IM INTERVIEW: HARALD VOGELSANG

"Wir stehen erst am Anfang einer Revolution"

Der Vorstandsvorsitzende des Finanzplatzes Hamburg e.V. über die Bedeutung der Fintechs, den Verkauf der HSH Nordbank und die Beziehung zu Großbritannien

"Wir stehen erst am Anfang einer Revolution"

Nach Frankfurt und München wird seit September auch der Finanzplatz Hamburg im Finanzplatzindex der Londoner Denkfabrik Z/Yen geführt. Der Index vergleicht die Wettbewerbsfähigkeit von Finanzplätzen weltweit. Die Aufnahme zusammen mit Wellington, Buenos Aires und Chengdu ist auch ein Erfolg für den Finanzplatz Hamburg e.V., der vor zehn Jahren entstand.- Herr Dr. Vogelsang, der Finanzplatz Hamburg e.V. ist 2007 gegründet worden. Was war der Anlass?Die Finanzplatzinitiative wurde 2007 aus der Taufe gehoben, um die Finanzwirtschaft am Standort Hamburg zu stärken, um dafür zu sorgen, dass die Institute, die den Finanzplatz ausmachen, gerne an diesem Standort sind und dass sie hier bleiben. Und der Finanzplatz Hamburg e.V. wurde gegründet, um dafür einzutreten, Unternehmen für den Standort zu gewinnen und den Aderlass aus den vorangegangenen Jahrzehnten zu kompensieren.- Wie stark war dieser Aderlass?Die Zentralen von Versicherungen wanderten im Zuge von Fusionen an andere Standorte ab. Als Hauptstandort eigenständiger Versicherer hat Hamburg heute nicht mehr den Stellenwert wie früher einmal. Es galt auch, einem bundesweiten Abwärtstrend im Privatbankensektor zu begegnen, der mit der Herstatt-Pleite 1974 einsetzte. Es gingen danach noch einige Institute in Deutschland unter. Diesen Trend galt es auch in Hamburg aufzuhalten, wo 2005 die Vereins- und Westbank durch Verschmelzung auf die HypoVereinsbank von der Bildfläche verschwand. Die Vereins- und Westbank hatte eine lange norddeutsche Tradition. Die Geschichte des Vorgängerinstituts Vereinsbank in Hamburg etwa reicht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück.- Im Jahr 2007 brach auch die weltweite Finanzmarktkrise aus. War diese Krise ein Anlass, um die Finanzplatzinitiative zu starten?Nein. Als der Finanzplatz Hamburg e.V. gegründet wurde, war die Finanzmarktkrise noch nicht erkennbar. Dem Gründungstermin gingen ja auch Vorbereitungen voraus. Da war von Krise noch keine Rede.- Dass Schiffsfinanzierungen Kreditinstitute in Not bringen würden und der maritime Finanzplatz Hamburg Schaden nehmen könnte, war auch nicht erkennbar?Nein. Wir standen damals vor der Frage, ob wir tatenlos zusehen wollten, wie Frankfurt als Bankenstandort und München als Versicherungsstandort immer erfolgreicher werden. Oder ob wir in Hamburg trotz des Hangs zum hanseatischen Understatement nicht doch stärker für den Finanzplatz in der zweitgrößten Stadt Deutschlands und seine Stärken und Vorzüge werben sollten.- Welche Stärken meinen Sie?Da sind zunächst einmal gute Beispiele aus der Vergangenheit zu nennen. Hamburg hat nun mal mit der Feuerkasse die älteste Versicherung Deutschlands. In Hamburg hat mit Berenberg die älteste Privatbank Deutschlands ihren Sitz. Hamburg hat die älteste Börse und – das Vorläuferinstitut eingerechnet – auch die älteste Sparkasse des Landes.- Die Tradition einzelner Institutionen bietet keine Gewähr dafür, dass es mit dem Finanzplatz in Zukunft aufwärts geht.Das stimmt. Alter allein ist kein Verdienst. Aber am Beispiel der Börse Hamburg kann man sagen, dass sie nicht nur die älteste, sondern heute auch eine hochinnovative ist. Sie arbeitet mit der Börse Hannover und seit diesem Jahr auch mit der Börse Düsseldorf unter einem gemeinsamen Dach zusammen. Damit hat sie gute Chancen auf die zweitstärkste Position nach Frankfurt. Das ist ein richtiges Asset. Auch Berenberg hat gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine erhebliche Veränderung des Geschäftsmodells vollzogen und ist international viel sichtbarer geworden.- Was noch?Als Standort der Versicherungsmakler ist Hamburg bundesweit spitze. Hamburg ist zudem der Standort von zwei der drei größten gesetzlichen Krankenversicherer, DAK und TK. Dazu kommt die HanseMerkur als großer, erfolgreicher Versicherer, der hier seine Zentrale hat und auch nicht abwandern wird. Der Finanzplatz Hamburg hat noch viel mehr zu bieten. Dafür müssen wir weiterhin stärker werben.- Hamburg gilt als Wiege der Commerzbank. In Hamburg (und Kiel) hat die HSH Nordbank ihren Sitz, die mal der weltweit größte Schiffsfinanzierer war, nach einer schweren Krise nun aber zum Verkauf steht und möglicherweise bald einem oder mehreren amerikanischen Finanzinvestoren gehören wird. Künftig ist die Hamburger Sparkasse das größte heimische Kreditinstitut am Platz. Verliert der Finanzplatz nicht gerade weiter an Bedeutung?An der Größe einzelner Banken darf man die Bedeutung des Finanzplatzes nicht festmachen. Landesbanken sind auch andernorts nicht mehr präsent. In Nordrhein-Westfalen, einem Bundesland, das viel größer ist als Hamburg, gibt es seit 2012 auch keine Landesbank mehr. Was die Hamburger Sparkasse betrifft: Die ist immerhin so groß, dass sie von der EZB beaufsichtigt wird. Und auch noch ein Wort zu den Großbanken: Die Zeiten, in denen es in Deutschland mit der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und der Commerzbank die großen drei gab, sind auch schon lange vorbei. Wenn man also die Veränderungen im Bankensektor analysiert, sollte man nicht nur Hamburg, sondern das ganze Land im Blick haben.- Wie beurteilen Sie den Erfolg Ihrer Finanzplatzinitiative?Erfolge gibt es, sie sind aber auch noch steigerungsfähig. Und daran arbeiten wir hart. Was wir uns zum Beispiel vorgenommen haben, ist die Verankerung bei jungen Menschen. Wir gründen eine Art Juniorsparte als Unterorganisation des Finanzplatzes. Damit wollen wir attraktiver werden bei jungen Menschen, die sich in der Finanzwelt engagieren wollen. Was uns in den vergangenen Jahren aber vor allem gelungen ist – und darüber freuen wir uns sehr -, ist, dass wir Hamburg sichtbarer gemacht haben.- Woran machen Sie das fest?Das machen wir daran fest, dass wir Zulauf haben, dass wir Initiativbewerbungen haben für den Finanzplatz Hamburg. Die Mitgliederzahl ist seit 2007 von 36 auf heute 120 gewachsen. Dabei handelt es sich um hoch qualifizierte und engagierte Mitglieder. Wir füllen nicht nur Namenslisten. Es wird viel organisiert an Veranstaltungen, an Erfahrungsaustausch. Und wir haben in den beiden vergangenen Jahren sehr intensiv am Aufbau des Fintech-Standortes Hamburg gearbeitet – mit bislang schon sehr guten Ergebnissen.- Wird der Verein noch so benötigt wie vor zehn Jahren?Mehr denn je. Es war in gewisser Weise ein Glücksfall, dass der Verein gegründet war, als die Finanzmarktkrise ihren Anfang nahm. Wir konnten uns dafür einsetzen, eine Kreditklemme zu verhindern. In Hamburg hat es 2007 und in den Folgejahren zu keinem Zeitpunkt eine Kreditklemme gegeben. Wir haben heute in Hamburg eine hervorragende Quote von Unternehmen, die sagen, dass sie keine Finanzierungsschwierigkeiten haben.- Was hat der Finanzplatz Hamburg e.V. jetzt vor?Wir wollen noch stärker für den Finanzplatz werben. Hamburg ist als Stadt lebenswert, Hamburg ist offen für Innovationen und hat kurze Wege. Der Finanzplatz bietet aus meiner Sicht eine einzigartige Symbiose aus etablierten Institutionen. Dazu gehören die klassischen Kreditinstitute und Versicherungen, aber auch Spezialisten und viele Dienstleister. Alle großen Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind in Hamburg vertreten. In den vergangenen Jahren ist zudem eine starke Fintech-Szene entstanden. Das Wachstum in diesem Sektor ist nicht weniger dynamisch als etwa in Berlin. Und es gibt nicht wenige, die sagen, die Fintech-Szene in Hamburg liege schon vor Frankfurt, obwohl Frankfurt der größte deutsche Finanzplatz ist.- Welche Anreize oder Förderungen gibt es?Wir bewerfen die Fintech-Unternehmen nicht mit Geld. Wir unterstützen sie, indem wir Kontakte herstellen, gemeinsame Veranstaltungen und branchenübergreifende Treffen organisieren, indem wir versuchen, etablierte und neue Unternehmen zusammenzubringen. Wir wollen ja auch den etablierten Unternehmen zeigen, was die neue Welt kann und dass es sich lohnt, mit ihr zu kooperieren. Wir wollen den neuen Unternehmen signalisieren, dass sie bei uns offene Türen vorfinden, dass sie mit uns kooperieren können, um zu wachsen. Wir wollen ihnen zu verstehen geben, dass der Finanzplatz Hamburg sie braucht für die Runderneuerung unserer Industrie.- Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass sich langfristig nicht doch Frankfurt und Berlin als attraktivere Plätze für Fintechs erweisen werden, weil dort die Nähe zu Regulierern und Risikokapitalgebern gegeben ist?Wir dürfen nicht nachlassen, uns um neue Unternehmen zu bemühen. Hamburg hat eine außerordentlich hohe Standortqualität, wir sind auch international ein attraktiver Standort. Ich habe keine Bedenken, dass sich Gründer auch in Zukunft für Hamburg entscheiden werden, auch wenn das Geld aus New York, London oder aus Berlin kommt. Es muss auch Mitarbeiter geben, die gern in ihrer Stadt leben.- Wie viele Fintechs hat Hamburg aktuell?Derzeit sind es 41.- Wie schärfen Sie das Profil als Fintech-Standort?Wir haben einen eigenen Internetauftritt für die Fintech-Industrie etabliert. Wir geben einen eigenen Newsletter, Fintech Hamburg Month-ly, heraus, um den etablierten Instituten zu zeigen, welche Möglichkeiten es zur Vernetzung gibt. Wir versuchen, auch außerhalb Deutschlands für den Finanzplatz stärker zu werben.- Inwiefern?Der Finanzplatz Hamburg hat sich vor wenigen Wochen erstmals außerhalb der Hansestadt präsentiert, aber nicht in Berlin oder Frankfurt, sondern in London.- Warum gerade dort? Das hat mit der Brexit-Entscheidung zu tun, oder?Nein. Wir wollen nicht zu denen gehören, die versuchen, den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union auszunutzen und dem Finanzplatz London Wasser abzugraben. Wir sind nach London gefahren “to make friends”. Zwischen Hamburg und London besteht eine mehrere Jahrhunderte alte Partnerschaft, die auf die Zeit der Hanse zurückgeht. Diese Achse ist immer intakt geblieben, zwischen den Akteuren an beiden Plätzen gab es immer ein hohes Maß an Affinität und Sympathie. Darauf wollen wir aufbauen. Wir wollen London nichts wegnehmen, sondern für Hamburg werben. Nach dem Motto: Wenn Ihr den Kontakt auf dem Kontinent sucht, dann kommt gerne nach Hamburg, denn hier habt Ihr Freunde.- Gewinnt man so an Bedeutung?Ich bin überzeugt davon, dass sich ein solches Verhalten langfristig auszahlt.- Wird Hamburg denn von den Folgen des Brexit profitieren?Das lässt sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Es könnte aber so sein, weil doch viele Unternehmen in Großbritannien und insbesondere in London gezwungen sind, sich neue Standbeine zu suchen. Einige tun es ja schon wie Goldman Sachs.- Die haben aber doch eher Frankfurt oder andere Standorte als Hamburg im Blick.Ja, die großen. Aber es wird kleine und mittelgroße Unternehmen geben, die darüber nachdenken, ob es in Deutschland immer Frankfurt sein muss oder ob es nicht Standorte gibt, zu denen eine emotionale Nähe besteht und an denen sie mit offenen Armen aufgenommen werden. Und da rechnen wir uns für Hamburg sehr gute Chancen aus. Für Finanzinstitute, für Unternehmen mit Bezug zur maritimen Wirtschaft und zur Flugzeugindustrie – Hamburg ist nach Seattle und Toulouse weltweit der drittgrößte Aviation-Standort – hat Hamburg viel zu bieten.- Die europäische Bankaufsichtsbehörde EBA wechselt mit dem Brexit von London nach Paris. Gab es nie die Idee in Hamburg, sich für den Sitz einer europäischen Behörde zu bewerben?Für die EBA gab es die Idee nicht, und zwar deshalb nicht, weil es logisch war, dass Deutschland mit Frankfurt als Kandidat antritt. Denn dort sitzt schon die EZB. Eine auch räumliche Nähe zwischen EZB und EBA hätte dazu führen können, dass mehr gemeinsame Konzepte entwickelt werden. Heute passt das, was beide Institutionen machen, nicht immer zusammen. Das führt zu Friktionen für alle beaufsichtigten Unternehmen, auch für meine Sparkasse, die Haspa. Frankfurt wäre der ideale Standort für die EBA gewesen.- Warum ist Frankfurt nicht zum Zuge gekommen?Aus meiner Sicht hat es nicht geklappt, weil Deutschland zu dem Zeitpunkt der Entscheidung gerade keine Regierung hatte. Das haben andere Länder ausgenutzt.- Der Finanzplatz Hamburg ist im September erstmals in den Global Financial Centres Index der Londoner Denkfabrik Z/Yen Group aufgenommen worden. Hamburg ist nach Frankfurt und München der dritte deutsche Finanzplatz in dem Index. Welchen Stellenwert messen Sie dem bei?Wir messen dem einen hohen Stellenwert bei und sind auch sehr dankbar, dass eines unserer Mitglieder uns schon sehr früh animierte, den Versuch zu unternehmen, in diesen Index aufgenommen zu werden. Als wir uns damit näher beschäftigten, haben wir erkannt, welche positiven Auswirkungen eine Zugehörigkeit in diesem Index haben kann.- Nämlich?Wir fallen damit im Ausland auf. Wenn sich jemand überlegt, wo er in Deutschland tätig werden und mit wem er in Kontakt treten will, dann ist dieser Index für diejenigen, die Deutschland nicht so gut kennen, ein wichtiger Indikator.- Was braucht man als Finanzplatz, um in diesen Index aufgenommen zu werden?Man braucht für das Listing in einer Online-Befragung von Finanzprofis, die nicht an dem jeweiligen Standort ansässig sind, mindestens 200 Stimmen. Diese Anforderung haben wir erfüllt. Es ist nicht so, dass man eine Summe X zahlen muss, um in den Index aufgenommen zu werden oder um ihm anzugehören. Man benötigt eine gewisse Reputation bei Dritten. Das ist gut so. Wir haben uns vorgenommen, in dem Index weiter aufzusteigen, damit wir international noch mehr auffallen.- Stehen deshalb auch Fintechs im Zentrum der Anstrengungen des Finanzplatzes Hamburg?Wir konzentrieren uns derzeit stark auf Fintechs, weil wir uns als guter Standort für diese neue Industrie profilieren wollen. Doch klar ist auch, dass die Fintechs nur ein kleiner Teil dessen sind, was den Finanzplatz Hamburg ausmacht. Wir wollen, dass sich das Zusammenspiel, dass sich das ganze Biotop aus etablierten Anbietern und Fintechs möglichst optimal entwickelt.- Und wenn größere Fintechs wie Kreditech oder Deposit Solutions aufgekauft werden oder abwandern?Dann kommen andere. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Fintech-Welle abebbt. Im Gegenteil. Wir stehen erst am Anfang einer Revolution in der Finanzbranche, die durch die Möglichkeiten der digitalen Welt ausgelöst wird. Das ist hochspannend und motiviert uns am Finanzplatz Hamburg. Es entstehen tolle neue Möglichkeiten. Wenn man sich darauf einlässt, dann ist das richtig inspirierend.- Um die Zukunft des Finanzplatzes Hamburg muss man sich also keine Sorgen machen?Nein, keine. Wir dürfen uns nicht auf einer jahrhundertelangen Geschichte ausruhen. Wir müssen quicklebendig, innovativ und flexibel sein. Das war Hamburg aber immer. Wenn wir das weiter beherzigen, dann ist mir um die Zukunft des Finanzplatzes Hamburg nicht bange.—-Das Interview führte Carsten Steevens.