Ex-Chefbuchhalter sagt vor Gericht aus

Wirecard-Prozess: Verbuchung von Millionen auf Grundlage von E-Mails

Der im Wirecard-Strafprozess mitangeklagte Ex-Konzernchefbuchhalter Stephan vor Erffa geriet während seiner Aussagen in Erklärungsnot. Er gab zu, einen zweistelligen Millionenbetrag ohne Belege verbucht zu haben.

Wirecard-Prozess: Verbuchung von Millionen auf Grundlage von E-Mails

Millionen ohne Belege verbucht

Im Wirecard-Prozess räumt der angeklagte Ex-Chefbuchhalter schwerwiegende Mängel ein

sck München

Am zweiten Tag seiner Einlassung vor dem Landgericht München ist der dritte Angeklagte im Wirecard-Betrugsprozess in Erklärungsnot geraten. Der frühere Konzernchefbuchhalter Stephan von Erffa räumte auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Markus Födisch ein, selbst zweistellige Millionenbeträge ohne Belege verbucht zu haben. Im konkreten Fall ging es um 35 Mill. Euro im Zusammenhang mit dem Dienstleister Citadelle aus Singapur.

Erffa zufolge ist die Verbuchung dieses Betrags auf Grundlage von E-Mails und Saldenbestätigungen erfolgt. „Ihre ganze Buchhaltung bezieht sich auf E-Mails und Saldenbestätigungen?“, fragte Födisch kritisch. „Haben Sie sich denn die Konten nicht angeschaut, haben Sie nicht nachgefragt?" Erffa gestand ein, dem nicht nachgegangen zu sein. „Wenn da etwas nicht stimmt, fehlt ein großer Teil der Liquidität“, entgegnete der Richter. „Buchungsbelege hat man sich nicht angeschaut!“, stellte er fest.

Die Citadelle-Affäre

Zur Erinnerung: Ein britischer Geschäftspartner des flüchtigen Ex-Vertriebsvorstands von Wirecard, Jan Marsalek, soll in den Jahren 2016 und 2017 die Firma Citadelle angestiftet haben, Saldenbestätigungen zu fälschen. Mit diesen Dokumenten soll Wirecard ihr Vermögen auf angeblichen Treuhandkonten in Südostasien für das sogenannte Drittpartnergeschäft (TPA) vorgetäuscht haben. Bei den ehemaligen Vertrauten von Marsalek handelt es sich um James Herny OSullivan, der als Hintermann von Wirecard in Asien aktiv gewesen sein soll. Im asiatischen Stadtstaat muss sich dieser neben dem Ex-CEO von Citadelle, Shan Rajaratnam, vor Gericht verantworten. Die dortigen Strafverfolger werfen beiden Urkundenfälschung vor.

Im Juni 2020 brach Wirecard unter der Last von über 3 Mrd. Euro Finanzschulden zusammen, nachdem sich Treuhandkonten des Konzerns in Asien von angeblichen 1,9 Mrd. Euro als Luftbuchung erwiesen hatten. Auch das TPA-Geschäft stellte sich als Fälschung heraus, wie der Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé mehrmals in Gutachten bestätigte.

„EY war vor Ort“

Zu seiner Verteidigung gab Erffa an, dass die Wirtschaftsprüfer von EY die Konten „vor Ort“, also in Singapur, angeschaut hätten. „Die haben die Expertise der TPA-Händler geprüft. Diese Möglichkeiten hatten wir nicht“, so der Angeklagte. Beim Letzteren meine er die damalige Konzernbuchhaltung, in der nach seinen Aussagen ihm rund 60 Mitarbeiter unterstellt waren. Erffa berichtete mehrmals darüber, dass er mit Arbeit zugedeckt gewesen sei. Vor allem die Zeit während der jährlichen Abschlussprüfungen von EY habe er, so Erffa, „nur funktioniert und reagiert“. Wie am Vortag zeichnete er über sich das Bild eines angespannten, überlasteten Managers.

Die wegen des Wirecard-Skandals unter Druck stehende EY-Gruppe hatte jahrelang die Bilanzen des einstigen Zahlungsabwicklers mit Sitz in Aschheim bei München geprüft. Nach einer Sonderprüfung durch KPMG, die umfassende Mängel und Fragwürdiges in den Bilanzen aufdeckte, verweigerte EY im Frühsommer 2020 das Testat für 2019. Wirecard ging daraufhin pleite.

Geständnis verworfen

Erffa streitet die Tatvorwürfe der Staatsanwaltschaft München ab. Ein zuvor vom Gericht vorgeschlagenes Geständnis schlug er damit aus, obwohl die Beweislage der Strafverfolger gegen ihn wohl erdrückend sein muss.

Im März kündigte Födisch an, dass Erffa bei einem Geständnis mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs bis acht Jahren rechnen müsse. Seinerzeit sagte der Richter, mit einem Einlenken könne Erffa noch etwas gewinnen.

Diese Chance hat dieser nunmehr verstreichen lassen. Dadurch könnte das Strafmaß bei einer Verurteilung noch höher ausfallen. Wie der Hauptangeklagte, Ex-CEO Markus Braun, will er von den kriminellen Machenschaften nichts gewusst haben. Der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, der frühere Konzernstatthalter in Dubai, Oliver Bellenhaus, belastete zuvor beide schwer. Erffa soll nach dessen Angaben mitgeholfen haben, gefälschte TPA-Geschäfte und Saldenbestätigungen über die Treuhandkonten zu verbuchen.

Riskante Verteidigungsstrategie

Die Strafverfolger werfen dem Trio vor allem einen schweren gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor.

Erffas Anwälte sind sein Zwillingsbruder, der Jurist Hubertus von Erffa, und Sabine Stetter. Der Vater von vier Kindern saß im Sommer 2020 nur kurzweilig in Untersuchungshaft. Die Justiz setzte den Haftbefehl gegen ihn damals aus familiären Gründen außer Vollzug. In dem seit Dezember 2022 andauernden Prozess brach er nunmehr sein Schweigen. Seine Verteidigungsstrategie und die seiner Rechtsbeistände ist angesichts der Dimension der Wirecard-Causa riskant.

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