SERIE FINANZPLÄTZE UND IHRE ZUKUNFT (24): IM GESPRÄCH MIT ROBERT SCHARFE UND NICOLAS MACKEL

"Wir sind wie eine spezialisierte Werkstatt"

Der CEO der Luxemburger Börse und der Chef der Finanzplatzinitiative sehen Potenzial bei der Finanzierung des Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft

"Wir sind wie eine spezialisierte Werkstatt"

Am Finanzplatz Luxemburg schreibt man die Zukunftsthemen Green und Sustainable Finance groß. Durch die Covid-19-Krise hat der Stellenwert von Nachhaltigkeit für die gesamte Wirtschaft noch zugenommen. Der Platz will beim Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft eine zentrale Rolle einnehmen.Von Kai Johannsen, LuxemburgIn Green und Sustainable Finance sieht der Finanzplatz des Großherzogtums Luxemburg seine Rolle für die Zukunft. “Financing a Sustainable Future – das ist die klare Zukunftsdevise für den Finanzmarkt und für die Börse. Dies ist auch ein erklärtes Ziel unserer Ambitions 2025, die das Land ausgegeben hat”, halten Robert Scharfe, CEO der Luxembourg Stock Exchange (LuxSE), zu der auch die grüne Börse gehört (Luxembourg Green Exchange), und Nicolas Mackel, CEO der Finanzplatzinitiative Luxembourg for Finance (LFF), im Gespräch mit der Börsen-Zeitung fest. “Die Rolle eines Finanzmarktes besteht bekanntlich darin, die Realwirtschaft zu finanzieren, und diese Wirtschaft wird eine nachhaltige sein”, ist sich Scharfe sicher. Die Covid-19-Krise, die an den Finanzmärkten kräftige Spuren hinterlässt, zeigt klare Auswirkungen auf den Trend zu mehr Sustainability.Es sei aber nicht nur die Covid-19-Krise, die das Thema Nachhaltigkeit nun sehr weit oben auf der Agenda platziert. Covid-19 habe die Thematik und den Stellenwert von Sustainability anschaulicher gemacht, das gelte auch für den Durchschnittsbürger. “Die Zukunft gehört der Nachhaltigkeit, und Sustainability ist praktisch überall in den Überlegungen der Wirtschaft und der Wirtschaftssubjekte angekommen. Das, was heute eben noch nicht nachhaltig ausgestaltet ist – und das ist am Finanzmarkt doch noch so einiges -, wird in den nächsten Jahren von diesen neuen Ausgestaltungsprozessen hin zu mehr Nachhaltigkeit geprägt sein”, so Mackel. Die Covid-19-Krise ist für die beiden Experten ein klarer Beschleuniger dieses Prozesses.”Es geht ja nicht darum, mal irgendein grünes Projekt zu identifizieren, es dann mit einem grünen Bond zu finanzieren und diesen Green Bond dann an einer grünen Börse listen zu lassen. Damit retten wir keinen Planeten und beseitigen auch nicht den Klimawandel oder alle Umweltprobleme”, sagt Scharfe.Institutionelle Anleger müssten künftig vielmehr zeigen, was sie in Sachen Nachhaltigkeit in ihren Portfolios alles unternehmen, und sich dann auch vom Markt benoten lassen, ob das gut und auch genug ist. Und das nehme dann letzten Endes der Endanleger vor, der zum einen zwar weiterhin eine Rendite wolle, aber eben auch entscheide, wie und wo sein Geld angelegt werden soll. Das eröffne für die Gesamtheit der Marktteilnehmer und damit auch für Finanzinstitutionen enorme Zukunftsperspektiven. “Und schlussendlich geht es ja auch um die Unternehmen, die die Gelder aus nachhaltigen Finanzmarktprodukten wie Green und Sustainable Bonds zur Verfügung gestellt bekommen. Sie müssen den Anlegern mit ihrer eigenen Nachhaltigkeitsausrichtung demonstrieren, dass sie es mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft ernst meinen”, so Mackel. Jeder Kapitalmarktteilnehmer müsse sich in den nächsten Jahren ein nachhaltiges Profil zulegen. Das betreffe bei Unternehmen sehr viele Bereiche wie Lieferketten, Produktionsprozesse, Arbeitsweisen etc. “Denn genau dazu werden der Konsument und der Investor, ob privat oder institutionell Fragen stellen”, so der LFF-Chef weiter. Längst keine Nische mehrNachhaltigkeit hat für Scharfe die Nische längst verlassen und ist im allgegenwärtigen Denken angekommen: “Da der Finanzmarkt gerade beim Thema Sustainability sehr eng mit der Realwirtschaft verzahnt ist, wird in der Realwirtschaft künftig all das keine Chance mehr haben, was eben nicht nachhaltig ist.” Interessant sei die Frage, wie positioniere sich die Realwirtschaft für die Nachhaltigkeitsentwicklungen und den Übergang. Für diesen Bereich der Transition Finance sieht Scharfe sehr großes Potenzial.Mit der Covid-19-Krise habe aber nicht nur das Thema Sustainability und Sustainable Finance an Bedeutung gewonnen, sondern auch das Thema Digitalisierung. “Das hat eine klare Beschleunigung erfahren”, so Mackel. Wie an anderen Finanzplätzen auch sei das “remote working” auch in Luxemburg sprunghaft nach oben gegangen und das sei insgesamt gut gemeistert worden. “Mit Blick auf die Belegschaft waren wir bei der Börse nach drei Tagen zu 98 % im Homeoffice. Das ist eine wichtige Erfahrung gewesen. Zu verdanken haben wir diesen Erfolg unzweifelhaft unserer Cloud-Initiative. Das hat die Prozesse vereinfacht”, sagt Scharfe.Nach der Krise ist für Scharfe und Mackel aber immer auch vor der Krise – wie auch immer diese dann heiße. “Wir müssen uns die Frage stellen, wie unsere Arbeitsmethoden in Zukunft aussehen werden”, so Mackel. “Die Kommunikation und Kontaktaufnahme zu Personen wird künftig anders aussehen als in der Vergangenheit, gleichgültig, ob wir nun in sechs oder erst in zwölf Monaten wieder ,normaler` arbeiten werden als heute”, ist sich Scharfe sicher. Man realisiere durch die Krise, dass die digitale Transformation schneller vonstattengehen müsse, als man bisher gedacht habe. Das betreffe aber nicht nur die Börse und andere Finanzinstitutionen, sondern auch die Aufsichtsbehörden, die stärker auf eine digitalisierte Welt umschalten müssten.In der Realwirtschaft sehe man in Teilen einen neu entstehenden Trend zur Regionalisierung. Einzelne Institutionen, Unternehmen, aber auch Länder wollten autonomer werden und ihre Abhängigkeit von Dritten reduzieren. “An den Kapitalmärkten sehen wir künftig aber weiterhin den gegenläufigen Trend, d. h. hin zu mehr Globalisierung”, sagt Scharfe. Seiner Meinung nach wird China in diesem Trend künftig eine wichtigere Rolle an den Kapitalmärkten spielen als heute. Dafür hat sich das Großherzogtum in den vergangenen Jahren positioniert. “China ist für unseren Platz eine Erfolgsstory”, so Mackel. Die führenden chinesischen Banken seien mit Niederlassungen in Luxemburg vertreten. “Und bei den Kapitalvolumina, die via Fonds in China investiert würden, ist unser Platz bereits jetzt weltweit führend”, führt er aus.Die Bedeutung Chinas für den Finanzplatz zeige sich auch bei den Listings von Bonds chinesischer Adressen an der Luxemburger Börse. Chinas Bondmarkt sei heute bereits der zweitgrößte Bondmarkt der Welt nach dem US-Staatsanleihemarkt. Investoren käme das schon allein unter Anlage-, und Diversifikationsaspekten zugute.Das 750 Mrd. Euro schwere Programm der EU zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in Europa biete für Europa natürlich auch die Chance für eine entsprechende Positionierung an den internationalen Anleihemärkten. Der Finanzplatz Luxemburg hat sich laut Mackel seit jeher darauf konzentriert, Brücken zwischen Investoren und Projekten zu schlagen. Und das werde durch die aktuelle Krise nun noch intensiviert. “Wenn wir es schaffen, aus der Kapitalmarktunion nun auch etwas Positives zu formen, dann kann die aktuelle Krise, aber auch der Brexit sogar einen positiven Effekt auf Europas Binnenmarkt haben. Europa ist immer durch Krisen gewachsen, die Chance dazu haben wir auch jetzt”, sagt der LFF-Chef. Wie sehr internationale Banken, Assetmanager oder Versicherer das Ökosystem am Finanzplatz Luxemburg schätzen, sei infolge des Brexit in den vergangenen Jahren deutlich geworden. So hätten etwa 70 Institutionen in diesem Zusammenhang Luxemburg als Standort für ihr EU-Geschäft gewählt. “Offensichtlich macht es ja Sinn, am Finanzplatz Luxemburg zu sein”, so Mackel.Ein klares Betätigungsfeld für Finanzplätze sieht Scharfe auch im Themenbereich Innovation und Technologie, zum Beispiel bei künstlicher Intelligenz und Daten. “Der Zusammenhang liegt auf der Hand, wird derzeit aber noch zu wenig genutzt. Der Bereich Daten wird in den nächsten Jahren stark wachsen”, so Scharfe. Man werde bei den anstehenden Entwicklungen einen enormen Datenbedarf haben. Dabei gehe es um die Auswertung und die Bereitstellung von Daten an Investoren. An diesem Punkt setze bereits die Luxemburger Universität mit einem Research-Institut an, an dem sich rund 200 Spezialisten mit innovativen Fragestellungen auseinandersetzen würden, um sich auf die Welt von morgen vorzubereiten.Aber nicht alle Bereiche, die man heute am Finanzplatz Luxemburg kennt, werden ihre Rolle künftig genauso ausführen wie heute. “Viele Jahre war Luxemburg das Back Office für Fonds & Co. Diese Rolle wird künftig kleiner werden. Wir werden uns höher auf der Wertschöpfungskette positionieren müssen”, sagt Mackel. Diese Prozesse in den Bereichen des Back Office würden zunehmen digitalisiert und nicht mehr händisch ausgeführt. Außerdem hätten sich hier auch in den vergangenen Jahren andere Plätze unter Kostengesichtspunkten entsprechend positioniert.Sorge bereitet dem Finanzplatz die Frage, wie sich der “Access to Talent” künftig gestalte. “Die Beschaffung von Talenten für die Finanzindustrie ist sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht größer geworden. Es ist wirklich eine Herausforderung geworden, in ausreichender Anzahl hochqualifizierte Leute zu finden”, so Mackel. Der Zugang zu gut ausgebildeten kompetenten Personen sei denn auch eine Initiative, die im Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Regierung niedergeschrieben sei.Scharfe will auch die bestehende Belegschaft in dieser Hinsicht mitnehmen: “Wir müssen unseren Mitarbeitern die Möglichkeit geben, ihre Kompetenzen zu erweitern, und wir müssen zum Umdenken auf die digitale Welt motivieren und ihnen zeigen, welches Potenzial diese neue Digitalwelt für sie beinhaltet. Dabei handelt es sich um eine Einstellungssache. Arbeitgeber müssen diesen mentalen Prozess mitgestalten und vielen Arbeitnehmern auch Ängste und Sorgen abnehmen.” Denn es gebe künftig kaum noch Jobs, die wenig Qualifikationen erforderten. Komplementäre RolleDer Luxemburger Finanzplatz will sich gegenüber anderen europäischen Finanzplätzen nicht abgrenzen, sondern sieht sich zu Frankfurt, Paris und anderen Zentren in einer komplementären Funktion. Andere europäische Plätze seien oft sehr auf den Heimatmarkt fokussiert, was angesichts der jeweiligen Größe der Wirtschaft gerechtfertigt sei. “Unsere Multi-Jurisdiktionen-Expertise ist aber der entscheidende Aspekt, mit dem wir bei Akteuren anderer Plätze punkten können”, so Mackel. Man halte in Luxemburg keine bessere, sondern eine andere Expertise vor. Diese helfe anderen zu wachsen.”Wir sind wie eine spezialisierte Werkstatt, in der man seine erforderlichen Arbeiten verrichten kann, und zwar so, wie es woanders eben nicht möglich ist. Viele Assetmanager, aber auch Fintechs, Versicherer etc. haben das erkannt. Die Verlagerungen nach Luxemburg sind ja ein Beweis dafür”, sagt er. Ein klarer Vorteil sei dabei auch die Mehrsprachigkeit am Luxemburger Platz. “Wir sehen uns bei der Börse permanent den Bedarf der Märkte und ihrer Akteure an und loten aus, wie wir für sie einen Mehrwert liefern können. Entscheidungsfreiheit und Entscheidungsfreude kombiniert mit Know-how sind die Aspekte, die wir brauchen, um erfolgreich neue Wege gehen zu können”, ergänzt Scharfe. Zuletzt erschienen: Herausfordererbörsen attackieren Nyse und Nasdaq (24. September) Corona versöhnt die Schweizer mit ihren (Groß-)Banken (19. September)