„Wir wollen in der Ukraine bleiben“
Von Jan Schrader, Frankfurt
Auch im Krieg, so berichtet Bankmanager Christian Dagrosa, bleibt ein Hauch an Normalität: Die Procredit Bank in der Ukraine mit Sitz in Kiew erhält das rudimentäre Bankgeschäft aufrecht, überweist Zahlungen und befüllt Geldautomaten. Für Bargeldauszahlungen gilt eine Obergrenze, der Handel mit Fremdwährung wurde ausgesetzt, die Zentralbank des Landes unterstützt Banken aber mit Liquidität. Das Kreditgeschäft aber läuft kaum noch weiter, denn Neuzusagen zur Finanzierung von Investitionen sind im Krieg kaum denkbar, je nach Lage können Unternehmen aber für den laufenden Betrieb ihre Kreditlinien noch nutzen. Auf bestehende Darlehen verhängte die Bank ein Zahlungsmoratorium. „Wir wollen den Bankbetrieb von E-Banking und Geldausgabeautomaten so normal wie möglich gestalten und sind dabei in engem Austausch mit der ukrainischen Zentralbank“ , sagt Dagrosa, der im obersten Management der deutschen Bankengruppe für Controlling, Berichtswesen und Investor Relations verantwortlich ist.
Natürlich ist nichts mehr normal, seitdem das autoritär regierte Russland das Nachbarland überfiel. Der Hauptstadt Kiew, wo die ukrainische Tochter ihren Sitz hat, steht dabei das Schlimmste vermutlich noch bevor. Das Management der übergeordneten Procredit Holding, die in einem ehemaligen Postgebäude im beschaulichen Bockenheim in Frankfurt residiert, telefoniert laut Dagrosa mehrmals täglich mit den Bankverantwortlichen in der Ukraine. Dabei werde auch über persönliche Schicksale gesprochen, sagt er. Die Sicherheit der 400 Beschäftigten der ukrainischen Banktochter und der gruppeneigenen IT-Firma Quipu habe oberste Priorität. Wenn Mitarbeitende der Bank das Land verließen, stießen sie in der Bankengruppe auf Unterstützung. Die Gruppe stelle auch Unterkünfte in ihren Bankenakademien in Mazedonien und im deutschen Odenwald oder in einem Trainingszentrum in Serbien bereit.
755 Mill. Euro ist das ausstehende Kreditvolumen in der Ukraine laut jüngsten Angaben per Ende September schwer. Insgesamt hat die Gruppe 5,8 Mrd. Euro ausgereicht, von Bosnien-Herzegowina und Serbien über Rumänien und Bulgarien bis in die Ukraine und Georgien, neben anderen Ländern der Region. Eine Banktochter existiert sogar im lateinamerikanischen Ecuador. In Russland ist die Gruppe nicht präsent.
Auch wenn die Kriegsfolgen noch nicht absehbar seien, wolle die Gruppe das Land nicht aufgeben. „Wir wollen in der Ukraine bleiben“, sagt Dagrosa, schränkt aber ein: „Solange es einen freien ukrainischen Staat gibt.“ Der deutsch-italienische Manager hofft auf eine Waffenruhe. Die Bank, die Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergibt, finanziert in der Ukraine vor allem landwirtschaftliche Betriebe, also einen Wirtschaftszweig jenseits der umkämpften Städte, der auch in Kriegszeiten fortbesteht, wie Dagrosa hervorhebt. Der Export fällt für die Agrarwirtschaft allerdings weitgehend aus.
Kriegsende schwer absehbar
Die Ungewissheit ist für die Bank ein Problem. „Es ist schwer abzusehen, wann der Krieg ein Ende hat.“ Die seit 2016 an der Frankfurter Börse notierte Gruppe steht unter Druck, denn der Börsenkurs brach seit Jahresbeginn um mehr als ein Drittel ein und damit ähnlich stark wie bei der größeren österreichischen Rivalin RBI. Das Eigenkapital der Procredit Holding liegt mit zuletzt 856 Mill. Euro nur geringfügig über dem Kreditbestand in der Ukraine. Eine Kapitalerhöhung plant die Gruppe nach eigener Auskunft aktuell allerdings nicht. Der Worst Case für das Bankgeschäft ist aus Sicht Dagrosas, dass Russland das Institut an sich reißt. Selbst in diesem Fall komme die Bankengruppe aber nicht ins Wanken. „Wir sehen zurzeit keine existenzielle Bedrohung für die Bankengruppe.“
Wenn der Krieg eines Tages endet, könnte die Procredit aber auch von Präsenz in der Ukraine profitieren, wie der Manager andeutet: Als einziges deutsches Kreditinstitut sei die Gruppe mit einem vollumfänglichen Bankgeschäft in dem Land präsent, auch wenn einzelne andere Institute ebenfalls ein Exposure auswiesen. Ein Wiederaufbau nach einem Krieg wäre für die Gruppe, zu deren Eignern auch die Förderbank KfW sowie die Weltbank-Tochter IPC zählen, keine neue Erfahrung. Ihre Ursprünge verortet die Gruppe im Jahr 1997, als eine Mikrofinanzbank im kriegszerstörten Bosnien-Herzegowina das Geschäft aufnahm.