„Wir sind ein normaler Teil des Marktes geworden“
Im Interview: Tilo Dresig
„Wir sind ein normaler Teil des Marktes geworden“
Der Vorstandschef von Viridium zur Verwaltung von Lebensversicherungsbeständen, zu veralteter IT und Kapitalanlagen ohne Aktien
Von Thomas List, Frankfurt
Etablierte Lebensversicherer mit seit vielen Jahren gewachsenen Beständen kämpfen immer stärker mit veralteten Verwaltungssystemen. Seit einigen Jahren bieten spezialisierte Unternehmen am deutschen Markt an, diese Bestände zu übernehmen und bis zum Ablauf zu verwalten.
Herr Dresig, wenn ich ein Lebensversicherer wäre: Wozu könnte ich Viridium brauchen?
Sie müssen sich überlegen, was Sie mit Ihrer eigenen Gesellschaft vorhaben. In der Regel gibt es große Altbestände, die auf deutlich veralteten IT-Systemen laufen. Das wird zunehmend ein Problem, das gelöst werden muss.
Warum?
Die Versicherer haben eine große Anzahl von Tarifen verkauft, die auf IT-Systemen laufen, die vor Jahrzehnten implementiert worden sind. Die sind jetzt oft am Ende der Lebensdauer angekommen.
Warum müssen die jetzt modernisiert werden? Die haben doch bisher funktioniert.
Die stammen aus IT-Systemen der letzten 50 oder 60 Jahre und sind oft auf Uraltsprachen wie Cobol oder APL programmiert. Die Aktuare und die IT-Experten, die das programmiert haben, gehen jetzt in Rente oder sind schon in Rente. Damit verschwindet das Wissen, wie die Verträge implementiert sind. Sie haben dann ein IT-System, bei dem keiner mehr so richtig versteht, was es eigentlich tut.
Was bedeutet das für den Vertragsbestand?
Von uns geprüfte Bestände haben oftmals 1.000 verschiedene Tarife, die über Jahrzehnte mit verschiedenen Tarifwerken und entsprechenden Versprechen an den Kunden verkauft wurden. Diese Versprechen müssen erfüllt werden. Deswegen ist das IT-System so zentral. Denn Sie müssen genau verstehen, was Sie im Einzelnen versprochen haben, und das genau erfüllen können.
Aber wenn ich als Versicherer meinen Kunden bisher jedes Jahr ihre Bestandsmitteilungen zusenden konnte, warum soll das nicht auch noch die kommenden Jahre gehen?
So denkt tatsächlich der Großteil des Marktes. Einige wenige haben ihre Systeme schon modernisiert. Viele nehmen sich das für die kommenden Jahre vor. Drei, fünf oder sieben Jahre werden die alten Systeme schon noch laufen, so die Erwartung. Aber häufig laufen Verträge noch 30, 40 oder 50 Jahre. So lange halten die Bestandssysteme garantiert nicht.
Machen die Systeme dann Fehler?
Sie wissen dann einfach nicht mehr, was das System tut.
Die Systeme spucken also etwas aus, das Sie als Versicherer nicht erklären können?
Genau. Deswegen wird dann immer mehr manuell gemacht. Das führt zu ständig steigenden laufenden Kosten und ist sehr fehleranfällig.
Was können Sie als Viridium da besser machen?
Wir als Viridium können Skaleneffekte realisieren, weil wir fragmentierte Lebensversicherungsbestände übernehmen, modernisieren und sie dann auf einer einheitlichen Plattform verwalten. Als Lebensversicherer müssen Sie sich fragen, ob Sie das besser können als Viridium.
Wenn Sie Altbestände überprüfen wollen, müssen Sie ja zuerst prüfen, ob ausreichend Rückstellungen gebildet worden sind und ob die Verträge eigentlich richtig rechnen. Das stelle ich mir sehr aufwendig vor.
Das ist der anspruchsvollste Teil unseres Geschäftsmodells. Aber wir haben damit seit zehn Jahren Erfahrung. Zu Anfang haben wir kleinere Bestände übernommen. Mit jeder Transaktion haben wir dazugelernt. Die Generali-Übernahme (heutige Proxalto) konnten wir nur mit der inzwischen aufgebauten Erfahrung bewältigen.
Was prüfen Sie genau?
Wie sieht das alte IT-System aus? Wie viele verschiedene IT-Systeme gibt es im Unternehmen überhaupt? Wie sieht das Datenmodell aus? Sind die Verträge auch richtig abgebildet? Im Prozess der Migration stellen wir das dann sicher. Dabei werden dann einige Versicherungsnehmer sogar bessergestellt als vorher.
Aber schlechtergestellt werden können sie nicht?
Nein, wenn etwas geändert wird, dann zugunsten des Kunden. Die haben durch die Übertragung ihrer Verträge auf uns mehrere Vorteile: Sie haben die Gewissheit, dass ihr Vertrag auf einem modernen IT-System läuft, das auch für die nächsten 50 Jahre und länger funktioniert. Und die Aktionäre von Viridium zahlen die gesamte IT-Modernisierung. In Deutschland wäre es im Rahmen der Mindestzuführung ja zulässig, die IT-Kosten hälftig zwischen Unternehmen und Kunden zu teilen. Das ist im Markt auch die Regel. Bei uns aber nicht.
Warum übernehmen Sie die IT-Kosten?
Wir wollen zeigen, dass die Kunden bei uns bessergestellt werden. Die reinen IT-Migrationskosten der von uns übernommenen Bestände betrugen über 350 Mill. Euro. Für unsere moderne, einheitliche Unternehmensplattform mit einem zentralen Kundenservice haben wir sogar über 600 Mill. Euro investiert. Dieses Geld stammt zu 100% von unseren Aktionären.
Nun hat man als Beobachter den Eindruck, dass Sie und Ihre Wettbewerber nicht gerade von Kunden überrannt werden. Woran liegt das?
Für uns fühlt sich das gar nicht so an. Viridium gibt es ja erst seit zehn Jahren. In dieser Zeit sind wir von 5 auf 67 Mrd. Euro Kapitalanlage gewachsen. Wir sind jetzt einer der fünf größten deutschen Lebensversicherer mit rund 5% Marktanteil. Aber unser Geschäftsmodell ist für den deutschen Markt neu. In den ersten Jahren gab es eine große theoretische Debatte, ob die Verwaltung von Beständen ohne Neugeschäft über eine externe Plattform gut oder schlecht ist.
Und wie ist die Antwort?
Wir können seit zwei, drei Jahren die positiven Auswirkungen für den Kunden zeigen. Für Kunden sind drei Dinge wichtig: die Überschüsse, die Kapitalstärke des Versicherers und eine moderne, dauerhafte und nachhaltige operative Plattform. All dies können wir bieten. Deshalb gibt es diese grundsätzliche Debatte über das Geschäftsmodell auch nicht mehr. Wir sind ein normaler Teil des Marktes geworden.
Machen wir doch die Vorteile für den Kunden nach einer Übernahme durch Sie konkret…
Bei der Proxalto (ehemals Generali Leben) konnten wir nach nur vier Jahren die laufenden Überschüsse von 1,25% auf 2,35% steigern. Damit sind wir, nach einer der niedrigsten Quoten im Markt, ungefähr im Marktdurchschnitt angekommen. Für die Proxalto-Kunden konnten wir über fünf Jahre 1 Mrd. Euro mehr erwirtschaften und für zukünftige Überschüsse zurückstellen als vorher die Alt-Eigentümer.
Davon profitieren aber auch Ihre Aktionäre.
Nach der deutschen Mindestzuführungsverordnung bekommt der Kunde vom Rohüberschuss im Durchschnitt 70%, die Aktionäre und die Steuer die restlichen 30%. Als Kunde wollen Sie also bei einem Unternehmen sein, das Geld verdienen möchte. Wir sind stolz darauf zeigen zu können, wie gut unser Geschäftsmodell für den Kunden ist – und gleichzeitig für den Aktionär. Diese gleichgerichteten Interessen helfen uns auch bei weiteren Akquisitionen.
Trotzdem: Viele Unternehmen wollen ihre IT lieber selbst modernisieren und nehmen sich dafür einige Jahre Zeit.
Ich finde den internen Run-off durchaus auch lohnend. Der Markt ist groß genug. Wir haben aber einen wichtigen strukturellen Vorteil: Wir haben das schon mehrfach gemacht und können Bestände besser und günstiger verwalten. Diese Lernkurve ist eines unserer Alleinstellungsmerkmale. Wer eine Modernisierung nur einmal macht, muss sich die Mitarbeiter und das Know-how zusammensuchen. Und dann schrumpfen die Bestände im Laufe der Zeit mit dem Ablauf der Versicherungsverträge.
Das tun sie ja bei Ihnen auch.
Ja, aber wir haben schon 3,4 Millionen Verträge auf der Plattform. Die Bestände, die wir uns für weitere Käufe anschauen, sind einen Bruchteil so groß wie unsere aktuellen Bestände.
In Deutschland gibt es etwa 80 Lebensversicherer. Die meisten sind sehr klein. Wenn Versicherer ihre Altbestände an Sie und Ihre Wettbewerber abgeben, sind das eher die größeren. Die Unternehmen mit den kleinen Beständen müssten ja am meisten Interesse am Outsourcing haben.
Von den mehr als 80 Lebensversichern in Deutschland haben nur fünf einen Marktanteil von jeweils über 5%. Ungefähr 70% haben weniger als 1% Marktanteil. Diese Marktstruktur scheint uns nicht im Interesse der Kunden zu sein. Bei den meisten Lebensversicherern laufen mehrere IT-Systeme. Da kann man sich vorstellen, wie viele solcher Systeme in Deutschland existieren und unterhalten werden müssen. Eine Konsolidierung erscheint uns daher im Interesse der Kunden.
Aber trotzdem sind Sie bisher nur für die größeren Versicherer da.
Zum einen haben die größeren Gesellschaften schneller erkannt, dass das externe Bestandsmanagement schon in anderen Märkten funktioniert hat. Außerdem sind die IT-Migrationskosten so hoch, dass wir zunächst ein höheres Interesse daran hatten, größere Bestände zu übernehmen. Wir investieren aber signifikante Ressourcen, um diese Migrationskosten immer weiter zu senken, damit wir perspektivisch auch kleinere Bestände übernehmen können, und sie dann auch noch schneller und besser verarbeiten können. Das werden wir auch schaffen.
Wie groß waren die Bestände, die Sie bisher übernommen haben?
Der größte war Generali Leben, heute Proxalto mit aktuell 2,9 Millionen Verträgen. Vorher waren es die Heidelberger Leben mit 0,3 Millionen Verträgen, Skandia mit 0,2 Millionen Verträgen und die Entis mit 0,1 Millionen Verträgen.
Ihre letzte geplante Transaktion mit der Zurich Deutschland ist geplatzt, weil die BaFin an der Zuverlässigkeit Ihres Großaktionärs Cinven zweifelt. Seitdem soll das Aktionariat von Viridium neu geordnet werden. Inwieweit behindert Sie das in Ihrem Geschäft?
Wir fokussieren uns aktuell auf drei Themen: Wir nutzen die aktuelle Phase ohne laufende Akquisition bzw. Integration für Investitionen im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich, um die Plattform weiter zu verbessern. Dadurch bereiten wir uns auf die nächsten Zukäufe vor. Außerdem unterstützen wir die Eigentümer bei der Aufstellung einer neuen Aktionärsstruktur. Schließlich führen wir Gespräche zu weiteren Akquisitionen.
Sie als Viridium verwalten ja nicht nur die Verträge, sondern legen auch das Kapital an. Wo liegt da Ihre besondere Expertise?
Bei der Übernahme von Lebensversicherungsbeständen ist die Neuaufstellung der Kapitalanlage ein zentraler Bestandteil. Wir investieren nur in festverzinsliche Wertpapiere – zwei Drittel Staatsanleihen und ungefähr ein Drittel Alternatives. Zu Letzterem gehören Private Debt, Infrastruktur und Immobilien, aber keine Büros.
Sondern?
Zum Beispiel Datenzentren und Studentenwohnheime. Im Fokus steht für uns die Verbesserung des Risikoprofils. Dazu gehört insbesondere das Asset/Liability-Management, d.h., wir gleichen die Laufzeiten auf der Asset- und der Passivseite miteinander ab. Während viele Lebensversicherer viele offene Zinsrisiken haben, gehen wir solche Risiken nicht ein. Unsere Kapitalanlage ist möglichst insensitiv gegenüber Zinsschwankungen. Wir wollen eine stabile, gute Rendite erwirtschaften, egal, ob die Zinsen hoch oder niedrig sind. Das sieht man übrigens auch an unserer stabilen Solvenzquote.
Wie investieren Sie in Alternatives?
Die strategische Asset Allocation und das Asset/Liability Management machen wir intern. Das eigentliche Assetmanagement machen für uns andere. Wir haben etwa 40 entsprechende Mandate für die verschiedenen Assetklassen vergeben. Denn wir glauben nicht, dass wir die Expertise haben, die besten Einzelinvestments zu finden. Eine solche Weltklasse-Expertise dürften nur wenige Versicherer haben.
Was schreiben Sie diesen Assetmanagern vor?
Wir geben ihnen vor, welche Risikoparameter wir bereit sind zu akzeptieren. Wir investieren nicht in Fonds, sondern nehmen parallel zu Fonds direkt Anteile zum Beispiel an Private Debt auf unsere eigene Plattform. Die Kredite gehören uns selbst und entsprechen unseren eigenen Risikomanagementparametern. Von den 67 Mrd. Euro Kapitalanlagen entfallen etwa 20 Mrd. auf fondsgebundene Lebensversicherungen und etwa 45 Mrd. Euro auf traditionelle Lebensversicherungen.
Wie groß sind diese Einzelmandate?
Von 50 Mill. bis etwa 1 Mrd. Euro.
In Aktien investieren Sie nicht?
Für einen schrumpfenden Bestand sind Aktien zu volatil. Allerdings hat auch Solvency II die Lebensversicherung aus dem volatilen Teil der vielleicht sehr sinnvollen langfristigen Kapitalanlage rausgedrängt. Das liegt vor allem an der Mark-to-Market-Bewertung. Man kann lange darüber diskutieren, ob das richtig oder falsch ist.
Was ist Ihre Meinung?
Die Lebensversicherung sollte langfristig investieren, damit höhere Renditen erwirtschaften und dabei natürlich Schwankungen aushalten. Aber in der Solvency-II-Welt sind die entsprechenden Möglichkeiten beschränkt. Dadurch hat auch die traditionelle Lebensversicherung mit Garantien an Attraktivität verloren.
Was bedeutet die Zinswende für Ihr Geschäft?
Generell sind höhere Zinsen für Lebensversicherungen mit einer Garantie besser. Das gilt aber nur dann, wenn Sie als Versicherer viel Neugeschäft machen oder viel freie Liquidität haben, also das Geld auch wirklich zu den jetzt wieder höheren Zinsen anlegen können. Das gibt’s im Markt nicht so häufig.
Wie sieht’s bei Ihnen aus?
Die niedrigen Zinsen in den vergangenen Jahren waren ein starker Motivationstreiber, Bestände an uns zu verkaufen. Inzwischen ist das Thema IT der Hauptgrund für die Bestandsabgabe geworden. Daneben kann sie Managementkapazitäten und Kapital freisetzen. Und die Verkäufer können sich besser auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und im Neugeschäft wachsen. Insgesamt hat sich damit die Zinswende nicht negativ auf die Bereitschaft ausgewirkt, Bestände zu verkaufen.
Das Interview führte Thomas List.