Wirecard-Prozess: Richter bringt angeklagten Ex-Chefbuchhalter in Erklärungsnot
„Das ist falsch, was Sie sagen“
Im Wirecard-Betrugsprozess bringt das Gericht den Ex-Chefbuchhalter in Erklärungsnot
sck München
Am vierten Tag seiner Einlassung vor Gericht ist im Wirecard-Betrugsprozess der dritte Angeklagte in Erklärungsnot geraten. Ex-Konzernchefbuchhalter Stephan von Erffa verstrickte sich in Widersprüche. Der Vorsitzender Richter Markus Födisch bezichtigte ihn der Falschaussage und der Urkundenfälschung.
Im Mammutprozess um den Betrugsskandal bei Wirecard vor dem Landgericht München I (AZ 5 HK O 17452/21) hat der Vorsitzende Richter Markus Födisch den dritten Angeklagten in Erklärungsnot gebracht. Der frühere Konzernchefbuchhalter Stephan von Erffa verzettelte sich in widersprüchliche Angaben zu seinem Verhalten bei vorläufigen Quartalsmitteilungen und bei Anweisungen zur Auszahlung von Millionenbeträgen an dubiose asiatische Firmen im sogenannten Drittpartnergeschäft (TPA), welches sich als Luftschloss erwies und im Frühsommer 2020 schließlich zum Untergang des Zahlungsdienstleisters führte.
Scharfe Rüge
„Das ist falsch, was Sie sagen“, sagte Födisch nach Ausführungen des Angeklagten zu regelmäßigen Ad-hoc-Mitteilungen des Unternehmens über vorläufige Ouartalsumsätze und -ergebnisse. „Sie versuchen, Ihre Aussagen in eine andere Richtung zu drehen." Anlass für die scharfe Rüge des Gerichts war Erffas Behauptung in seiner Stellungnahme zu den Tatvorwürfen, dass zur Bekanntgabe vorläufiger Quartalsfinanzeckdaten die Zahlen zum TPA-Bereich ihm selbst vorgelegen hätten. „Das Nicht-Vorliegen der endgültigen Zahlen sagt nicht aus, dass keine Zahlen von TPA vorlagen“, sagte Erffa am vierten Tag seiner Erklärung vor der zuständigen 4. Wirtschaftsstrafkammer.
Einen Prozesstag zuvor konfrontierte der Richter den Ex-Konzernmanager mit der Feststellung, dass Wirecard damals in den überwiegenden Fällen regelmäßig vorläufige Finanzeckzahlen ad hoc bekannt gab, obwohl dem Unternehmen, also Erffa, bis dahin noch gar nicht die Daten zum TPA-Geschäft vorlagen. Diese Angaben habe der fürs TPA-Geschäft seinerzeit zuständige Ex-Konzernstatthalter in Dubai, Oliver Bellenhaus, erst Tage danach und zumeist verspätet an ihn, Erffa, „geliefert“, so Födisch.
Geständnis verweigert
Bellenhaus ist der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Dieser gestand die Straftaten gleich zu Prozessbeginn im Dezember 2022. Die Strafermittler werfen den drei Angeklagten, darunter Ex-Vorstandschef Markus Braun, gewerbsmäßigen Bandenbetrug in Tateinheit mit Untreue, Bilanzfälschungen und Marktmanipulationen vor. Braun und Erffa bestreiten dies. Erffa will von einer Bande nichts gewusst haben.
Auf die Frage des Richter, ob er für sich selbst einen vollständigen Freispruch anstrebe, druckste der Angeklagte herum. Er antwortete, damals von der Existenz des TPA-Bereichs ausgegangen zu sein. „Ich wusste zu keinem Zeitpunkt von Fälschungen", so Erffa.
Im März gab Födisch eine erste juristische Indikation für Erffas Anwälte ab. Demnach erhielte ihr Mandant voraussichtlich sechs bis acht Jahre Freiheitsstrafe, sollte dieser alsbald ein Geständnis ablegen. Das deutet darauf hin, dass die Beweislage gegen Erffa erdrückend sein muss. Dieses „Angebot“ des Gerichts schlug dieser aber aus. Stattdessen verteidigte er sein Verhalten im Prozess. Seine einzige Reue besteht darin, nach eigenen Angaben nicht hartnäckig genug den Vorstand mit den Ungereimtheiten im TPA-Bereich konfrontiert zu haben.
Erffa beschwerte sich nach eigener Aussage darüber, dass Bellenhaus immer verspätet und nur auf Nachdruck die Zahlen zu den Aktivitäten in Asien geliefert habe. Das TPA-Geschäft stand bei Wirecard für ein Drittel der Konzernerlöse und trug den Hauptteil zum Gewinn bei.
Fälschungen bei Zahlungsanweisungen
In seiner weiteren Befragung konfrontierte der Richter Erffa mit Falschbehauptungen in Bezug auf dessen Auszahlungsanweisungen an die Wirecard-Bank. Der Beweislage zufolge fälschte Erffa mit seiner Unterschrift eine Anweisung an den damaligen Bankvorstand Rainer Wexeler. Dabei ging es um einen Betrag von mehreren Millionen Euro auf das Konto einer ominösen Firma namens Ocap in Singapur. Aber Wexeler weigerte sich zunächst, den Auftrag von Braun und auf Bitten von Finanzvorstand Alexander von Knoop auszuführen. Erst auf Nachdruck und Drohung des CEO tat dieser das dann doch.
Jan Marsalek mit im Spiel
Seinerzeit habe dann Vertriebsvorstand Jan Marsalek ihn, Erffa, angewiesen, die Ocap-Summe nachzubuchen, führte der Angeklagte aus.
Kurz nachdem der umfangreiche Betrug bei Wirecard aufgeflogen war, ergriff Marsalek im Juni 2020 die Flucht, um sich den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Der einst enge Vertraute von Braun und mutmaßliche Agent hält sich Medienberichten zufolge in Russland versteckt.
Vor kurzem klagte die Staatsanwaltschaft München auch von Knoop an.