Versorgern, einer für Lowell wichtigen Kundengruppe, führen.

Unterwegs ist der Forderungsmanager mit zwei Geschäftsmodellen: Zum einen werden von Banken Portfolios mit faulen Krediten (Non Performing Loans, NPL) auf eigenes Risiko gekauft, zum anderen agiert das Inkassounternehmen als reiner Dienstleister auf Basis eines Provisionsmodells. Diese Variante ist das bevorzugte Modell für das Servicing von Forderungen von Versicherern, Versorgern, Telekom- und Handelsunternehmen. Dabei wird mit dem Mandanten eine Garantiesumme vereinbart, die der Servicer abliefert.

Verhandlungssache

Im Gegenzug erhält der Inkassodienst eine zuvor vereinbarte Provision. Wie hoch die Garantiesumme ausfällt, ist Verhandlungssache. Allerdings gibt Taubmann an dieser Stelle zu bedenken, dass dem Unternehmen an langfristigen Kundenbeziehungen sehr viel gelegen ist. Zum Inkassodienst wandern die Forderungen nach der zweiten erfolglosen Mahnung und das rollierend über die Laufzeit des Vertrags, die üblicherweise bei 24 Monaten liegt.

Anders sieht es beim Portfolioankauf aus, der für etwa zwei Drittel des Geschäfts steht. Hier kommt es auf die Analysequalität des Inkassounternehmens an. Wenngleich es verboten ist, Prognosemodelle auf Geolokalisierung aufzubauen, werden die Modelle mit Konsumentendaten gefüttert. Dabei geht es um Merkmale wie Geschlecht, Alter, Beruf, aber auch um Dinge wie das Endgerät, über das der Konsument kommuniziert. Die Daten werden durch ein hochkomplexes statistisches Prognosemodell gejagt. „Digitalisierung ist an dieser Stelle entscheidend“, weiß Taubmann, dessen Haus jährlich 7 bis 8 Mill. Euro in IT investiert.

Gerade beim Ankauf von NPL-Portfolios muss aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks mit spitzem Bleistift kalkuliert werden. Dominiert wird der deutschsprachige Markt von der schwedischen Intrum, der zu Bertelsmann gehörenden Arvato-Tochter Paigo und Lowell. Taubmann schätzt, dass diese drei Anbieter einen Marktanteil von etwa 60 % auf sich vereinen, belastbare Marktdaten gibt es nicht. Laut Statista gibt es in Deutschland knapp 770 Inkassounternehmen, im Bundesverband Deutscher Inkassounternehmen sind etwa 600 organisiert.

„Mit Fintechs tummeln sich immer mehr Spieler im Markt, die Evolutionsdruck ausüben. Dank dieser Wettbewerber, die auf der Volumenseite kaum eine Rolle spielen, haben wir frühzeitig angefangen, uns IT-sei­tig weiterzuentwickeln“, erläutert der Manager. Gleichwohl hält Taubmann die nationale Konsolidierung für weitgehend abgeschlossen – zumindest was Lowell anbelangt. „Wir sind mit am breitesten aufgestellt“, begründet der Manager und verweist darauf, dass Akquisitionen vor allem dann sinnvoll sind, wenn es um den Kauf von einschlägigem Branchen-Know-how geht. Umgekehrt dürfe nicht unterschätzt werden, wie aufwendig die IT-Integration nach einer Akquisition sei. Von daher will Taubmann zunächst einmal die organischen Wachstumsmöglichkeiten über die Differenzierung des Leistungsangebots ausschöpfen. „Der Wettbewerb entscheidet sich über die Services“, ist Taubmann, der lange in der Flug- und Reiseindustrie tätig war, überzeugt.

Größe spielt allerdings auch in der Inkassowelt eine Rolle, wie nicht zuletzt die seit einigen Jahren auf internationaler Ebene stattfindende Konsolidierung zeigt. Dabei werden die Zusammenschlüsse in der Regel von einem oder mehreren Finanzinvestoren orchestriert. Lowell, die 2015 aus dem Zusammenschluss der britischen Lowell Group und der deutschen GFKL hervorging, ist dafür ein Paradebeispiel. Hinter dem Inkassounternehmen stehen Permira und der Ontario Teachers’ Pension Plan. Da Finanzinvestoren über kurz oder lang ausstiegen, rücke das Thema M&A nun stärker in den Fokus, glaubt Taubmann. „Bei uns steht das allerdings nicht zur Diskussion“, beteuert der Manager.

Größe hilft in Refinanzierung

„Größe spielt eine Rolle, da sich Gemeinkosten breiter verteilen lassen“, erläutert der Managing Director. Zudem sei Größe auch mit Blick auf die Finanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt ausschlaggebend, denn Liquidität ist beim Portfolioankauf ein maßgeblicher Faktor. Doch auch operativ sei es hilfreich, in unterschiedlichen Rechtsräumen unterwegs zu sein, gebe es im E-Commerce oder bei Zahlungsdiensten wie Paypal oder Klarna doch zunehmend global agierende Unternehmen. Last but not least komme dem Thema IT-Sicherheit eine immer größere Bedeutung zu, wie Lowell am eigenen Leib erfahren musste. Auch an diesem Punkt mache Größe den Unterschied.

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